Название | Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« |
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Автор произведения | Bernd-Jürgen Fischer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Reclam Taschenbuch |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783159617954 |
Als Lebensgefährte Prousts wird häufig Reynaldo Hahn (s. unten) genannt, und sicherlich war diese lebenslange Freundschaft von zärtlicher Zuneigung geprägt, wie die etwas infantile Turtel-Sprache der Briefe Prousts an Hahn ausweist. Die frühen Briefe geben allerdings Anlass zu der Vermutung, dass die Beziehung zumindest in ihrer Anfangsphase auch sexuelle Aspekte aufwies. So schreibt Proust am 16. Oktober 1894 in wohl eindeutig zweideutiger Absicht an Hahn: »Ihre kleine Gans, die dabei ist, im Stall zu spielen, trägt mir ihre ehrerbietigsten Grüße an den kleinen Meister auf, als dessen respektvolle Diener wir uns zu bezeichnen wagen.« Über die körperlichen Aspekte von Prousts Liebesleben gehen allerhand Gerüchte um, denen Céleste Albaret in ihren Erinnerungen allerdings energisch entgegentritt. Unbestritten sind aber wohl zahlreiche Ausflüge in das Männerbordell, das Albert de Cuziat in der Rue de l’Arcade seit 1916 betrieb. Die dort gesammelten Erfahrungen haben sich – eventuell nur zum Teil – in dem Hotel Jupiens niedergeschlagen, in dem Marcel in Le Temps retrouvé vorgeblich unwissentlich landet. Proust war bereits seit 1911 mit de Cuziat gut bekannt, dessen umfangreiche Kenntnisse aristokratischer Genealogien er schätzte.
Etwas unklar ist in dieser Hinsicht Prousts Verhältnis zu der Schauspielerin Louisa de Mornand, der Geliebten seines Freundes Louis d’Albufera. Louis hatte Proust offenbar in Verdacht, mit Louisa angebändelt zu haben, was dieser aber im Juni 1903 in einem Gedicht an Albufera (in: Cahiers Marcel Proust 10, S. 141–143) weit von sich weist. Ein Gedicht an Louisa selbst vom April 1904 beweist allerdings eine verdächtige Vertrautheit Prousts mit ihrem Boudoir (siehe Cahiers Marcel Proust 10, S. 127 f.) – ein Verdacht, den sie 1928 in einem Interview mit der Zeitschrift Candide allem Anschein nach bestätigt –, wogegen dann allerdings wieder Prousts Brief an Louisa vom 9. Juli 1903 zu sprechen scheint: »glauben Sie nicht, dass dies eine indiskrete, anmaßende und fehlgeleitete Art sei, Ihnen den Hof zu machen. Nicht nur, dass das sinnlos wäre, denn Sie würden mich schnellstens davonjagen, ich würde auch lieber eher sterben, als die Augen zu der bewunderten Frau eines Freundes zu erheben …« (Corr. III, S. 366); aber danach mag ja noch viel passiert sein!
Bekanntschaften
Nicht ganz ohne Grund hatte André Gide Proust als einen »mondain amateur« eingeschätzt (Brief vom 11. 1. 1914, s. auch unten): Schulfreunde führten ihn in die Salons ihrer Mütter ein, wo er offenbar mühelos neue Freundschaften schloss, die ihn in weitere Salons einführten, und so weiter. Der Kreis der Freunde und Bekannten wuchs damit ins Uferlose, so dass hier nur die wichtigsten Persönlichkeiten hervorgehoben werden können; einen deutlich umfangreicheren Überblick, der aber trotz der 188 Einträge noch immer eine Auswahl darstellt, gibt Michel-Thiriets Marcel Proust Lexikon. Für das volle Spektrum muss auf Tadiés Biographie verwiesen werden.
Ein entscheidender Schritt in Prousts Leben war sicherlich der in den exklusiven Salon der Madame Madeleine Lemaire (1845–1928) in der Rue de Monceau, denn dort schloss er 1893 engere Bekanntschaft mit Robert de Montesquiou und 1894 mit Reynaldo Hahn, den beiden zentralen Personen in seinem geistigen Leben (Montesquiou hatte bereits bei Prousts Eltern gesellschaftlich verkehrt). Madame Lemaire hatte Proust vermutlich im Salon der Madame Straus kennengelernt, der Mutter seines Schulfreundes Jacques Bizet. Madame Lemaire war Malerin und deshalb mit der Kunstszene wohlvertraut, und zudem eine Freundin der Princesse Mathilde, die ihr den Zugang zu höchsten Adelskreisen eröffnete.
