DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis. Daniel Jödemann

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Название DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis
Автор произведения Daniel Jödemann
Жанр Языкознание
Серия Das Schwarze Auge
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783963319761



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hatte schon einen Svartspiki gesehen, doch noch nie einen solchen Wal. Dennoch war eindeutig, womit sie es zu tun hatten. »Ein Antjahwalaz! So weit weg vom Eiwara?«

      Jurga ließ den Blick nicht von dem Pottwal. Sie starrte ihn aus aufgerissenen Augen an.

      »Siehst du den Kopf?«, fuhr er aufgeregt fort. »Der misst sicher zwei Mannslängen. Bestimmt ein Bulle, zwölf, vielleicht dreizehn Schritt lang!« Er suchte nach den Riemen. »Weißt du, was das bedeutet?«

      Jurga reagierte nicht.

      Der graue Riese näherte sich langsam, immer wieder tauchte sein klobiger viereckiger Kopf auf, immer wieder stieg sein Blas prustend in die Höhe. Seine Fluke, zwei große granitgraue Dreiecke, erhob sich träge aus dem Meer.

      »Hasgar«, raunte seine Schwester. »Siehst du das?«

      »Natürlich, er ist ja nicht zu übersehen.« Er legte hastig das zerschnittene Netz beiseite. »Ein Geschenk Effars! Vier oder fünf Boote werden reichen.«

      »Siehst du das?«, hauchte Jurga. »Hasgar …«

      Der Wal ließ sich nicht von ihnen beirren. Er setzte seinen Weg fort und würde das Fischerboot bald passieren.

      Hasgar verharrte und musterte seine Schwester überrascht. Sie hatte die Augen weit aufgerissen. Tränen glänzten auf ihren Wangen. »War der Schlag auf den Kopf so heftig?« Er stieß sie an. »Setz dich, ehe du über Bord gehst! Ich rudere uns zurück. Der bringt die ganze Sippe durch den Winter.«

      Der Pottwal ließ sich ein Stück weit unter Wasser sinken. Der Bulle war kräftig, bestimmt ausdauernd genug, um viele Harpunen zu ertragen und fünf oder sechs Boote zu schleppen, ehe er müde wurde.

      Hasgar war noch nie bei der Waljagd dabei gewesen, es geschah nicht oft und er hatte erst vor Kurzem die Sippenrune erhalten. Vielleicht gestattete Vater es ihm heute. Nein – ganz sicher gestattet er es, wenn ich ihm die frohe Botschaft überbringe.

      Abrupt wandte sich Jurga ihm zu, so als wäre ihre Benommenheit verflogen. Ihre Augen zogen sich zusammen. »Was redest du da?«

      »Wir hofften auf ein Netz Fische und stattdessen macht uns das Meer dieses Geschenk! Im Dorf werden sie uns voller Dankbarkeit küssen.« Er nahm auf der Ruderbank Platz und legte sich die Riemen zurecht.

      »Warte!« Jurga war mit einem Satz bei ihm. Das Boot schwankte, als sie ihm überraschend kraftvoll eines der Ruder entriss. »Das kannst du nicht tun! Das darfst du nicht!«

      »Wovon redest du?« Er blickte verärgert zu ihr auf. »Wir verschwenden kostbare Zeit!«

      Sie trat zurück, das Ruder fest an sich gepresst. »Schwör mir, dass du kein Wort über den Wal verlierst!«

      »Du hast dir den Kopf heftiger gestoßen, als ich dachte.« Hasgar rappelte sich auf und griff nach dem Riemen. »Gib ihn mir!«

      Jurga ließ nicht davon ab. Ihr Gesicht rötete sich. »Schwör es mir!«

      Er riss den Riemen an sich. »Setz dich!«

      Mit einem heiseren Schrei warf sie sich auf ihn und packte erneut das Ruder.

      »Was ist nur in dich gefahren?« Er rang mit ihr, doch seine Schwester brachte nun eine überraschende Kraft auf. Ihr Gesicht rötete sich, sie knirschte mit den Zähnen und ihre Knöchel, die das Holz des Ruders umklammerten, wurden weiß.

      Der Antjahwalaz ließ sich träge in die Tiefe sinken.

      Das Boot schwankte heftiger, als die beiden ältesten Kinder Tjalfs verbissen miteinander rangen.

      Mit enormer Anstrengung entriss Hasgar seiner Schwester den Riemen. »Reiß dich zusammen! Wir kentern!«

      Sie stieß einen Schrei aus und sprang erneut vor.

      »Schluss!« Hasgar versetzte Jurga einen Hieb mit der flachen Seite des Ruders und schickte sie zu Boden.

