Chassidismus. Susanne Talabardon

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Название Chassidismus
Автор произведения Susanne Talabardon
Жанр Документальная литература
Серия Jüdische Studien
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846346761



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       [Zum Inhalt]

      |17|2. Chassid und Zaddik: Thema und Variationen in der jüdischen Tradition

      Albertz, Rainer, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, Teil 2: Vom Exil zu den Makkabäern, ATD Grundrisse zum Alten Testament, Bd. 8/2, Göttingen ²1992.

      Becker, Michael, Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum. Studien zum Phänomen und seiner Überlieferung im Horizont von Magie und Dämonismus, WUNT 144, Tübingen 2002.

      Grözinger, Karl Erich, Jüdisches Denken: Theologie, Philosophie, Mystik, Bd. 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus, Frankfurt/M., New York 2005.

      Marcus, Ivan G., Piety and Society: The Jewish Pietists of Medieval Germany, Leiden 1981.

      Schäfer, Peter, Der vorrabbinische Pharisäismus, in: Hengel, Martin/Heckel, Ulrich (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, S. 125–175.

      Schwartz, Seth, Imperialism and Jewish Society 200 B.C.E. to 640 C.E., Princeton, Oxford 2001.

      Tishby, Isaiah, The Righteous and the Wicked, in: ders., Wisdom of the Zohar. An Anthology of Texts, Bd. 3, London, Washington 1994, S. 1407–1497.

      Der osteuropäische Chassidismus, eine jüdische Erweckungs- bzw. Reformströmung, die sich ab dem späten 18. Jahrhundert in Podolien und Wolhynien zu entfalten begann, entwickelte eine besondere Struktur von Führung (Zaddikim) und Anhängern (Chassidim). Die Verwendung der Begriffe Zaddik und Chassid lässt bereits auf einige Spezifika dieser Bewegung schließen. Daher sollen zunächst die Wandlungen und Konstanten jener Termini im Laufe der jüdischen Traditionsgeschichte vorgestellt werden.

      Nahezu jede Epoche der Geschichte des Volkes Israel entwickelte eigene Vorstellungen davon, welchen Anforderungen ein Mensch in seinen Beziehungen zu Gott und zu seinen Mitmenschen genügen sollte. Mit Ausnahme des osteuropäischen Chassidismus (!) bezeichnete man denjenigen, der den allgemeinen Normen entsprach, als Zaddik (צדיק; in etwa: Gerechter) und stellte ihm den Frevler (רשע/Raschà) gegenüber. Wer sich indessen einer besonderen Nähe zu Gott rühmen konnte oder sein Verhalten besonderen Standards unterwarf, konnte als Chassid (חסיד; in etwa: Frommer) betrachtet werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass vor allem die Konzeption des herausragend Frommen starken Veränderungen unterworfen war.

      |18|2.1. In der Epoche des Zweiten Tempels (4. Jh. BCE bis 1. Jh. CE)

      Chassidim in der Zeit des Zweiten TempelsIn der Zeit der Makkabäer bzw. Hasmonäer (2. Jh. BCE) traten erstmalig jüdische Traditionalisten in Erscheinung, die sich als „Chassidim“ titulierten. Im Ersten Makkabäerbuch (1 Makk 2,42; 7,13) erscheinen sie als eine Gruppe von Gelehrten, die sich dem militanten Widerstand gegen die Hellenisierungspolitik des seleukidischen Königs Antiochos IV. Epiphanes (um 215–164 BCE) angeschlossen hatten (vgl. 2 Makk 14,6). Später bemühten sich diese Chassidim jedoch um einen friedlichen Ausgleich zwischen den Hasmonäern und den „Hellenisten“ – den jüdischen Parteigängern der griechischen Herrscher. Im Jahre 153 BCE gelang es den Makkabäern, die seleukidische Herrschaft über Judäa faktisch zu beenden. Sinnfällig gestalteten sie ihren Machtanspruch durch die Übernahme des Hohenpriesteramtes. Nun aber zerfiel die Koalition der Chassidim endgültig, da viele unter ihnen die Hasmonäer nicht als legitime Nachfolger im höchsten priesterlichen Amt ansahen. Aus den Kreisen jener frühen Chassidim könnten die ältesten Apokalypsen der jüdischen Literaturgeschichte stammen (vgl. Albertz, S. 598–605.664–676). Dazu rechnet man die ältesten Schichten des Danielbuches und der Henochliteratur. Wesentliches Merkmal jener frühen chassidischen Gruppierungen dürfte die leidenschaftliche Hingabe an die Gebote der Tora (vgl. Dan 1,8; 2 Makk 5,27) gewesen sein.

      2.2. In der rabbinischen Literatur (2.–7. Jahrhundert CE)

      Chassidim in der rabbinischen LiteraturWie in der Hebräischen Bibel, so begegnet auch im Korpus der rabbinischen Texte der generische Gebrauch des Begriffs Chassid als eines Menschen, der die üblichen Standards bei der Erfüllung der Gebote deutlich übertrifft. Verschiedenen Einzelpersonen wie Chaniná ben Dosá, Samuel dem Kleinen (tSota XIII,3 [4]) oder Mar Zutra (bNed 7b) wird jener Ehrentitel zuerkannt.

