Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer

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Название Mörderische Schifffahrt
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847697503



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bring sie um, dachte Inga und lief los.

      13

      »So«, gähnte Alice und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. »Alles paletti. Die Getränke hätten wir in der Kasse, den Ordermen habe ich auch einigermaßen im Griff. Mir fehlt zwar noch die Routine, aber Übung macht bekanntlich den Meister. Was macht ihr gewöhnlich um diese Zeit? Ich meine nach den Rundfahrten?«

      »Klar Schiff. Mit Staubsauger, Schrubber und viel Wasser.« Inga nippte an ihrem Kaffee und verzog das Gesicht. Dank Gottes Spionin war an Bord die Prohibition ausgerufen worden, und der Kaffee in ihrem Becher war eben nichts anderes als stinknormaler, schwarzer Kaffee. Heißer Kaffee. Drei Tische weiter hockten Eddie und Chris, mittlerweile wieder in Zivil mit Schlabber-T-Shirts und Jeans, und starrten irritiert zu ihnen hinüber. Den Maschinenraum hatten sie schon vor Urzeiten in Ordnung gebracht, doch als sich Eddie auf den Kühlschrank stürzte, waren alle Sektflaschen daraus verschwunden gewesen. Ausgerechnet Inga hatte urplötzlich behauptet, dieser Sekt sei Okko Jansens Sekt, und eine Flasche von Okko Jansens Sekt auszutrinken, sei Diebstahl. Gestern noch war es Medizin gewesen, heute war es Diebstahl. Einfach so – ohne ein näheres Wort der Erklärung.

      Alice seufzte. Nach dem aufregenden Nachmittag hatte sie eigentlich nicht vorgehabt, auch nur einen Finger zu rühren. Auf der anderen Seite brauchte sie in den nächsten Tagen das Wohlwollen der drei Crewmitglieder oder wenn schon nicht das Wohlwollen, so doch zumindest die Bereitschaft, mit ihr zu reden. Ohne Informationen keine Chance, den Mord zu lösen, ohne die Überführung des Mörders keine Zukunft. Die Weichen waren gestellt, und wenn sie schlau war, achtete sie bei ihrem Zug auf die richtige Spurweite.

      »Okay, also klar Schiff machen. Da ich annehme, dass du allen Neuen gewöhnlich die Klos aufs Auge drückst, melde ich mich freiwillig für die Tische auf dem Freideck und für das Wischen der Gänge. Irgendwelche Einwände?«

      Inga guckte skeptisch und zuckte unbestimmt die Achseln. Die Klos selbst putzen zu müssen, stand nicht auf ihrem Plan zu delegierender Aufgaben. Andererseits konnte es nicht schaden, sich nach den Pleiten des Tages nachgiebig zu zeigen. »Habe ich eine andere Wahl?«

      Alice lachte. »Nicht wirklich, aber ich schwöre bei den Schuppen der kleinen Meerjungfrau, ab morgen zumindest eins der Klos zu übernehmen. Wer von uns beiden die Herren und wer die Damen bekommt, können wir jeden Tag neu ausknobeln. So, bevor ich mich aufs Oberdeck begebe und Tische abschrubbe, stelle ich dir ein paar meiner angekündigten Fragen. Ich gehe mal davon aus, du bist am Samstagabend die Charter der Banker mitgefahren?«

      Inga nickte mürrisch und schauderte, als sie an den Ruck dachte, der durchs Schiff gegangen war, als sie Eddie und Chris gerade einen Becher kalten Kaffee ins Steuerhaus brachte. Ein dicker Ast sei wohl in einem der beiden Heckstrahler geraten, hatten sie gemeint, die beiden. Nur, dass das fragliche Stück Holz im Nachhinein gesehen, durchaus auch die Arme des Rattenfängers gewesen sein konnten. Typisch, sich gerade auf der Libelle erstechen und über Bord werfen zu lassen. Als ob es in Hameln keine anderen Fahrgastschiffe gab, deren Besatzungen über eine kleine Abwechslung im täglichen Einerlei gar nicht mal so traurig wären. Sie hatte mit Eddie und Chris auch ohne Mord an Bord Abwechslung genug, siehe Gottes Spionin. Aber nein, stundenlang krochen die Leute von der Spurensicherung am Montag in ihren weißen Overalls auf der Libelle herum, und puderten auf der Suche nach Fingerabdrücken das halbe Schiff ein. Schließlich zogen sie bedröppelt wieder ab, aber nicht ohne ihr, Inga, einen dermaßen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, dass sie selbst nahe dran war, ein paar Messer in ein paar Nacken zu rammen. War es etwa ihre Schuld, dass sie nach einer Charter das Schiff besonders gründlich putzen ließ? Auf Chartern, besonders auf denen mit Getränkepauschalen, soffen manche Gäste wie die Löcher, mit dem Resultat, dass sich in den entlegensten Ecken des Schiffes der Inhalt ihrer Mägen wiederfand. In der Regel spritzten Eddie und Chris alles ab, was sich abspritzen ließ, vom Vorschiff über das Freideck bis hinten zum kleinen Achterdeck, auf dem das Rettungsboot hing. Währenddessen widmeten sich die Servicekräfte, einschließlich ihrer Wenigkeit, der Innenreinigung, schäumten Teppiche und Klos ein und verfluchten das blöde Büro, das ihnen ständig diese Chartern aufhalste. Geradeso, als wüsste die Besatzung der Libelle an den Abenden mit ihrer Zeit nichts anzufangen, während die Bürotussies in Mo’s Cocktailbar an der Theke hockten, Caipirinhas tranken und über das Schiffsvolk herzogen. Das hatte ihr ein Bekannter, der ab und an dort kellnerte, erst neulich brühwarm erzählt.