Comte Robert de Montesquiou-Fezensac (1855–1921) war ein unvergleichlicher Repräsentant dieser Salon-Szene; er entstammte einem alten, vermögenden Adelsgeschlecht und kehrte dieses auch gern heraus; ein Dandy und Snob, aber gut aussehend und intelligent, stellte er eine Art Leitfigur für die Jugend des Adels und des gehobenen Bürgertums dar. Proust bewunderte vor allem sein sicheres künstlerisches Urteil und apostrophierte ihn in einer Rezension als einen »Lehrer des Schönen«; seine symbolistischen Gedichte kursierten in den mondänen Kreisen, fanden darüber hinaus aber kaum Verbreitung und wurden nach seinem Tod weitgehend vergessen. Seine Autobiographie Les Pas effacés (1923) bildet jedoch eine wichtige Informationsquelle über seine Zeit. Als 1919 der zweite Band der Recherche erschien, erkannte Montesquiou sich in dem Baron de Charlus wieder und war nicht amüsiert (siehe Corr. XVIII, S. 468 ff.) – die Beziehung litt entsprechend, trotz Prousts Beteuerung, dass er vielmehr den Baron Doäzan im Auge gehabt habe (siehe Corr. XX, S. 194 f.). Dennoch kann man wohl mit François Mauriac und Jacques-Émile Blanche sagen, dass die Recherche ohne den Einfluss und das Vorbild Montesquious nicht geworden wäre, was sie ist.
Durch Robert de Montesquiou lernte Proust zahlreiche Mitglieder des französischen Adels kennen, die dann auch die eine oder andere Spur in der Recherche hinterlassen haben: nach dem Erscheinen des jeweils nächsten Bandes war es ein beliebtes Pariser Ratespiel, zu ermitteln, wer wohl wer sei. Die wichtigsten von Robert vermittelten Bekanntschaften waren die mit Boni de Castellane, Élisabeth de Clermont-Tonnerre und mit Maurice Barrès.
Der Marquis Boniface (»Boni«) de Castellane (1867–1932) war eine kaum weniger schillernde Figur als Montesquiou, warf allerdings noch ungehemmter mit Geld um sich als dieser. Dank seiner Ehe mit der Amerikanerin Anna Gould, der Erbin eines Eisenbahnmagnaten, schienen die Mittel unerschöpflich: am 2. Juli 1896 etwa gaben die Castellanes im Bois de Boulogne ein Fest für 3000 Gäste.5 Nach dem Bau eines Palastes aus rosa Marmor an der Avenue du Bois sahen die Dinge allerdings anders aus. Anna ließ sich 1906 von ihm scheiden, und Boni musste sich dazu bequemen, seine teuer erworbene Expertise mit erlesenen Sammlerstücken als Antiquitätenhändler für den Broterwerb zu nutzen.
Die Kochbuch-Autorin Duchesse Élisabeth de Clermont-Tonnerre (1875–1954) lernte Proust 1903 kennen; sie wurde bald zu einer seiner engsten Vertrauten. Élisabeth stand dem Dichterinnenkreis um Nathalie Barney nahe, der seinerseits Sappho nahegestanden haben soll und zu dem insbes. Lucie Delarue-Mardrus gehörte, die Frau des 1001 Nacht-Übersetzers Joseph-Charles Mardrus.
Den Politiker und Schriftsteller Maurice Barrès (1862–1923) schließlich lernte Proust 1891 vermutlich durch Montesquiou kennen; mit seinen nationalistischen Überzeugungen, die er in Wort und Schrift zum Ausdruck brachte, konnte Proust wohl nicht viel anfangen; dafür bewunderte er aber seinen leicht fließenden, durchrhythmisierten Stil. Barrès ist sicherlich neben Alphonse Daudet und Anatole France ein Leihgeber für den »style Bergotte«.
Reynaldo Hahn (1874–1947),6 ein empfindsamer, feinfühliger Sänger, Pianist und Komponist, der Proust bis an dessen Lebensende in einer zärtlichen Freundschaft verbunden blieb, war in gewisser Weise die Gegenfigur zu dem exaltierten, exzentrischen und extrovertierten Montesquiou. Hahn wurde in Caracas als Sohn einer baskischen Venezolanerin und eines jüdischen Kaufmanns aus Hamburg geboren, verließ aber bereits 1878 zusammen mit seiner Familie Venezuela in Richtung Paris. Dennoch sprach er fließend Spanisch »mit einem ausgesprochen heimatlichen Akzent« (so der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier, der Hahn in den Dreißigern besuchte, am 16. August 1951 in der venezolanischen Tageszeitung El Nacional). Im Salon Lemaire spielte Hahn Lieder von Schubert, Schumann, Gounod sowie eigene Vertonungen von Gedichten Verlaines am Klavier; sein umfangreiches Œuvre wird noch heute zumindest in Frankreich hoch geschätzt. Hahn machte Proust mit der Musik von Saint-Saëns bekannt, dessen Sonate in d-Moll für Geige und Klavier mit Hahn am Piano im Salon Lemaire in Prousts Gegenwart aufgeführt wurde; die »kleine Phrase« daraus wurde zu einem Leitmotiv ihrer Freundschaft. In Ruskins Todesjahr und vermutlich anlässlich dieses Todes am 20. Januar 1900 unternahmen Proust und seine Mutter im Mai eine Reise nach Venedig,