Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

Читать онлайн.
Название Reportagen 1+2
Автор произведения Niklaus Meienberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551591



Скачать книгу

holen. Der «Zürcher Journalistenpreis» wurde bisher nicht für todesmutige Reportagen verliehen. Hier kann man mit Schreiben höchstens eine Stelle, nicht das Leben riskieren. Aber etwas wäre doch denkbar: Falls und wenn der Krieg zu Ende geht, wollt Ihr Euer zerstörtes Zeitungsgebäude wieder aufbauen, und dafür wird jetzt schon, optimistisch, Geld gesammelt.

      Gefühle beim Öffnen der täglichen Post und Hinweis auf das «Interstellar Gas Experiment»

      (Ein Tagebuch)

      Da ist wieder viel Post in den Briefkasten geknarrt, geknallt, geknattert, und oft von Leuten, denen ich nie geschrieben habe und die sich doch angesprochen fühlen. Lebhaftestens! Andere Sendungen kommen leise angeflattert, sanft herbeigerauscht. Das ist eine ewige Sauna, kalt/heiss, heiss/kalt, und man wird dann mit der Zeit doch abgehärtet. (Liäbs Büsi/Bösi Chatz). Zwei, drei Briefe pro Tag, bei feierlichen Gelegenheiten, Dreizack-Manöver oder Bundesratwechsel, sind es auch mehr. Die feierlichen Gelegenheiten häufen sich in letzter Zeit.

      Herr Niklaus Meienberg.

      Sie, nur Sie sind die grauenhafte Maus. Sie wollen geschult, ein Schurnalischt sein, und beweisen, dass Sie auf den Rollschuhen durch die Kinderstube sausten, d.h. keine Erziehung genossen und keinen Funken Anstand haben.

      Warum bleiben Sie denn in der Schweiz, wo eine so miese Regierung regiert? Warum melden Sie sich nicht selber als Bundesrat, da Sie es doch viel, viel besser machen könnten? Geben Sie doch das Schweizerbillet ab und verschwinden Sie irgendwohin ins Ausland, Sie Hetzbruder.

      Das war ein guter Tip, und ist der Adressat dann nach Weihnachten auch wirklich ins Ausland verschwunden; konnte aber genau deshalb sein Schweizerbillet nicht abgeben, weil ohne: kein Grenzübertritt. Daran hat Frau P. nun wieder nicht gedacht. Und wie stellt sie sich die Zustände in der Meienbergschen Kinderstube vor? Ich war ein verträumter Bub, viel zu ruhig, die Mutter machte sich Sorgen, wär' ich doch nur auf Rollschuhen in der Stube herumgesaust, aber Rollschuhfahren wollte der Zweitjüngste nicht mal auf der Strasse. Frau P., Sie haben abenteuerliche Fantasmagorien, und Ihr Name ist etwas kurz geraten. Wie lautet Ihr voller Name? Purtschikofer? Postillon? Pizza? Piazza? Pestalozzi? Frau Punktum?

      Nach dem P. haben Sie einen Punkt gemacht, Unterschrift: Frau P. (Poststempel Lenzburg). Vielleicht sind Sie aber auch ein Herr, der letzte Satz deutet auf physische Kraft und Männlichkeit: «Euch gehörte der Kopf umgedreht.» Aber vielleicht bedeutet er Ohnmacht? Ich stelle mir vor, wie das knirscht im Genick, wenn der Kopf gehörig umgedreht wird.

      Am nächsten Tag ist ein Paketchen im Milchkasten, das hätte dem Empfänger beinahe den Kopf verdreht. Zuoberst ein Brief auf rosarotem Papier:

      Lieber Niklaus Meienberg! Ich bin 13jährig und habe ein etwas seltsames Hobby. Mein Götti hat mir vor mehr als einem Jahr ein Fotoapparat geschenkt, mit dem ich nicht nur Familienbildchen knipsen möchte.

      Ich sammle nämlich Fotos von schweizerischen Persönlichkeiten, die ich verehre. Zuerst schrieb ich Herrn Nationalrat Jaeger und prompt schrieb er zurück und die Filme ergaben tollste Fotos von ihm, und das mit meinem Föteler geknipst! Ich bin «an Sie geraten», weil mein Papa ein Buch von Ihnen las. Ich schnupperte ein wenig darin und geriet an «Herr Engel in Seengen …». Diese Geschichte gefällt mir sehr, nicht zuletzt darum, weil ich in der Nähe wohne. Ich bin viel mit Ihnen gleicher Meinung nur nicht bei der Abschaffung des Militärs. Mit einem ein klein wenig schlechten Gewissen schicke ich Ihnen nun meinen Föteler und hoffe, dass Sie ein wenig Zeit finden, um ein paarmal abzudrücken (damit Sie gut drauf sind, roter Punkt vorne = Selbstauslöser, den Rest müssen Sie in der Beschreibung nachlesen). Alles ist eingestellt, Film und Batterien drin, Sie können nun drauflos knipsen soviel Sie wollen. Vielen Dank zum Voraus und entschuldigen Sie bitte die Störung, Ihre Sabrina G. – Beilage: Apparat, Foto von mir, Rückantwortadresse und Porto.