      Sie sah zu ihm auf, ihr Gesicht vor Wut und Zorn verzogen. Sie griff nach der Bordwand.

      »Bleib liegen!«, befahl er und hob drohend das Ruder. »Ich mag es nicht, den Erwachsenen herauszukehren, aber denk daran, dass ich schon die Sippenrune habe!«

      Jurga zog sich empor. Ein dünner Faden Blut rann von ihrer Stirn herab. Sie presste scheinbar unzusammenhängende Worte hervor.

      »Was tust du da?« Erneut hob Hasgar seine provisorische Waffe. »Wenn es sein muss, trage ich dich zurück! Willst du das?« Sie rappelte sich auf. Er hob den Riemen höher. »Jurga …«

      Der Pottwal durchbrach direkt neben ihnen wieder die Wasseroberfläche, ein grauer Riese, der sie beide überragte. Prustend schoss sein Blas empor und ging auf sie nieder.

      Erschrocken sank Hasgar auf die Knie. Die Welle erfasste das Boot, es neigte sich zur Seite.

      Er sah zu Jurga auf, die einfach nur dastand und den Wal anstarrte. Der Antjahwalaz ließ sich langsam wieder unter Wasser sinken. Sie streckte die Hand aus, reckte sich ihm entgegen, so weit sie konnte, doch ihre Fingerspitzen erreichten ihn nicht. Ein verzückter Ausdruck lag in Jurgas Gesicht, eine Träne rann über ihre Wange. Der Meeresriese glitt an ihnen vorbei.

      »Jurga, was ist nur in dich gefahren?«

      Ein Schatten fiel auf sie.

      »Vorsicht!«, stieß er hervor.

      Die Fluke des Wals kam herab und traf krachend auf ihre Nussschale.

      Hasgar wurde emporgeschleudert und landete im Wasser. Aufschlag und Kälte betäubten seinen Leib. Es wurde still und dunkel um ihn herum, tausende Luftblasen umtanzten ihn.

      Hastig orientierte er sich, fand Licht, zwang sich dazu, seine tauben Glieder zu bewegen und Schwimmzüge zu machen.

      Ein graues Ungetüm zog an ihm vorbei. Außer Reichweite, aber mächtig genug, dass ihn der Sog erfasste und mitzureißen drohte. Ein langgezogenes Knirschen erfüllte seine Ohren, vibrierte in seinen Knochen und betäubte seinen Schädel. Er schrie und stieß einen Schwall von Luftblasen hervor.

      Irgendwie gelang es ihm, seine Arme und Beine dazu zu bringen, sich zu regen, und strebte hastig dem Licht entgegen. Prustend durchbrach er die Wasseroberfläche, kehrte zurück ins graue Zwielicht und sog die kalte Luft in seine Lungen.

      Das Boot trieb mit dem Kiel nach oben. Hasgar hielt darauf zu. Wassertretend, eine Hand an den rauen Planken des Fischerbootes, sah er sich um.

      Der feine Nebel hatte sich verflüchtigt und ein leichter Wind war aufgekommen, der die Oberfläche des Meeres kräuselte. Am Horizont ragten die Berge empor, die ihm den Weg zurück nach Hause wiesen.

      »Jurga?« Er hustete, seine Augen glitten suchend umher.

      Über ihm kreisten Gletschermöwen und verspotteten ihn höhnisch. Ein Stück entfernt trieb eines ihrer Ruder.

      Sein Herz setzte einen Schlag aus. Wie lange ist sie schon unten? Ich habe sie verletzt! Hat sie das Bewusstsein verloren? Er holte tief Luft und ließ sich wieder in das kalte dunkle Wasser sinken. Blinzelnd blickte er umher. Gib sie mir zurück, Effar! Sie ist keine Opfergabe!

      Da war nichts. Keine Bewegung, so weit seine Augen die düstere Welt unter der Meeresoberfläche durchdringen konnten.

      Er durchbrach wieder die Oberfläche. »Jurga!«, schrie er heiser über das Wasser hinweg. »Jurga!«

      Nur das Kreischen der Möwen antwortete ihm.

      ***

      Hasgar eilte auf das Langhaus seiner Familie zu, Jurgas leblosen nassen Leib in den Armen. Grani und Tola blickten auf. Sie spielten mit den Holzfiguren, die er ihnen letzten Winter geschnitzt hatte: ein Wolf, ein Bär, ein Blutbüffel.

      Die Zwillinge verstanden zunächst nicht und starrten ihre älteren Geschwister überrascht an. Dann trat Schrecken in ihre Gesichter.

      »Hol Vater, Tola!«, befahl Hasgar seiner kleinen Schwester keuchend. Die Kälte hielt ihn nun fest im Griff. Seine Lungen schmerzten.