Название | Macht |
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Автор произведения | Niklas Luhmann |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846337141 |
Die Unterscheidung von generalisiertem Code und selektivem Kommunikationsprozeß wird uns im Folgenden ständig begleiten. Die symbolische Generalisierung eines Code, nach dem Erwartungen gebildet werden können, ist Voraussetzung für die Ausdifferenzierung von Macht als eines spezialisierten Mediums, das auf bestimmte Problemkonstellationen bezogen werden kann, bestimmte Leistungen erbringt und bestimmten Bedingungen unterliegt. Im generalisierten Medien-Code liegen ferner die Ansatzpunkte für Steigerungsleistungen im Laufe der gesellschaftlichen Evolution. Unter diesen Gesichtspunkten ist Macht gesellschaftstheoretisch von Interesse. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, daß Organisationstheorien oder Interaktionstheorien mit vereinfachten Konzepten der Macht arbeiten können, etwa mit solchen, die im Machtbegriff schon Statusdifferenzen oder ausreichende Informations und Kalkulationsmöglichkeiten voraussetzen. Im Rahmen derart verengter Prämissen wird man jedoch kein Urteil über die gesamtgesellschaftliche Tragweite von Macht gewinnen können.
6. In einer viel beachteten, umfangreichen Kritik des Werkes von Parsons und seiner Machttheorie insbesondere äußert Alvin Gouldner sein Erstaunen darüber, daß Parsons Macht durch ihre Behandlung als symbolisch generalisiertes Medium in so hohem Maße mit legitimer Macht, mit »establishment power« identifiziere und dies für den gesellschaftlichen Normalfall halte35. Diese Auffassung wird pauschal und in einzelnen ihrer Ausformulierungen als moralistisch, als intellektuell absurd, als utopistisch, als irreführend abgetan unter Hinweis auf die Brutalität und die Eigensüchtigkeit der Machthaber. Dies Erstaunen eines Soziologen müßte nun wiederum die Soziologen erstaunen; um so mehr, als es im Rahmen einer Soziologie der Soziologie formuliert wird. [25]Natürlich ist nicht zu bestreiten, daß die Soziologie sich für Phänomene des brutalen und eigensüchtigen Machtgebrauchs interessieren kann und sollte. Ein solches Interesse darf jedoch nicht zu einem in die Begriffe und Theorien eingebauten Vorurteil über die gesellschaftliche Realität auswachsen.
Es war gerade die Leistung der Parsons’schen Theorie, die Vorurteile der Soziologie als einer Krisen- und Oppositionswissenschaft durch eine relativ autonome (in sich selbst dann wieder kritisierbare) Begriffsarchitektonik zu ersetzen. Wie immer man über die Adäquität dieses Instrumentariums urteilt, man wird nicht bestreiten können, daß die Institutionalisierung durchsetzbarer legitimer Macht das Phänomen von größerer gesellschaftlicher Tragweite ist im Vergleich zu Brutalität und Eigensucht. Das Alltagsleben einer Gesellschaft ist in sehr viel stärkerem Maße durch Rekurs auf normalisierte Macht, namentlich auf Rechtsmacht, bestimmt, als durch brutalen und eigensüchtigen Machtgebrauch. Regional begrenzte Ausnahmefälle machen gerade diesen Sachverhalt deutlich36. Die Interferenz legitimer Gewalt ist größer; man kann sie nicht hinwegdenken, ohne daß fast das gesamte normale gesellschaftliche Leben gestört und transformiert würde. Brutalität und Eigensucht sind Vorkommnisse, die mit vielen gesellschaftlichen Zuständen kompatibel sind, so lange sie die Dominanz institutionalisierter Macht nicht untergraben. Natürlich rechtfertigt, wie man aus der Geschichte der Theodizeen und Wohlfahrtsrechnungen weiß, ein solches Argument keinen einzigen Akt der Brutalität, auch nicht ein Tolerieren oder In-Kauf-Nehmen. Aber ein solches Verrechnungsproblem stellt sich seinerseits erst sekundär – sowohl historisch als auch theoretisch. Es setzt voraus, daß ein binärer Schematismus schon eingeführt ist, der Soll und Haben, oder Recht und Unrecht oder konformes und abweichendes Verhalten differenziert.
