Die Wohlanständigen. Urs Schaub

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Название Die Wohlanständigen
Автор произведения Urs Schaub
Жанр Языкознание
Серия Simon Tanner ermittelt
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551959



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Das Verhalten dieser Menschen kam seiner Weltsicht entgegen. Michel hatte den Eindruck, als ob er sich freute, dass diese Leute sich genauso verhielten, wie seine Partei es immer an die Wand malte. Ihn quälte die brutale Verhaltensweise dieser Leute natürlich auch, aber er schloss dadurch nicht auf die gesamte Bevölkerung eines Landes. Es ärgerte ihn maßlos, wie triumphierend sein Chef den Fall er­lebte. Er versuchte, kühlen Kopf zu bewahren und vernahm einen nach dem anderen der jungen Männer, aber sie schwiegen beharrlich und verwiesen unisono auf ihren Anwalt, der erst morgen früh zurück in der Hauptstadt sein würde. Daraufhin drohte Von der Werdt ihnen mit sofortiger Abschiebung und nahm noch am selben Abend Kontakt mit der Ausländerbehörde auf. Michel schüttelte nur den Kopf, denn noch waren die Gesetze in diesem Land nicht so, wie es sich die Partei seines Vorgesetzten wünschte. Hingegen blickte Michel immer wieder verstohlen auf die Uhr und verfolgte verzweifelt, wie die Zeit verging. Lena hatte er be­reits nach Hause geschickt. Beim Abschied hatte sie ihm zugeflüstert, dass sie fündig geworden sei. Michel hatte sie nur verständnis­los angeguckt. Erst als sie gegangen war, war ihm ein Licht aufgegangen. Sie hatte wohl das Mikrofon in seinem Büro gefunden.

      Auch wenn die jungen Männer beharrlich schwiegen, war die ganze Aktion dann doch erst weit nach Mitternacht zu Ende. Ge­nauso wie es Michel befürchtet hatte. Er fuhr nach Hause, duschte, ging ins Bett und konnte doch nicht schlafen, obwohl er erschöpft war. Er wälzte sich von einer zur anderen Seite und versuchte sich vorzustellen, dass Mali bei ihm wäre. Es gelang ihm nur kläglich. Schließlich übermannte ihn die Erschöpfung. Gegen Morgen träumte er, dass ihn seine Wohnungsvermieterin, die ihm seit Jahren den Haushalt und jeden Tag leckere Sandwich machte, überraschend zum Sex nötigte. Schweißgebadet schreckte er aus dem Schlaf hoch, nur wenige Augenblicke, bevor sein Wecker läutete. Voller Wut warf er ihn gegen die Wand, wo er scheppernd zerbrach.

      Die nächsten zwei Tage verbrachte er missmutig im Büro. Die Verhöre von Bekims Cousins wurden noch einmal verschoben, weil Von der Werdt unbedingt dabei sein wollte, aber vorher auswärts noch dringende Termine hatte. Endlich wurde es am zweiten Tag Abend und der lang ersehnte Augenblick kam. Er ging nach Hause, duschte ausgiebig und machte sich auf den Weg zu Mali.

      Ihr kleines, adrettes Einfamilienhaus stand in einem steuerbegünstigten Vorort der Hauptstadt. Michel atmete einmal kurz durch und klingelte. Er erschrak über den lauten Klingelton, der bis nach außen zu ihm durchdrang und die Totenstille schrill zerriss, die in diesem Quartier herrschte. Dann hörte er schnelle Schritte, die Tür ging auf und Mali mit ihrem feuerroten Haar strahlte ihn an.

      Komm herein. Gut, dass du nicht fünf Minuten früher gekommen bist, da war ich gerade noch unter der Dusche.

      Sie gab ihm die Hand.

      Sie hatte eine schwarze Hose und eine giftgrüne Bluse an, die ihre roten Haaren krass zur Geltung brachten.

      Da waren wir ja gleichzeitig unter der Dusche. Du bei dir und ich bei mir …

      Mali lachte.

      Könntest du die Schuhe ausziehen, bitte.

      Michel setzte sich auf einen kleinen Hocker und zog die Schuhe aus.

      Komm, der Tisch ist gedeckt. Ich habe für uns gekocht.

      Essen? Darauf hatte sich Michel nun ganz und gar nicht einge­stellt. Im Gegenteil: Er hatte vor dem Besuch ja noch extra etwas gegessen.

      Sie führte ihn in das Wohnzimmer zu einem festlich gedeckten Tisch. Alles glitzerte und funkelte. Die Teller hatten goldene Ränder, das Besteck war hochglänzend silbrig und die langstieligen Kristallgläser reflektierten das Kerzenlicht eines schweren Silberleuchters, der in der Mitte des Tisches thronte.

