Der Weg des Bösen. Hannes Wildecker

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Название Der Weg des Bösen
Автор произведения Hannes Wildecker
Жанр Языкознание
Серия Ein Tatort-Hunsrück-Krimi
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748594499



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seiner neuen Aufgabe als Lehrer für den polizeilichen Nachwuchs zugewandt. Lisa war glücklich über diese Entscheidung. Das ständige Alleinsein an den meisten Wochenenden und vielen Abenden würde Vergangenheit sein. Die geregelte Arbeitszeit auf dem Hahn würde nicht mehr den jährlichen Urlaubswünschen im Wege stehen, die in Forstenau immer in den Hintergrund getreten waren.

      Auf der anderen Seite fiel es Lisa schwer, die vertraute Umgebung, die Freunde und besonders ihrem geliebten Kirchenchor Adieu zu sagen.

      Heiner Spürmann würde seinen Stammtisch im Hochwaldstübchen vermissen. Es gab noch eine Sause zum Abschied und alle waren gekommen. Förster Florian Glasheber, Ortsbürgermeister Detlef Hildebrandt, Feuerwehrchef Siegfried Brandel und Heimatforscher Dieter Lauheim. Pastor Adalbert Schaeflein verkündete bei dieser Gelegenheit, dass er demnächst seine Pensionierung antreten und im Saarland Wohnung beziehen werde.

      Besonders herzlich wurde Spürmann von Siggi und Lissy Vollmann, den Betreibern der kleinen Gaststätte, verabschiedet. Zu ihnen bestand eine echte Freundschaft, seit sich Spürmann nach dem Todesfall Rietmeier für Siggi stark gemacht hatte. Er hatte damals nachweisen können, dass Siggi nicht der Mörder des Toten im Tann war.

      Auf der Dienststelle ließ Spürmann seine Kollegin Leni Schiffmann zurück, mit der er seit Jahren ein funktionierendes und erfolgreiches Team gebildet hatte. Spürmann hatte sie vor vollendete Tatsachen gestellt, sie und Heinz Peters vom Erkennungsdienst, mit dem ihn eine freundschaftliche Beziehung verband. Doch das war nun mal des Lebens Lauf. Es würde weitergehen, auch ohne Spürmann.

      Krauss als verantwortlicher Leiter der einzelnen Inspektionen hatte sich um Ersatz bemüht. Der Neue würde heute seinen Dienst antreten. Kraus schaute auf seine goldene Armbanduhr, die sich mit ihrem Glanz von dem dunkelblauen Ärmel seines feinen Tuchanzugs abhob und schüttelte ärgerlich den Kopf. Schon neun Uhr. Ein Dienststellenleiter, der gleich am ersten Tag zu spät kam. Das waren ja schöne Aussichten. Womöglich machte er gleich am ersten Arbeitstag von der gleitenden Arbeitszeit Gebrauch.

      Krauss schüttelte erneut verständnislos den Kopf, klopfte kurz an und öffnete die Tür zum Büro.

      „Na, Frau Schiffmann. Noch in Trauer?“, sagte er, bevor er ein Guten Morgen hinzufügte. „Um diese Zeit“, er sah erneut auf seine Uhr, „um diese Zeit wird Ihr Ex-Kollege Spürmann bereits die Schulbank mit dem ihm anvertrauten Nachwuchs drücken. Was glauben Sie? Ist es das, was er immer wollte? Sagen Sie nichts. Ich werde es Ihnen sagen: Ich habe das Gefühl, er hat einen Fehler gemacht.“

      Als Leni nicht antwortete und ihn nur ansah, fügte er hinzu: „Ich kann Ihren Kollegen nicht verstehen. Einer, der die Praxis so liebte wie er, macht sich zum Theoretiker auf einer Polizeischule.“

      „Heiner ist kein Theoretiker“, nahm Leni ihren Ex-Kollegen in Schutz. „Aber vielleicht ist es ja von Vorteil, wenn auf einer Polizeischule auch einmal praxisorientiert geschult wird. Es müssen ja nicht immer Dozenten unterrichten, die gleich nach ihrem Examen, ohne jegliche Praxis, vor eine Klasse mit Polizeischülern gestellt werden.“

      „Haben Sie solche Erfahrungen gemacht, Frau Schiffmann? Vergessen Sie nicht: Ich war auch ein paar Jahre als Dozent tätig.“

      Leni schwieg und vertiefte sich in ihre Akten. Ihr war es nicht verborgen geblieben, dass auch Krauss einer derjenigen war, die nur mit der Praxis der zum Praktikum abgeordneten Beamten glänzen konnten.

      „Ich hörte, wir bekommen einen neuen Kollegen?“, fragte Leni und hob ihren Blick wieder aus dem Aktenbündel.

      „Sie bekommen einen neuen Chef, Frau Schiffmann.“ Krauss sah wiederum auf seine Uhr. „Er müsste eigentlich schon hier sein. Gleich am ersten Tag zu spät zu kommen, das ist auch keine Art.“

      „Er wird sich auf die gleitende Arbeitszeit eingerichtet haben. Das ist sein gutes Recht“, sagte Leni und es klang irgendwie vorlaut.