      Daneben ist jedoch von einer Gruppierung die Rede, die als „frühere Chassidim“ (Chassidim Rischonim/חסידים ראשונים) bezeichnet wird. Verschiedentlich berichten rabbinische Quellen von den besonderen Gewohnheiten dieser Frommen. Vor jedem Gebet sollen sie eine Stunde lang ihre Gedanken auf den Ewigen ausgerichtet haben. Selbst unter Lebensgefahr seien sie nicht bereit gewesen, ein einmal begonnenes Gebet abzubrechen (mBer V,1 mit bBer 32b; tBer III,20). Besonderen Wert hätten sie auf eine unbedingte Würdigung des Schabbat (bSchab 121b und 150b) und auf persönliche |19|Reinheit und Buße (bKer VI,3 mit tKer IV,4; tNed I,1 mit bNed 10a) gelegt. Auch in der Ausübung bestimmter wirtschaftlicher Aktivitäten (tPe’a III,8 [13]; bBQ 30a; bMen 40b) hätten sie überragende Sorgfalt walten lassen.

      Aus all diesen Angaben wird jedoch nicht klar, ob es sich bei jenen Frommen um verschiedene Einzelpersonen, eine informell strukturierte Gruppierung oder gar (was jedoch eher unwahrscheinlich ist) um eine regelrechte Strömung gehandelt haben könnte.

      Eine weitere Facette der Verwendung des Begriffes zeigt sich in der Kombination der Chassidim mit den sogenannten ‚Männern der Tat‘ (אנשי מעשה/Ansché Ma’assé). So bietet die Mischna zum Abschluss des Traktats Sota (mSota IX, 15) einen ebenso kurzen wie merkwürdigen ‚historischen‘ Abriss von Tätigkeiten, Personen oder Ereignissen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhörten oder verschwanden. In diesem Kontext findet sich die folgende Aussage:

      Von dem [Zeitpunkt] an, da Rabbi Chaniná ben Dośá gestorben war, verschwanden die ‚Männer der Tat‘ [Ansché Ma’assé]. Von dem [Zeitpunkt] an, als Rabbi Josse Qatnutá gestorben war, verschwanden die Chassidim. Warum wurde sein Name Qatnutá genannt? Weil er der Kleinste [qatnuta] der Chassidim war. (mSota IX,15; vgl. jSota IX,15.24c)

      Noch an einer weiteren Stelle der Mischna werden die ‚Männer der Tat‘ mit den Chassidim verknüpft: Beide Gruppen sollen zu Zeiten des Zweiten Tempels den berühmten Fackeltanz an Sukkot, zum Fest der „Freude des Wasserschöpfens“ angeführt haben (mSukka V,4 mit tSukka IV,2). Unter den Gelehrten herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei den ‚Männern der Tat‘ um charismatische Retter und Heiler handelt, wie es ja auch aus den mit Chaniná verknüpften Traditionen (z.B. mBer V,5; bJev 121b oder bTa’an 24b–25a) deutlich wird. Wie allerdings die Chassidim im Kontext der ‚Männer der Tat‘ zu deuten sind, erscheint weit weniger klar.

      In der Forschung wird von einigen Gelehrten die Auffassung vertreten, dass zwischen den Charismatikern und den Chassidim (‚frommen Wohltätern‘) deutliche Unterschiede auszumachen sind. Andere hingegen sind der Meinung, dass es sich bei den verwendeten Begriffen nahezu um Synonyme handelt. Manche wollen sogar eine spätantike chassidische Bewegung rekonstruieren, die sich durch galiläische Herkunft, Armut, die Überordnung des Tuns über das Lernen sowie die Berücksichtigung von Frauen ausgezeichnet hätte (vgl. die Diskussion dazu bei Becker, S. 368–373). Letztere Annahme befrachtet die wenigen Quellen vermutlich über Gebühr.

      |20|Zuweilen werden auch (tTa’an II,13 [11]; bTa’an 23b) enge Beziehungen zwischen Regenmachern und den Chassidim hergestellt. So bleibt zu konstatieren, dass die rabbinischen Meister den Begriff Chassidim in verschiedenen Zusammenhängen verwendet haben: Neben der generischen Bezeichnung für herausragend Fromme, wie sie aus der Bibel herüberreicht, kann er für die klarer umrissene Gruppe der ‚Chassidim Rischonim‘ (חסידים ראשונים) Anwendung finden oder – in selteneren Fällen – auf charismatische Einzelpersonen appliziert werden.

      Zaddik in der rabbinischen LiteraturDer Gebrauch des Begriffs Zaddik durch die rabbinische Literatur knüpft ebenfalls an biblische Gewohnheiten an. Allerdings verschieben sich die Maßstäbe dessen, was als adäquater Umgang mit der Tora und den in ihr enthaltenen Geboten gefasst