Название | Einen Verlängerten bitte |
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Автор произведения | Elisa Herzog |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738021011 |
Peter seufzte, und Sue konnte ihn verstehen. Er war ein Melancholiker vor dem Herrn und schrieb tieftraurige Gedichte, die er in dem Kleinstverlag eines Studienfreundes veröffentlichte. Sie handelten vorzugsweise von tief hängenden Nebelfeldern und unglücklicher Liebe. Seine Bücher waren weit davon entfernt, ein Verkaufshit zu sein, und Sue hatte den Verdacht, dass Peter seine Leser in einem Zugabteil unterbringen könnte. Fatalerweise arbeitete er in einem Verlag, der sich auf so prosaische Dinge wie Kochbücher und Lebenshilfe spezialisiert hatte. So litt er ständig vor sich hin, was seiner Melancholie und seinem Schreibschub verlässlich neue Nahrung gab.
„Lieber kleine Orte mit treuen Lesern als die verwöhnten Großstädter, die sich fünf Minuten vor Veranstaltungsbeginn noch überlegen, ob sie nicht doch zur Ausstellungseröffnung in der Galerie des Schwagers des Herzogs von Kent gehen.“
Peter verzichtete auf eine Antwort und hackte inzwischen leidlich motiviert auf seinem PC herum. Um seinen Mund zuckte es, Sue interpretierte das als etwas, das in Richtung Schadenfreude ging. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Terence konnte eine richtige Zicke sein. Ein verzogener Bengel eben, ihrer Schwiegermutter Tessa sei Dank.
„Ich habe seit langem eine Anfrage aus Flamborough“, sagte er schließlich und klopfte freudig auf seine Maus. „Der örtliche Frauenkulturverein hat fünfzigjähriges Jubiläum und würde gerne etwas ganz Besonderes machen. Die hätten sogar das Budget.“
„Wunderbar!“ Sue strahlte ihn an. Terence war schon gestraft genug, wenn er in der Pampa mit übereifrigen Kulturfrauen Sekt mit Cranberrysaft trinken musste. Ein niedriges Honorar wäre dann doch etwas zu viel Demütigung.
„Wo ist das genau?“
„Ziemlich weit hinten in Wales.“
„Da war er noch nie“, meinte Sue. Wahrscheinlich zu Recht, dachte sie. Wenn der Ort genauso trostlos war, wie sein Name klang, dann viel Spaß, Terence Urquhart.
Im Verlauf der nächsten Stunde schnürten die beiden ein hübsches Paket, das Terences landeskundliche Kenntnisse auf profunde Art erweitern würde. Wales war aber auch wirklich ein Landesteil, den es zu ergründen galt. Und der Norden Nordenglands erst.
„Peter, es ist eine große Freude, mit Ihnen zu arbeiten.“ Sue war bester Stimmung, als sie ihre Unterlagen in ihre Tasche räumte.
Der junge Mann, Sue schätzte ihn auf Anfang Dreißig, strahlte und schaffte es dennoch, seine melancholische Grundbefindlichkeit nicht vollends aufzugeben. Selbstverständlich trug er Schwarz, von Kopf bis Fuß bis hin zum Brillengestell. Der einzige Lichtblick waren seine babyblonden Haare. Er hatte bestimmt Horden von Verehrerinnen, denn Frauen, die mit einem Mutterkomplex gesegnet waren, starben nicht aus. Auch sie musste an sich halten, ihm nicht den Kopf zu tätscheln. „Was halten Sie davon, wenn wir diese harmonische Kooperation bei einem Drink fortsetzen?“
„Yep“, war Peters knappe Antwort. Er fuhr seinen PC herunter, dann durch seine Haare, reichte ihr den Arm und meinte lächelnd: „Wurde auch mal Zeit.“
Sue sah ihn verwundert an. Sie glaubte ja durchaus daran, dass sich für jede geschlossene Tür eine neue Tür öffnete, aber dass Peter Beardsley dahinter stehen würde, überraschte sie doch.