      In die Bemerkung hinein klopfte es und die Tür wurde eine Körperbreite weit geöffnet. Ein männlicher Kopf mit einem freundlichen Gesicht und dichtem, nach hinten gekämmtem dunkelblonden Haar erschien in der Öffnung und schaute erst auf Leni, dann auf Krauss. „Sie sind …?“, fragte Kraus verunsichert.

      Dann erschien die ganze Gestalt des Mannes in der Tür, die er mit seinem rechten Fuß ganz aufstieß. Der Grund dafür wurde sogleich offenbart. Unter den rechten Arm geklemmt schleppte er eine mannshohe, braune Puppe aus Leder in den Raum. Er schaute sich kurz um, wobei er einen Zopf offenbarte, in dem er seine langen Haare gefangen hatte. Er stellte die Puppe neben der Tür gegen einen Aktenschrank. Dann wandte er sich den beiden staunend Zusehenden zu.

      „Overbeck. Kriminalhauptkommissar. Tut mir leid, ich habe mich etwas verspätet. Kein Navi. Muss mir schnellstens eines zulegen. Brauche ich hier mit Sicherheit.“

      Er gab Krauss, dessen Gesicht sich angesichts der kraftvollen Begrüßung leicht verzerrte, die Hand und steuerte auf Leni zu, die wegen seines fragenden Gesichtsausdrucks grinsen musste.

      „Leni Schiffmann. Sie sind der Neue? Mein neuer Chef?“

      „Mein Name ist Krauss. Peter Kraus. Kriminaloberrat. Ich bin hier der Inspektionsleiter und warte schon … “, unterbrach Krauss das Vorstellungsgespräch und sah demonstrativ auf seine Uhr, „seit eineinhalb Stunden auf Sie.“

      „Ich sagte es bereits: Kein Navi“, antwortete Overbeck und Leni stellte mit Vergnügen fest, dass ihm die Autorität Krauss` nicht in seiner Art behinderte. Er deutete auf den freien Bürostuhl Leni gegenüber. „Das ist mein Platz?“

      „Als Chef steht Ihnen ein Einzelzimmer zu. Wenn Sie mit mir kommen, ich zeige es Ihnen“, sagte Krauss und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

      „Warten Sie, Herr … Krauss. Eine Frage: Wo hatte mein Vorgänger seinen Platz?“

      Bevor Krauss antworten konnte, zeigte Leni mit ihrem ausgestreckten Arm auf den Schreibtisch, der dem ihren gegenüber stand. Er war leer, nicht ein Blatt Papier lag darauf, ein bequemer Sessel stand davor.

      „Dann möchte ich hier bleiben“, stellte Overbeck fest, ließ sich auf den Bürostuhl fallen und rollte, auf ihm sitzend, hinter Spürmanns ehemaligen Schreibtisch. „Es sei denn, Sie würden lieber auf meine Anwesenheit verzichten.“ Fragend sah Overbeck Leni an.

      „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist …“, versuchte Krauss ihn umzustimmen, doch Leni ergriff die Initiative.

      „Ich freue mich auf eine gemeinsame Zusammenarbeit.“ Dann hielt sie ihm ihre Hand hin. „Unter Kollegen ist man per Du. Ich heiße Leni.“

      „Overbeck. Ich freue mich ebenfalls. Ich glaube, wir werden ein gutes Team.

      „Overbeck? Und wie noch?“

      „Einfach Overbeck. Alle sagen nur Overbeck.“

      Hinter ihnen schloss sich die Tür. Krauss hatte das Zimmer verlassen.

      „Warum hast du dir gerade Trier ausgesucht?“, fragte Leni, um keine Debatte über den Namen Overbecks zu beginnen. Das würde sie sich für später aufbewahren, nahm sie sich vor. „Was war deine letzte Dienststelle?“

      „Ludwigshafen. Mordkommission Ludwigshafen. Du heißt also Leni?“

      Leni nickte.

      „In Ludwigshafen kannte ich eine Lena Odenthal. War aber nicht in meinem Team. Eine Streberin. Arbeitet dort mit einem Deutsch-Italiener zusammen. Warum ich weg wollte? Du wirst es nicht glauben, es hat ganz einfach damit zu tun, dass mir die Luft dort im wahrsten Sinne des Wortes zu dick wurde. Die Industrie, verstehst du?“

      „Verstehe. Erzähle mir mehr über dich.“

      „Freut mich, dass du dich für mich interessierst. Ich bin sechsunddreißig, einen Meter und zweiundachtzig groß, wiege 80 Kilo und bin Single, also noch zu haben.“

      „Was schleppst du denn da mit dir rum?“

      Leni zeigte auf die lederne Puppe, die Overbeck neben dem Aktenschrank abgestellt hatte.

      „Ach