      Jedenfalls war am Sonntag nach der Charter Großreinemachen angesagt gewesen, nachmittags, als sie alle wieder aus den Augen gucken konnten. Eddie hatten sie außen vor gelassen, er war in letzter Zeit nicht besonders gut drauf, und in eine seiner Weltuntergangsstimmungen geraten, in denen man ihm am Klügsten aus dem Weg ging. In bestimmten Stimmungen neigte der kleine, bierbäuchige Eddie zu aggressiven Schüben, die schon zweimal in ihrer Gegenwart in Schlägereien ausgeartet waren.

      Inga seufzte. Eigentlich machte sie sich weniger um Eddie als um Chris Sorgen. Eddie war schon ein großer Junge, im letzten Jahr sechzig geworden. Ein alter Hase, der selbst sehen musste, auf welchen Abgrund er zusteuerte. Aber Chris? In einem Jahr, vielleicht auch erst in zwei Jahren, stürzte er in denselben Abgrund. Eddie und er taten sich nicht gut auf dem Schiff. Chris war ein anständiger Kerl, aber auch anständige Kerle wurden zu Säufern. Und sie selbst? Gab es eigentlich einen Tag in der Woche, an dem sie keinen Alkohol trank? Auf dem Schiff so gut wie nie. Der eine freie Tag zu Hause zählte kaum. Konnte es sein, dass auf der Libelle im Laufe der Jahre ein Schlendrian eingekehrt war, der sie früher oder später alle in den Abgrund stürzte? Unter ihrer Oberaufsicht gewissermaßen?

      »Was?« Inga schrak aus ihren düsteren Gedanken hoch, als sie Alices sonderbarem Blick begegnete.

      »Ich sagte, die Banker hatten doch einen der Rattenfänger engagiert, oder?«

      »Die Leiche, ja«

      Alice stutzte einen Moment. Der Mord als solcher hatte noch nicht in der Zeitung gestanden, nur eine kurze Notiz in der heutigen Dewezet über eine Wasserleiche, die jemand aus der Weser gezogen hatte. Ihr Name, warum auch immer, tauchte in dem Artikel nicht auf. Einerseits war sie froh darüber, weil sonst ihre Tarnung aufgeflogen wäre, andererseits ärgerte sie sich über diesen Schreiberling von Polizeireporter, der ganz offensichtlich vor seinem Funkscanner gepennt haben musste. »Verstehe, die Polizei ist also schon bei euch an Bord gewesen.« Was erwartete sie eigentlich? Das Schiff war ein Tatort, die Crew verdächtig. »Was hat die Polizei auf der Libelle herausgefunden? Erzähl einfach alles, was du weißt, bevor wir zu einem anderen Thema kommen.«

      Inga schloss kurzzeitig die Augen. Ihr war sonnenklar, was hier vor sich ging. Einlullen, in Sicherheit wiegen und dann den Knüppel hoch und drauf. Das andere Thema musste zwangsläufig irgendeine falsche Abrechnung sein, vielleicht sogar die der Charterfahrt am Samstag, denn Okko Jansen löste keine Sudokus, wenn er sich langweilte, er rechnete Abrechnungen nach. In der Regel war sie ihm nicht einmal gram deshalb. Erstens war sie eine lausige Abrechnerin, das wusste er, und zweitens fehlten bei jeder Inventur, die er zweimal in der Saison anordnete, die Hälfte der Neuanschaffungen. Sie wusste es nicht definitiv, ahnte aber, wo das Zeug abblieb. Chris und Eddie ahnten beziehungsweise wussten es ebenfalls, nur Gott schlug ahnungslos die Hände über dem Kopf zusammen und fragte sich, wie so viele seiner schönen, neuen Sachen plötzlich Flügel bekommen konnten. Zumindest tat er so, auch wenn sie ihm nicht jede seiner zur Schau gestellten Unwissenheiten abnahm.

      Eigentlich war dieser Job zum Kotzen. Kaum freie Tage zwischen April und Oktober, eine miese Bezahlung, Überstunden und jede Menge nörgelnder Gäste. Die diesjährige Saison fing eben erst an, und schon geriet ihnen ein Rattenfänger in die Schraube. Kaum wechselte ein Fünfeuroschein den Besitzer, schon teilten sich die Wolken am Himmel und der Blitz in Gestalt von Gottes Spionin streckte einen nieder. Und jetzt auch noch die Fragerei.

      Sie atmete tief durch und erzählte vom Rattenfänger. Von seinem Rumgehopse zwischen den Tischen, von den jämmerlichen Flötentönen und wie er dann seine Klarinette auf dem Tresen zurückließ und spurlos verschwand.

      »Wo ist die Klarinette und wohin verschwand er denn?«, fragte Alice mit der neutralen Professionalität