Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge. Benedict Dana

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Название Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge
Автор произведения Benedict Dana
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752922332



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Umschlag noch in der offen stehenden Eingangstür auf, überflog die drei Zeilen des Briefes innerhalb von wenigen Sekunden und fluchte laut auf. Er lief eine Weile unschlüssig draußen auf dem Gang hin und her und entschloss sich dann die Verfolgung des Postboten aufzunehmen. Er stürmte die Holztreppe des engen Treppenhauses 8 Etagen hinunter und als er atemlos auf die menschenleere Strasse trat, konnte er gerade noch sehen, wie der junge Mann auf einem Elektrofahrrad hinter einer Hausecke verschwand. Die „Rue de la Paix“ war genau genommen keine Straße, sondern nur eine schmale Gasse am oberen Stadtrand, weswegen es nicht verwunderlich war, niemanden sonst draußen anzutreffen. Er unternahm keine weiteren Versuche, dem Postboten zu folgen, da durch ihn wahrscheinlich sowieso nicht herauszubekommen wäre, wer den Brief aufgegeben hatte.

      Die Nachricht änderte alles und ließ plötzlich ihren weiteren Aufenthalt in der Stadt zweifelhaft erscheinen. Er hatte es nicht eilig, wieder nach oben zu gehen und die schlechte Botschaft zu überbringen. Als er schließlich wieder die Wohnung betrat und Sofia den Brief mit ernster Miene unter die Nase hielt, musste sie folgendes lesen:

      „Wir wissen genau, dass ihr beide UN-Spitzel seid, und kennen eure wahre Identität. Wir geben euch, Sofia Merizadi und Dr. Morton Morris, zwei Tage Zeit, Unity zu verlassen, oder es wird etwas Schlimmes passieren. Lasst es nicht darauf ankommen, denn es könnte auch Dritte treffen und dann würdet ihr es doppelt bereuen!“

      Sofia ließ den Brief so kraftlos und schockiert sinken, als hätte sie eine Todesnachricht erhalten. Dann lief sie einige Male unruhig wie ein Löwe im Käfig in dem kleinen Zimmer hin und her, bis sie schließlich erregt hervorstieß:

      „Wieso sind wir so schnell aufgeflogen? Hat das vielleicht etwas mit deinem gestrigen Besuch im Café Grand Golliat zu tun?“

      Mo erwiderte nichts, da er plötzlich von einer höheren Ahnung erfasst wurde. Es stand auf einmal bildhaft vor sein geistiges Auge geschrieben, dass ihre wahre Identität schon vor ihrer Ankunft durchgesickert war und es bei der UN irgendwo eine undichte Stelle gab. Er war bei dieser blitzartigen Erkenntnis für einen Moment wie abwesend und fand erst wieder in die unmittelbare Gegenwart zurück, als Sofia anklägerisch rief:

      „Willst du etwa auf das Ultimatum eingehen und die Stadt verlassen?“

      Es war die alles entscheidende Frage, die er zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten konnte. Also meinte er nur:

      „Wir müssen mit Greg darüber sprechen. Lass’ uns gehen, wir haben ja sowieso heute Morgen einen Termin bei ihm. Es bleibt uns noch genug Zeit, um vorher in einem der Cafés am Unity Square frühstücken zu gehen.“

      Als sie wenige Minuten später die Gassen und Treppen hinunterspazierten, die in die Innenstadt führten, brütete er in sich gekehrt vor sich hin und wechselte mit ihr kaum ein Wort. Die größeren Straßen waren wie immer von vielen Fußgängern und nur von einigen wenigen Elektrofahrzeugen gefüllt, zwischen die sich hier und da Touristengruppen mischten. Rein äußerlich war Unity ein Ort des Friedens und der Beschaulichkeit, obwohl sich zweifellos einige dunkle Geheimnisse hinter den harmlosen und einladenden Kulissen der Stadt verbergen mussten.

      Sie folgten den kleinen, regelmäßig an den Hauswänden angebrachten Holzschildern in Richtung des Unity Squares und wurden auf ihrem Weg durch ein besonders hübsches Stadtviertel geführt. Vor einigen Fenstern hingen bunte Blumenkästen und an den Kreuzungen der engen, mit Natursteinen gepflasterten Gassen befanden sich hier und da steinerne Wasserbecken, so wie man es aus alten italienischen oder französischen Dörfern kannte. Die schwarzen, antik aussehenden Metalllaternen, die an manchen Hauseingängen angebracht waren, ergaben zusammen mit dem urigen Gassenpflaster und den natürlichen Felssteinen vieler Hauswände ein fast historisch wirkendes Straßenbild.

