Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer

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Название Mörderische Schifffahrt
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847697503



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Gott, die verstand ja nicht einmal die Anspielung auf seinen Durst. Hatte ihn seit Beginn der Charter auch nur eine von diesen Schnepfen nach seinem Befinden gefragt? Ob er durstig sei? Oder hungrig? Oder sich einen Augenblick ausruhen möchte? Nicht eine! Es war schon ein Kreuz mit dem Servicepersonal und nicht nur mit dem. Fähige Leute wie ihn, weltgewandt, charmant und vor allem imstande, über die eigenen Schuhspitzen hinauszusehen, gab es kaum noch auf der Welt. In Hameln schon gar nicht.

      Die Brünette jedenfalls – wie hieß sie doch noch gleich? Lara, Laura? – verzog nur ihre vorlaute Schnute, dann zwängte sie sich wortlos an ihm vorbei und knallte den Gästen einen Tisch weiter die Gläser vor die Nasen. Schaum schwappte aus einem der Biere und blieb außen am Glas kleben. Der Banker hinter dem Bierglas, im Smoking mit Bauchbinde, fing den Schaum mit dem Zeigefinger auf und leckte ihn genüsslich ab. Was für ein Kretin!

      Dickie rümpfte die Nase und tanzte, nach rechts und links sich verbeugend, den Gang hinunter, während er ab und an ein paar Töne auf seiner Klarinette blies. Natürlich gingen sie wieder in der eintönigen Partymusik des DJs unter. Zum Heulen dieser Abend, dabei war ihm im Vorfeld die Aussicht, auf einem Schiff aufzutreten und von einer Gruppe Banker gebucht worden zu sein, überaus verlockend erschienen. Dazu noch sein erster Auftritt außerhalb der regulären Stadtführungen, bei denen er Gruppen von historisch-architektonischen Ignoranten die Weserrenaissance erklären musste.

      Auf den dunklen Schiffsbohlen der Tanzfläche hinterließ sein Apfelsaftschuh nasse Abdrücke. Er hörte den DJ ein entrüstetes Hey rufen, als er zur Theke schlenderte und seufzend nach einem Barhocker Ausschau hielt. Es gab keinen. Auch so ein Punkt, auf den die Hameln Marketing und Tourismus GmbH ein Auge haben sollte, bevor sie Rattenfänger vermietete. Arbeitsbedingungen. In diesem speziellen Fall waren sie miserabel. Überlaute, grauenvolle Musik von einem DJ, der auch ein gemaltes Bild an der Wand oder ein im Takt nickendes Hologramm hätte sein können. Keine Rückzugsmöglichkeit, nur die enge, ungeheizte Kabine im Unterdeck hinter der Schiffsküche, die zudem irgend so ein Depp abgeschlossen hatte, sodass er sich nicht einmal für fünf Minuten wegschleichen konnte, um auf der Koje sitzend eine Zigarette zu rauchen. Kein Barhocker, freche Bedienungen, und seine Gage war auch nicht viel mehr als ein Witz.

      Wen glaubten diese Ignoranten eigentlich vor sich zu haben. Einen Hanswurst? Er blickte sich nach dem Klettenkönig um, aber nicht einmal der stand ihm zur Verfügung, seinen Frust abzulassen. Die ganze Fahrt war ein einziges Desaster. Es fing schon damit an, dass diese Banker gleichzeitig ihn, den Rattenfänger, eine historisch verbürgte Persönlichkeit – oder doch beinahe verbürgt - und diese ulkige Märchenfigur, den Klettenkönig, gebucht hatten. Legte denn kein Aas mehr auf Qualität wert? Was trieb der Kerl eigentlich die ganze Zeit, außer alle Viertelstunde eine rauchen zu gehen, irgendwo hinter der Glastür, die zum Toilettenbereich und aufs Oberdeck führte?

      Diese Musik beleidigte seine Ohren. Klarinette oder DJ, dachte Dickie frustriert. Eins von beiden hätte an Land bleiben müssen. Zusammen vertrugen sie sich einfach nicht. Wenn es in diesem verflixten Salon wenigstens so etwas wie eine Bühne gegeben hätte, dann hätte er allen gezeigt, was Rattenfänger Dickie auf dem Kasten hatte.

      Er blickte sich im Salon um und schüttelte den Kopf. Dieses Schiff war eine einzige Enttäuschung. Er konnte sich an eine Dampferfahrt in seiner Kindheit erinnern, und was ihm dazu einfiel, waren die Worte aufregend und gemütlich. Hier aber stand er in einem großen, blauen Salon, der durchgehend vom Bug bis zum Heck reichte. Im Bug drängelten sich die Fahrgäste, auf der Tanzfläche hinter ihm herrschte gähnende Leere, und im Heck gammelten die Überreste der Schlacht am kalten Buffet vor sich hin. Der Salat welkte, der Lachs bekam wieder Schuppen, und die Dekoweintrauben schrumpelten zu Rosinen zusammen. Es stank nach Blauschimmelkäse und Harzer Roller. Der Einzige, der sich dort noch blicken ließ und zwischen seinen Zigarettenpausen seinen Wams vollschlug, war der Klettenkönig in seinem grünen, über und über mit künstlichen Kletten behängten Umhang und den braunen Pumphosen darunter. Als ob der Kerl sonst nichts zu Essen bekam.

      Soviel zur Gemütlichkeit.