      Setz dich, Serge. Ich hole den Champagner.

      Michel setzte sich schwer atmend und musterte das Wohnzimmer, als ob es sich um einen Tatort handeln würde. Die Einrichtung entsprach nun ganz und gar nicht seinem Geschmack. Es hingen viel zu viele Bilder an den Wänden. Reproduktionen alter Meister in viel zu protzigen Rahmen. Da ein Kommödchen, dort ein kleines Gestell mit irgendwelchen Porzellanfigürchen. Ein weißer flauschiger Teppich.

      Mali kam nun schwungvoll mit einer Flasche Champagner an den Tisch.

      Und wie gefällt es dir bei mir?

      Michel schluckte.

      Schön. Sieht alles sehr geschmackvoll aus. Ich habe mich nur ge­rade gefragt, wie du so einen schneeweißen Teppich sauber hältst.

      Sie strahlte ihn an.

      Erstens ziehen Besucher die Schuhe aus, und dann habe ich eine sehr gute Schamponiermaschine. Einmal im Monat wird der Teppich einer gründlichen Reinigung unterzogen.

      Sie machte gekonnt die Flasche auf und füllte beide Gläser.

      Auf was wollen wir trinken, Serge?

      Michel erhob sich.

      Auf unsere Begegnung?

      Das ist eine sehr gute Idee.

      Sie stießen an. Mali kam näher, streckte sich und gab ihm einen leichten Kuss auf die Lippen. Er roch ihr Parfum, das einen sehr betörenden Duft verströmte. Leider wandte sie sich gleich wieder um und setzte sich an den Tisch.

      Dass wir uns wieder getroffen haben! Das ist doch wirklich wahnsinnig. Seit der Schule haben wir uns nie mehr gesehen, und dann tauchst du plötzlich im Hause Krättli auf.

      Michel nickte, prostete ihr noch einmal zu und leerte das Glas in einem Zuge. Mali erhob sich sofort, kam mit der Flasche zu ihm und füllte erneut sein Glas. Wieder konnte er den Duft ihres Parfums riechen. Diesmal konnte er auch einen kurzen Blick in ihre dezent geöffnete Bluse werfen.

      Wie bist du denn eigentlich zur Polizei gekommen? Ich war ja vollkommen überrascht.

      Michel begann zögernd zu erzählen.

      Also, meine Mutter ist relativ früh gestorben. Wir waren ja nicht gerade reich. Gymnasium kam für mich nicht in Frage. Also bin ich nach langem Hin und Her auf die Polizeischule und habe mich langsam hochgearbeitet. Nach zwei Jahren Praktikum in London bei Scotland Yard haben sie mich gleich zum Kommissar gemacht. Ich war, glaube ich, der jüngste Kommissar aller Zeiten. Damals ging das noch. Heute brauchst du für meine Position eine Hochschulausbildung. Er leerte das Glas ein zweites Mal. Mali stand so­fort wieder auf und schenkte ein. Er sog tief ihren Duft ein und hoffte auf einen weiteren Einblick. Diesmal beugte sie sich aber nicht sehr weit, und er sah bloß ihren schönen Hals.

      Das ist ja großartig. Wolltest du denn nicht gleich in London bleiben?

      Er lächelte.

      Nein, mich zog es wieder in die Heimat zurück. London war doch sehr hektisch.

      Sie lächelte verschmitzt.

      Und? Hattest du dort eine Freundin?

      Nein, meine Arbeitszeit ließ das gar nicht zu. Ich war praktisch Tag und Nacht in Bereitschaft.

      Bevor sie weiter in ihn dringen konnte, begann er Fragen zu stellen.

      Und du? Bist du schon lange im, äh … Hause Krättli, so hast du die Kanzlei genannt, glaube ich.

      Sie winkte ab.

      Ach, schon ewig. Also nicht immer am Stück. Als ich noch verheiratet war, musste ich eine Zeitlang zu Hause bleiben, aber da habe ich mich furchtbar gelangweilt. Nach der Scheidung habe ich sofort wieder gearbeitet.

      Dann stand sie abrupt auf.

      So. Ich hole jetzt die Vorspeise.

      Sie ging trällernd und hüfteschwingend aus dem Wohnzimmer. Gleich darauf kam sie mit zwei Tellern zurück.

      Magst du Avocado?

      Michel nickte. Er war innerlich entschlossen, alles gut zu finden und bei allem mitzumachen.

      Ja, sicher. Ich liebe Avocados.

      Das freut mich, ich habe eine Sauce mit Krevetten dazu ge­macht.

      Sie stellte den Teller vor ihn, und er legte blitzschnell seinen Arm um Malis Hüften.