Mit der Ausarbeitung einer Theorie der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien setzen wir dazu an, solche Kontroversen zu unterlaufen. Die Konstitutionsbedingungen einer Dichotomisierung von »herrschender Ordnung« und »Kritik« [26]gehen in die Theorie selbst ein. Sie behandelt derartige Disjunktionen als Elemente eines Kommunikations-Codes und fragt nach ihren genetischen Bedingungen, ihren Funktionen, ihren Folgen, ihren Komplementäreinrichtungen, ihren Entwicklungschancen. Auch eine solche Theorie läßt sich mit Gouldner dann wiederum als moralistisch und konservativ charakterisieren, wenn man unterstellt, daß sie die an ihrem Gegenstand entdeckten Merkmale bejaht; sie ist in dem Sinne konservativ, daß sie die Option bewahren und offen halten möchte, je nach Lage der Dinge für oder gegen eine Machtäußerung Stellung zu nehmen.
[27]II. Handlungsbezug
Von anderen Kommunikationsmedien unterscheidet Macht sich dadurch, daß ihr Code auf beiden Seiten der Kommunikationsbeziehung Partner voraussetzt, welche Komplexität durch Handeln – und nicht nur durch Erleben – reduzieren. Diese Kontrastierung von Handeln und Erleben hat, da das menschliche Leben beides in unentwirrbarer Verflechtung voraussetzt, etwas Künstliches37. Das wird nicht bestritten, kann aber der Theorie nicht zum Vorwurf gereichen. Die Künstlichkeit eines ganz speziell auf Handlungsketten-Bildung zugeschnittenen Mechanismus ist nämlich kein analytisches Kunstwerk der wissenschaftlichen Abstraktion, sondern eine Abstraktionsleistung der Gesellschaft selbst, ein Erfordernis evolutionär fortgeschrittener Gesellschaftssysteme. Eine Machttheorie, die als Theorie eines besonderen symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums ausgearbeitet wird, muß jedoch erklären können, wie eine solche Spezialisierung auf Übertragung von Handlungsreduktionen im gesellschaftlichen Leben überhaupt möglich ist und welche Folgeprobleme sie aufwirft. Spiegelbildlich würde sich das gleiche Problem für eine Theorie der Wahrheit stellen, die zu erklären hätte, wie eine Spezialisierung auf die Übertragung von erlebnismäßigen Reduktionen möglich ist, ohne daß die Interferenz von Handlungen und Handlungspräferenzen der Beteiligten die Sachverhalte verzerrt.
1. Von Handeln wollen wir dann und nur dann sprechen, wenn selektives Verhalten einem System (und nicht seiner Umwelt) zugerechnet wird38. Die Zurechnung bezieht sich auf die Selektion selbst, liefert gleichsam die Erklärung für das Wunder der Reduktion. Über die Zurechnung als Erleben bzw. Handeln kann und wird in vielen Fällen Dissens bestehen. Es besteht aber zugleich ein gesellschaftliches Interesse, diese Frage zumindest für Problemsituationen zu klären. Von der Umwelt- bzw. Systemzurechnung hängt nämlich ab, ob den übrigen Systemen in der Gesellschaft [28]gleiche Selektion zugemutet oder andersartige Selektion freigegeben wird. Erleben muß man gleich, handeln kann man auch anders. Diese Unterscheidung geht der Frage voraus, ob die Freigabe andersartigen Handelns dann wieder beschränkt wird – etwa durch Gebote der Moral oder des Rechts oder durch Macht. In bezug auf Erleben hätten diese Formen der Einschränkung von Kontingenz keinen Sinn. Fehlgriffe des Erlebens werden als Irrtümer behandelt und, wenn überhaupt, anders sanktioniert39. Handeln unterliegt dagegen besonderen sozialen Kontrollen, die mit seiner Ermöglichung zugleich ausgebildet werden. Das hohe Risiko der Ermöglichung von Handeln liegt auf der Hand. Es zeigt sich unter anderem an der erleichterten Negierbarkeit der Handlungsintention im Vergleich zum Erleben und, abhängig davon, an den Komplikationen der Behandlung des Negationsproblems in einer normativen Handlungstheorie oder gar -logik.
Die Kategorisierung von Selektion als Handeln muß deshalb gewürdigt werden als ein Mechanismus, der Systeme aus der Gleichheitszumutung entläßt und Differenzierungen möglich macht. Da dies nicht uneingeschränkt geschehen kann, muß das Handeln gleichsam wieder eingefangen und domestiziert werden. Die soziale Konstitution der Möglichkeit zu handeln und die Spezialisierung von darauf bezogenen Kontrollmechanismen haben ihre primäre Funktion in einem Produktionsumweg für höhere gesellschaftliche Komplexität, nämlich in der Erzeugung und Beschränkung der Möglichkeit ungleichartiger Selektionen in einer intersubjektiv konstituierten SinnWelt.
Dem Zurechnungs- und Etikettierungsinteresse folgen Kategorisierungen, die den Tatbestand des Handelns voraussetzen und erklären – also das