      Was nun die Aufregung einer Schiffstour betraf: Draußen war es dermaßen dunkel, dass sich kaum das Wasser vom Land unterscheiden ließ. In den Fenstern sah man nichts als die Autoscheinwerfer auf der B83, den flackernden Kerzenschein und sich selbst beziehungsweise die Spiegelbilder trunkener Banker. Das Vibrieren unter seinen Füßen und das Dröhnen der Schiffsmaschinen ließen ihn nur mühsam die Augen offen halten. Zweimal zweihundertfünfzig PS Antriebleistung, hatte ihm der kleine bierbäuchige Kerl mit dem weißen Haarkranz erklärt, der Schiffsführer mit der Schnapsfahne. Neunundvierzig Meter lang, neun Meter breit, zwei Heckschrauben, eine auf der Steuerbord-, die andere auf der Backbordseite. Ein hohes, kompaktes Schiff mit dem Spitznamen Titanic. Für einen eher schmalen Fluss wie die Weser war die Libelle zweifellos ein Flussriese, ein nicht zu übersehender Störenfried, der mit seinem spitzen Bug durch das Wasser pflügte und die Kormorane und Reiher von den Ufern scheuchte. Daran änderten auch die beiden farbenfrohen Libellen nichts, die rechts und links der Bugspitze auf den Schiffsrumpf gemalt waren.

      Dickie lehnte mit dem Rücken am hinteren Teil der Theke und starrte trübsinnig in die Runde. Erhitzte Gesichter, im Kerzenschein funkelnde Rubine und Smaragde, Dekolletés bis zum Bauchnabel, verrutschte Fliegen, bekleckerte Smokingbrüste und die eine oder andere zerknüllte Serviette unter dem Tisch. Ein mieser Service, doch das Bankervolk schien sich zu amüsieren. Hinter der vorderen Theke, jenseits des Durchgangs, herrschte Hektik pur. Die Thekenschnepfen arbeiteten im Akkord, füllten mit der linken Hand Cola und mit der rechten Rotwein in Gläser, rissen die Getränkeschubladen unter der Theke auf, knallten sie mit den Knien wieder zu und zapften ganz nebenbei Dutzende von Bieren. Währenddessen spuckte die Computerkasse in ihren Rücken die Bestellungen aus, die die Servierschnepfen mit den Ordermen, den kleinen Bestellcomputern, an den Tischen aufnahmen. Der Papierschwanz ringelte sich bereits bis zum Boden. Vor der Theke bildete sich gerade ein Mob besonders durstiger Gäste, denen der Service zu lange dauerte, und in den Augen der Thekenschnepfen sah er ab und an etwas wie Panik aufblitzen.

      Miese Organisation, dachte Dickie nicht ohne Häme. Der Service ist sträflich unterbesetzt.

      Fünfundneunzig Prozent der Anwesenden feierten, wenn man das Herumsitzen und Saufen denn Feiern nennen konnte, fünf Prozent, zu denen auch er gehörte, schufteten, bis ihnen der Stirnschweiß in die Augen lief, und wenn er so in die Runde blickte, fing er nicht einen teilnahmsvollen Blick auf, der ihm gegolten hätte. Selbst der DJ auf der anderen Seite der Tanzfläche blickte wieder um Zentimeter an ihm vorbei. Die Gäste hatten sich längst in das Stadium getrunken, in dem sie sich sogar mit denjenigen Arbeitskollegen angeregt unterhielten, die sie nüchtern keines Blickes würdigten. Der Rattenfänger von Hameln fühlte sich verkannt, deprimiert und überflüssig. Wenn er jetzt über Bord fiele, krähte kein Hahn nach ihm. Vermissen würde man ihn wahrscheinlich erst, wenn er die schwammige, gesichtslose Konsistenz vollgesogener Wasserleichen angenommen hatte.

      Eigentlich war der Rattenfänger schon seit mindestens einer Stunde entbehrlich. Er hatte die Chartergäste auf dem Busparkplatz neben dem Anleger mit seinem Klarinettenspiel empfangen und war wie ein Narr zwischen ihnen herumgehüpft. Er hatte sie aufs Schiff und zu ihren Tischen geleitet. Er hatte sie zum Trinken animiert und sich in den vergangenen knapp drei Stunden alle Mühe gegeben, die Trantüte von DJ zu ersetzen und Stimmung in den Laden zu bringen, während sich der Klettenkönig, dieser faule Sack, auf dem Oberdeck die Fluppen reinzog. Oder wo auch immer. Und ihn, den Rattenfänger, hatten Skrupel davon abgehalten, sich zu dem netten, hässlichen Kerl mit dem Toupet zu setzen, als er eingeladen wurde. Schließlich war es sein Job, die ganze Gesellschaft zu unterhalten und nicht nur einen einzigen Tisch. Ehrlicherweise hatte es ihn auch nicht besonders gereizt, ausgerechnet am Tisch des Bankerchefs zu landen, der ihn engagiert hatte und ihn seit Beginn der Charter mit seinen Blicken regelrecht verfolgte. Ein eingebildeter Fatzke. Sie hockten zu dritt am Tisch: der Kerl mit dem Toupet, der Bankerchef mit seinen blonden Strähnchen und ein braun gebrannter Glatzkopf mit schwarzem Haarschatten in etwas wie einer Admiralsjacke mit Schulterklappen, Streifen und Sternen. Seine goldbetresste Uniformmütze lag mittlerweile unter dem Stuhl. Mitte dreißig, schätzungsweise, hockte er die meiste Zeit mit trübsinnigem Gesicht inmitten der fröhlich zechenden Banker und Bankerfrauen, und nur ab und an bekam er einen