Immer mutig. Paul Scheerbart

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Название Immer mutig
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742766236



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      Paul Scheerbart

      Immer mutig

      Ein phantastischer Nilpferdroman mit 83 merkwürdigen Geschichten

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Impressum neobooks

      Kapitel 1

      Ich hatte mich verstiegen.

       Und das kam mir so selbstverständlich vor.

       So mußte es kommen.

       Jetzt konnte ich nicht mehr weiter; rauf ging's nicht mehr und

       runter auch nicht.

       Allerdings – runter wär's wohl gegangen – runterkommen

       kann man immer.

       Aber die Sache hatte einen Haken.

       Neben mir ging's hinunter in die Tiefe – da hätte ich mich

       kopfüber hineinstürzen können – doch bei dem Sturz wäre mir

       wohl der Atem vergangen – und mein Körper wäre wohl zu Brei

       geworden.

       Ich befand mich in einem Gebirge, das aus hartem Stein

       bestand.

       Es tat mir schon leid, daß ich so rücksichtslos immer höher

       gestiegen war.

       Ich starrte die glatte Felswand vor mir nicht sehr geistreich an;

       in die grausige Tiefe wagte ich nicht hinabzublicken, denn ich

       glaubte, nicht ganz schwindelfest zu sein.

       Und siehe, da hob sich vor mir in der glatten Felswand eine

       Platte heraus und schob sich zur Seite, und ich erblickte in der

       entstandenen Öffnung ein kleines Nilpferd, das kaum halb so groß

       war als ich selbst.

       »Na, Onkelchen,« sagte das Nilpferd, »wohin willst Du?«

       »Ich habe mich verstiegen!« erwiderte ich traurig.

       »Das merkt'n Pferd!« rief da das Nilpferdchen. »Tritt nur

       näher! Oder – willst Du abstürzen?«

       »Nein! Nein!« sagte ich schnell.

       Und ich folgte dem kleinen Tier, das eine Lampe anzündete

       und mich durch einen Felsengang führte ... Nach ein paar

       Augenblicken stand ich in einem sauberen Felsensaal.

       Oben in den hohen, schwarzen Gewölben brannten weiße

       Ampeln aus Milchglas; Birnenform hatten die Ampeln – die

       Stengel hingen unten als dicke Schnüre.

       Jetzt erst bemerkte ich, daß das kleine Nilpferd, das wie ein

       Mensch auf den Hinterbeinen ging, einen dunkelblauen Flanellrock

       anhatte; der ließ nur den Kopf und die vier Füße frei.

       »Nimm Platz!« sagte das Nilpferd, und es setzte sich auf einen

       Schaukelstuhl. Ich setzte mich neben dem großen grünen Ofen auf

       eine Holzbank.

       Eine dunkelgraue Plüschdecke war über den ganzen Fußboden

       gespannt.

       Von Möbeln sah man nicht viel; es schien eine Art

       Empfangsraum zu sein.

       Es war mir aber außerordentlich gleichgültig, wo ich mich

       befand; ich war müde und abgespannt und durchaus nicht froh über

       meine Rettung.

       »Dir ist wohl nicht ganz wohl!« sagte das Nilpferdchen nach

       einer Weile.

       Und ich erwiderte hastig:

       »Wenn das nicht stimmt – dann weiß ich nicht mehr, wie viel

       drei mal drei ist.«

       »Die Antwort,« flüsterte mein Retter, »ist von einer geradezu

       seltsamen Bestimmtheit.«

       Ich starrte den hohen, grünen Ofen an und war stumm wie ein

       Stockfisch.

       Wir hörten im Hintergrunde langsam eine große Uhr ticken

       und rührten uns nicht.

       So mochten wir wohl eine gute halbe Stunde gesessen haben, als

       das Nilpferdchen leise fragte:

       »Hast Du vielleicht ein Manuskript bei Dir, das recht traurig

       stimmt? Du hast doch sonst immer Manuskripte bei Dir.«

       Ich drehte den Kopf langsam um, sah das Nilpferdchen groß an

       und sagte unsicher:

       »Woher weißt Du denn, daß ich sonst immer Manuskripte bei

       mir habe? Ich muß mich doch wundern.«

       Da sprang das Nilpferdchen von seinem Schaukelstuhl auf und

       hopste im Felsensaal herum und rief laut:

       »Er muß sich doch wundern! Er muß sich doch wundern! Daß

       ein redendes Nilpferdchen ihn gerettet hat – das wundert ihn nicht.

       Aber daß das Tierchen so viel weiß – das wundert ihn.«

       Und dann sprang das kleine Vieh ganz dicht an meine Seite

       und sprach im tiefsten Baß:

       »Ich freue mich ganz eklig, daß Du Dich noch wunderst. Leute,

       die sich noch wundern können, sind noch nicht ganz tot. Und daß

       Du noch nicht ganz tot bist, das ist sehr gut. Denn – wärest Du

       ganz tot, so hätte ich's bedauern müssen, Dich gerettet zu haben;

       Leichen rettet man doch nicht.«

       Ich blickte dem Nilpferdchen ins Gesicht und wunderte mich

       jetzt, daß es so gut reden konnte. Und ich fragte leise und höflich:

       »Was soll ich tun?«