Sie entschieden sich, in eine Weinbar um die Ecke zu gehen, und bereits nach seinem zweiten Glas Chardonnay legte Peter los. „Ich finde Ihren deutschen Akzent unglaublich anziehend.“
„Dieser Meinung sind nicht alle“, meinte Sue und dachte an ihren ersten Arbeitsplatz in einem Londoner Hotel. Sie hatte einen schottischen Bowlingclub betreut, dessen Mitglieder ein Durchschnittsalter von 70 plus aufwiesen. Sobald auch nur ein Wort ihren Mund verlassen hatte, zückte einer dieser Idioten die Hand zum Hitlergruß. Sie hatten sich köstlich über die unsichere Zwanzigjährige amüsiert, die sich den Tränen nah nach dem ersten Tag einer anderen Gruppe hatte zuweisen lassen.
„Das verstehe ich nicht.“ Er rückte etwas näher. „Sagen Sie was.“
„Ich sage doch die ganze Zeit was.“
„Wunderbar.“ Er seufzte begeistert. „Ihr Englisch ist fantastisch, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber diese leichte Färbung der Vokale und diese minimal härteren Konsonanten. Das klingt so“ – er sah in den Raum, während er mit entrücktem Blick nach Worten rang – „erdverbunden. Und autoritär.“
Erdverbunden? Autoritär? Welches Kindermädchen hatte ihn denn auf dem Gewissen? Womöglich stand er auch auf Dominas und erniedrigende Sexspiele. Es war höchste Zeit, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken.
„Meine Tante ist heute gestorben.“
„Oh.“ Der schwärmerische Schleier vor seinen Augen verschwand innerhalb von Sekunden.
Das nannte man einen gelungenen Themenwechsel.
„Das tut mir leid.“ Er starrte auf die Tischplatte und hatte offensichtlich keine Ahnung, was in dieser Situation an Worten angebracht wäre. Plötzlich schien er eine Eingebung zu haben und er sah Sue tief in die Augen. „Vielleicht sollten wir noch etwas trinken?“
„Gerne“, meinte Sue und winkte der Bedienung zu. Es war gut, mit der Trauerarbeit schnellstmöglich zu beginnen. Plötzlich fing Peter an, etwas zu murmeln, und Sue musste sich näher zu ihm beugen, um ihn verstehen zu können.
„Die Nacht dehnte ihre teerschwarze Lache
aus. Unheil verkündend
schlitzt der Uhu den Pfad
mit der Schreckensseide seines Flügels.
Nie wieder werde ich dich rufen,
denn schon verrichtest du dein Tagwerk nicht mehr.
Meine nackte Sohle eilt weiter,
die deine hat Ruh.
Nacht – ein endloses Band
aus wisperndem Schwarz.
Schwer lastet auf meiner Seele
zu wissen: nie mehr, nie mehr.
Um mich herum Stimmen, doch ich bin allein.
Wo bist du, mein Stern,
der meine nackten Sohlen führt
auf den Weg in die Unendlichkeit.“
Sue starrte ihn an. Das Bild der nackten Sohlen tauchte als metergroßes Bild in ihrer Vorstellung auf. Sie waren schwimmen gewesen, obwohl der See eiskalt war. Mama hatte Schnitzel gemacht und Hilde einen ihrer wunderbaren Kuchen gebacken. Ein Picknick im Sommer. Grellblauer Himmel, Sonnenbrand, das Klicken von Papas Kamera. Er hatte Mamas nackte Füße fotografiert, die sie lachend vor seine Linse gehalten hatten. Sie hatte so lustige Füße gehabt, denn der zweite Zeh war deutlich länger als der große. Sue sah die Zehen vor sich, wie sie lustig hin und her wackelten und brach in Tränen aus. Das fiel ihr mittlerweile wirklich leicht.
Peter starrte sie erschrocken an, während die Tränen wie ein Sturzbach aus ihr heraus flossen. Natürlich weinte sie um Hilde, aber sie weinte auch um ihre Kindheit, die nun wieder ein Stück mehr geendet hatte (endgültig natürlich erst mit dem Tod des Vaters, aber daran wollte sie auch nicht einmal ansatzweise denken). Sie weinte um ihre Mutter, sie weinte, weil sie wütend auf Sondra war, und sie weinte, weil dieser wurmartige Fortsatz am männlichen Körper so eine Schlampe war, die sich mit dem billigsten Reiz, nur weil er neu war, zu verloren geglaubten Größen aufschwang. Irgendwann war der Sturzbach versiegt und alle verfügbaren Papiertaschentücher verbraucht.
„Entschuldigen Sie.“ Sue tupfte sich die Augen mit einer Serviette ab. „Ihr Gedicht war“ – jetzt rang sie nach Worten – „sehr ergreifend.“
Worauf Peter ihre Hand