      Erst als sie das Cafè „Mueller“ am Unity Square betraten, hellte sich Mos Laune etwas auf und er wurde vorübergehend wieder gesprächiger. Es handelte sich um das größte und bekannteste Café der Stadt und trug seinen Namen nach einem reichen Schweizer, der es – wie es ein neben der Eingangstür angebrachtes Messingschild verriet - samt dem fünfstöckigen Gebäude an die UN gestiftet hatte. Mos gute Stimmung hielt jedoch nicht lange an, denn je länger er sich in dem prächtig eingerichteten, an ein klassisches Kaffeehaus erinnernden Innenraum des Café Mueller umblickte, desto mehr wurde er von einer subtilen Paranoia gepackt. Bereits am zweiten Tag ihres Aufenthaltes hatte sich der Spieß herumgedreht und nicht mehr sie waren die heimlichen Beobachter, sondern irgendwelche Anderen, die sich quasi überall befinden konnten und von denen sie nicht wussten, wie gefährlich sie waren. Das gemeinsame Frühstück uferte in bedrücktes Schweigen aus und erst an seinem Ende rührte Sofia genau an den Punkt, der Mo selber die ganze Zeit beschäftigt hatte.

      „Hältst du es für eine gute Idee, Greg in die Sache einzuweihen? So wie ich ihn einschätze, würde er uns empfehlen der Aufforderung in dem Brief Folge zu leisten. Außerdem würde er sich wahrscheinlich mit Genf in Verbindung setzen und dann müssten wir die Stadt bestimmt verlassen. Niemand von denen will die Verantwortung dafür übernehmen, wenn uns etwas zustoßen sollte. Ich fände es extrem ärgerlich, ohne Ergebnisse nach New York zurückzureisen, nachdem ich wochenlang auf diesen Auftrag vorbereitet worden bin!“

      Insgeheim teilten sie längst dieselbe Haltung, weswegen Mos Antwort für sie wie erwartet ausfiel.

      „Das sehe ich genauso. Die Absender des Briefes geben uns zwei Tage Zeit, also sollten wir wenigstens diese Zeit für unsere Arbeit nutzen. Danach können wir Greg immer noch alles berichten. Außerdem besteht die Möglichkeit, unsere Ermittlungen von einem Standort außerhalb der Stadt weiterzuführen. Ich gebe auf keinen Fall auf!“

      Ihre Entschlossenheit einte sie, und als sie bald das Café verließen, schlugen sie die Richtung zum Hauptverwaltungsgebäude ein. Es lag nicht weit entfernt oberhalb eines kleinen Platzes leicht erhöht am Hang und war mit seinen anthrazitfarbenen Aluminiumfenstern und seiner ästhetischen Verkleidung aus schmalen Holzstreben eines der modernsten und imposantesten Bauten in der Innenstadt. Dies erklärte sich daraus, dass die Verwaltung nicht nur für Unity, sondern für alle Gebiete der UN-RN zuständig war und daher auch das Büro der Generalsekretärin Elisabeth de Verneuil beherbergte. Mit seinen drei ineinander verschlungenen, verschieden hohen Gebäudekuben sah es ein wenig wie ein postmodernes Architekturexperiment aus, das einen interessanten Kontrast zu der eher simplen Bauweise der meisten übrigen Gebäude der Stadt einging.

      Als sie sich auf einer der Granitbänke niederließen, die auf einem grünen, ungepflasterten Bereich in der Mitte des kleinen Platzes standen, überquerte bald darauf eine Gruppe männlicher afrikanischer Flüchtlinge den Platz. Die Männer starrten sie finster und herausfordernd an, was in einem auffälligen Kontrast zu den vorwiegend freundlichen Gesichtern in der Stadt stand. Mo beobachtete nachdenklich, wie sie in eine Gasse abbogen, die im Hintergrund auf eine der steilen, aus der Stadt hinausführenden Steintreppen zulief. Dabei spürte er auf einmal sehr genau, dass es lohnend gewesen wäre ihnen heimlich zu folgen, und entschloss sich, auf eine andere günstige Gelegenheit zu warten.

      Als er sich kurz darauf in den reizvollen Anblick vertiefte, wie sich Sofia ihres Kopftuches entledigte und ihre langen, schwarzen Haare ausschüttelte, spürte er auf einmal eine Hand auf seiner Schulter. Unmittelbar danach dröhnte ihm Gregs tiefe und kernige Stimme direkt ins Ohr:

      „Na, da ist er ja unser berühmter Meisterdetektiv aus New York! Und, mein Freund, hast du schon etwas herausgefunden? Oder tappst du nach wie vor im Dunkeln, wie fast alle hier? Wenn ich nicht so verflucht viel Büroarbeit hätte, würde ich euch glatt helfen und selber Sherlock Holmes spielen!“

      Greg ließ sich neben ihm auf der Bank nieder und ordnete seine schlohweißen, vom Bergwind zerzausten Haare. Im Gegensatz zu seiner legeren Kleidung bei ihrem ersten Treffen in der „Albergo di Panorama“ trug er einen korrekten blauen Anzug und einen schwarzen Mantel. Er versprühte beste Laune, wobei ihm nicht entging, dass dies im krassen Gegensatz zu Mos und Sofias trüber Stimmung stand. Er brachte einen oberflächlichen Smalltalk in Gang, bis Sofia sich beschwerte:

      „Wollen wir etwa hier draußen bleiben? Es ist ziemlich kalt hier oben, findest du nicht?“

      Sie warf einen Blick zu den schneebedeckten Berggipfeln, die in der Ferne in der