Der Weg des Bösen. Hannes Wildecker

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Название Der Weg des Bösen
Автор произведения Hannes Wildecker
Жанр Языкознание
Серия Ein Tatort-Hunsrück-Krimi
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748594499



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auf den Schreibtisch, genau vor Satorius Nase.

      „Was ist das?“ Ungläubig sah er erst auf das Papierbündel, dann auf die lächelnde Kollegin.

      „Alles das, was damals passierte, steht darin, der ganze Schriftkram, die gesammelten Zeitungsartikel, Kommentare, Meinungen und natürlich alles über die zahlreichen Gerichtsverhandlungen.“

      „Aber …“

      „Sieh es dir in Ruhe an. Mach eine neue Geschichte daraus. Stelle fest, was mit den Tätern und den Opfern geschehen ist. Wie sie heute leben, was sie tun. Rede mit ihnen, ich garantiere, es wird eine interessante Story.“

      Satorius wollte etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus. Im Weggehen sagte Margin Klausner: „Du hast zwei Wochen. Streng dich an. Unsere Leser brauchen die Story. Es geschieht zu wenig in dieser Gegend. Da ist man dankbar für interessant aufgewärmte Kriminalgeschichten.“

      Das Klappern ihrer Stöckelschuhe entfernte sich und schließlich war es ruhig. Weder Satorius noch Schmieder sagten ein Wort. Sie sahen sich an und blickten wie auf Kommando in die Richtung, wo eine Tür schlug.

      „Dann mal viel Spaß, Hansi“, sagte Schmieder schließlich mit einem schiefen Lächeln und drehte sich auf dem Absatz um. „Wenn du Hilfe brauchst … bitte mich nicht darum. Das Sommerloch, verstehst du? Ich habe es mir redlich verdient.“

      Kapitel 6

      Jörg Dellmann war matt und ermüdet. Der heutige Tag hatte ihn geschlaucht wie selten zuvor. Die Arbeit bei der städtischen Müllabfuhr hing ihm aus dem Hals heraus. Anders konnte er es nicht beschreiben. Tagaus und tagein auf der Stehrampe am Heck des Müllwagens zu verbringen mit der einzigen Abwechslung, dass er zwischendurch volle stinkende Abfalltonnen in die Automatik einhängte und abwartete, bis das Schlagen des Entleerungs-Mechanismus endlich vorbei war und er die Tonne wieder auf dem Gehweg platzieren konnte.

      Dellmann schlenderte durch die Hauptstraße der Hermeskeiler Innenstadt und hatte ein bestimmtes Ziel vor Augen. In seiner Stammkneipe würde er sich einige Drinks gönnen, vermutlich mehr, als es sonst der Fall war. Den Frust würde er ersäufen, ehe er auf seinem seit Tagen nicht mehr gemachten Bett in einen komaähnlichen Schlaf fallen würde. Niemand würde ihn vermissen, wenn er heute die Zeit vergaß, denn niemand wartete auf ihn. Er lebte alleine und daran wollte er auch so schnell nichts ändern. 44 Jahre war er alt, mehrere Beziehungen hatte er verschlissen und daraus eine Lehre gezogen, nämlich die, dass eine Heirat für ihn nie in Frage kommen würde.

      Jede seiner Verflossenen hatte ihn hintergangen, ihn mit anderen Männern betrogen. Mit Männern, die sich finanziell besser standen als er. So waren es immer nur kurze Beziehungen gewesen. Dass die Frauen auf ihn flogen, war ihm bewusst. Er hatte eine stattliche Figur, die dunklen gewellten Haare über dem wohlgeformten Gesicht mit den dunkelbraunen Augen hatte er nach hinten gelegt und ab und zu fiel ihm eine Strähne über das rechte Auge. Die Winkel seines vollen Mundes hatten sich in den vergangenen Jahren leicht nach unten bewegt und spiegelten seine zunehmende Unzufriedenheit wieder.

      Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen und ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass es kurz vor sieben am Abend war.

      Als sich die Tür Zum alten Hermeskeiler hinter ihm schloss und er die rauch- und alkoholgeschwängerte Luft einatmete, das Raunen an den Tischen und die Diskussionen an der Theke, vernahm, da fühlte er sich plötzlich geborgen, glaubte er sich unter seinesgleichen, selbst, wenn ihm die meisten der Gäste fremd waren.

      „Ein Bier, Franz und einen Klaren“, bestellte er, nachdem er sich einen Platz am Ende des Tresens ausgesucht hatte, dort, wo er sich etwas freier bewegen konnte, als mitten unter den anderen Thekenstehern.

      „Kommt“, antwortete Franz Leonhard, der Wirt und machte sich sogleich am Zapfhahn zu schaffen. „Aber heute hältst du den Ball flach, verstanden? Um zehn ist hier dicht.“

      Dellmann winkte ab. Er wusste, was der Wirt meinte. Es kam schon mal vor, dass er im Suff einen Streit vom Zaun brach und eigentlich musste er Leonhard dankbar sein, dass er ihm bislang kein Hausverbot erteilt hatte.

      Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Theke und ließ seinen Blick durch die Gaststube streifen. Einige Gäste saßen an den Tischen und verspeisten ihre Mahlzeiten. An einem Tisch saß eine Gruppe Halbwüchsiger und diskutierte. Am Ende des Raumes hatte eine junge blonde Frau Platz genommen und wartete, Teller und Besteck vor sich, offensichtlich auf das von ihr bestellte Essen.

      Sie ist allein, dachte er vor sich hin. Abends in einer Kneipe und dann allein. Aber vielleicht kommt ihre Begleitung ja noch. Wie alt sie wohl sein mag, rätselte er. Dreißig? Nein, so alt war sie nicht, vielleicht drei oder vier Jahre jünger.

      Dellmann beobachtete, wie die junge Frau nach einer Zeitschrift griff und darin blätterte. Dann erhob sie ihren Blick und schaute kurz in seine Richtung. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment, dann wandte sich die Frau wieder ihrer Lektüre zu.

      Dellmanns Blick wanderte weiter, widmete sich flüchtig den essenden Gästen und tastete nun die Thekensteher ab. Heute Abend war niemand dabei, den er kannte. Er suchte die Kneipe von Franz Leonhard hier und da in der Woche auf, wie er es auch mit anderen Gaststätten hielt und manchmal traf er Arbeitskollegen oder flüchtige Bekanntschaften, mit denen er sich über Belangloses unterhielt. Doch heute war es anders. Er kannte niemanden der Männer. Es schienen alles Einheimische zu sein, die ihre Zeit an der Theke abstanden. Er erkannte es an dem Dialekt. Doch es gab eine Ausnahme. Ein junger Mann, der ebenso alleine an der Theke stand wie er selbst, sprach feines Hochdeutsch. Dellmann hörte es, als der Mann ein weiteres Bier bestellte und mit dem Wirt einige Worte wechselte.

      Er bestellte ein weiteres Bier und nach kurzem Überlegen auch noch einen Schnaps dazu. Er spürte den brennenden Stoff seine Kehle hinunterrinnen und fühlte ein wohliges Gefühl, das seinen Körper durchflutete.

      Als er sich umdrehte und sein Blick noch einmal über die Gäste glitt, begegnete er erneut dem Blick der jungen Frau, die ihn zu beobachten schien. Doch dann wandte sie sich wieder ihrer Illustrierten zu.

      Dellmann sah auf die Uhr und bestellte ein letztes Glas. Er fühlte Müdigkeit aufkommen und wollte nur noch nach Hause. Sein Blick streifte noch einmal über die Gäste an der Theke. Der junge Mann stand nun an einem Spielautomaten, direkt neben ihm. Als ihre Blicke sich trafen, nickte er ihm kurz zu. Es war ein freundliches Nicken. Während der Automat nach einer Gewinnmöglichkeit suchte, griff der Mann zu seinem Bierglas, das neben dem von Dellmann stand und prostete ihm zu. Dann widmete er sich wieder dem Spielautomaten.

      Dellmann zahlte seine Zeche und trank sein Glas leer. Dann nickte er zum Abschied in die Richtung des Wirtes, doch irgendetwas bewegte ihn, sich noch einmal umzudrehen und zu der Frau am Tisch am Ende des Raumes hinüberzusehen. Ihr Blick war auf ihn gerichtet, so, als habe sie ihn die ganze Zeit über beobachtet. Auch als ihre Blicke sich trafen, hielt sie dem seinen stand und Dellmann war es, als transportiere ihr Blick ein höhnisches Lächeln zu ihm herüber.

      Für einen Moment überkam ihn der Gedanke, zu der Frau hinüberzugehen, sie zu fragen, ob sie ihn kenne, ob sie etwas von ihm wolle. Doch dann schüttelte er den Kopf, als wolle er böse Gedanken verjagen. Was soll so eine schon von ihm wollen? Schnell schaute er noch einmal zu ihr hinüber, doch sie hatte sich bereits wieder in ihre Zeitschrift vergraben und beachtete ihn nicht.

      Entschlossen drehte Dellmann sich um. Kurz darauf fiel die Lokal-Tür hinter ihm zu.

      Kapitel 7

      Kriminaloberrat Peter Krauss eilte durch den Flur der fünften Etage des Trierer Polizeipräsidiums und blieb schließlich vor der Tür mit den Namensschildern KHK Spürmann und KOK`in Schiffmann stehen. Er schüttelte unwillig den Kopf, als er das Schild mit dem Namen Spürmann mit den Fingernägeln herauszog und in seiner Hand zerknüllte.

      Spürmann gab es nicht mehr hier in Trier, nicht mehr in diesem Zimmer. Die Position des Leiters der Mordkommission der Trierer Kriminalpolizei war seit über einem Monat vakant. Kriminalhauptkommissar