      Nun hätte also der umgedrehte bzw. verdrehte Kopf gefötelet werden müssen, aber eine unüberwindbare Scheu vor der Technik hinderte den etwas in Verlegenheit geratenen Exploranden daran, und so stand der Föteler lange in einer Ecke des Vestibüls, halb lockend, halb drohend, und das dritte Auge von Sabrina G., welches so weit gereist war, ist blind geblieben. Es ging einfach nicht, obwohl es bei Franz Jaeger auch gegangen war. Aber vielleicht hätte man doch drauflos knipsen und u.a. ein Foto an Frau P. in Lenzburg schicken sollen mit der Unterschrift: «Schweizerische Persönlichkeit».

      Damit man nicht übermütig wird, kommt am nächsten Tag ein Geschenk von Philipp Engelmann ins Haus geplumpst, nämlich sein nun in Buchform erschienenes Theaterstück «Die Hochzeitsfahrt» (Ammann Verlag). Darüber hatte Andreas Simmen in der WOZ eine Glosse geschrieben – ziemlich scharf. (Und intelligent.) Und Philipp Engelmann schenkt mir nun also sein Buch mit der Widmung: NIKLAUS DEN SCHAFSECKEL I. KLASSE. (Er hat halt gern Dialekt.) Und Dieter Bachmann schreibt im Vorwort: «Es ist bei Engelmann so, als schreite einer auf einer hauchdünnen Schicht Hochdeutsch, einer sprachlichen Trag- oder Oberfläche, unter der der See oder das Reservoir des unermesslichen reicheren Mundartlichen sich abteuft.» (Aha!) Der junge aufstrebende Geschäftsmann Engelmann hatte mich seinerzeit dringend ersucht, eine Besprechung seines Schwankes zu liefern, auch ein Verriss sei ihm recht, nur einfach etwas von mir müsse es sein, so eine tüchtige Kontroverse würde der Sache Beine machen. Und, so sagte er noch vor der Uraufführung seines Stückleins, er habe Angst, dass sein opus II, welches er jetzt gleich zu schreiben beginnen wolle, nicht mehr so toll gerate wie «Die Hochzeitsfahrt».

      Ja, so sind die Zustände am Schauspielhaus.

      Nun muss man ihm wohl etwas antworten und die nette Widmung verdanken –

      Sehr geehrter Zappel-Philipp, handelt es sich um einen Knall i de Bire? Ich habe Ihr Stück aufmerksam gelesen, noch im ungebundenen Zustand, und habe Ihnen detailliert meine Kritik daran telefoniert. Ich fand es missglückt (das ist wohl meine Freiheit?). Dann habe ich es gesehen und fand es noch missglückter. Darauf habe ich mir die Freiheit herausgenommen, nichts darüber zu schreiben. Ihre Vermutung, «Andreas Simmen» sei ein Pseudonym für «Meienberg», ist nicht die intelligenteste. Wenn ich ein Pseudonym benutze, dann sicher nicht die echten Namen von WOZ-Redakteuren. Simmen ist, wie Sie vielleicht notieren mögen, ein exzellenter Kultur-Kritiker (vgl. seine Artikel zur südamerikanischen Literatur) und ein selbständig urteilender Mensch. Sie sind also auf dem falschen Dampfer und sollten den Gedanken, dass dieser N.M. alles manipuliert und fernlenkt, aus Ihrem Köpfchen verbannen. Es ist ein typischer NZZ-Gedanke. Mit zahlreichen Grüssen und Wünschen für einen frohen Lebensabend, Ihr N.M.

      Auch Herrn Pest A. Lozzi in Herrliberg habe ich veranlasst, einen Brief zu schreiben. Den schickte er allerdings nicht mir, sondern der «Zürichsee-Zeitung», und dort las ihn mein Cousin, der Kantonsrat G., und hat ihn mir geschickt. Dergestalt hat man wieder einmal Kontakt mit der Verwandtschaft! Lozzi, auch so ein Energiebündel wie Engelmann, soll identisch sein mit dem Hersteller des Kraftfutters BIOSTRATH, wovon er offensichtlich ein Kilo verschlungen hat, bevor er schrieb:

      Ärgerliche Tagesschau. – In den Abendnachrichten vom Mittwoch, 19.30 Uhr, brachte das Schweizer Fernsehen zum Abschluss des kurzen Manöverberichts eine einmalig schlechte Einlage, die vom Kamerateam wahrscheinlich als Gag gedacht war. Auf die gezielte Frage des Journalisten an den im Feld anwesenden Schriftsteller Niklaus Meienberg, weshalb er hier sei, meinte dieser, «er wolle noch einmal die Schweizer Armee sehen, bevor sie abgeschafft würde …». Eine Ohrfeige ins Gesicht all jener, die zur Zeit gern oder ungern und unter meist widrigen Umständen für unser Land ihre Bürgerpflicht erfüllen. Allen Wehrmännern sei hierfür gedankt. F. Pestalozzi, Herrliberg.

      Da ist er aber falsch orientiert, ganz falsch. Die Wehrmänner, welche damals in der Kaserne Kloten ihr Abendessen verzehrten, während die Tagesschau lief, haben sehr laut applaudiert und Freude gehabt, als sie jene Äusserung hörten. Das war eine richtige Freuden-Explosion, die konnten fast nicht mehr essen vor Freude. Allen Wehrmännern sei hierfür gedankt! Ich hab' ja auch nur meine Bürgerpflicht erfüllt und gern darauf hingewiesen, dass nun bald die Initiative zur Abschaffung der Armee vor das Volk komme und eben deshalb diese Maschine noch einmal besichtigt werden müsse. Diesen Zusammenhang hat der Kraftfutter-Fabrikant P. offensichtlich nicht ganz begriffen.

      Bisschen aufpassen das nächste Mal, Herr Biostrath!