Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher

Читать онлайн.
Название Irrlichter und Spöckenkieker
Автор произведения Helga Licher
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783967526691



Скачать книгу

vier Fehlgeburten endlich einer gesunden Tochter das Leben schenkte, sah keiner dem Bauern seine Enttäuschung an, obwohl für ihn eine Welt zusammen brach.

      Wie sehr hatte er sich einen Stammhalter für den Knudtsenhof gewünscht. Nächtelang saß er im Wirtshaus und ertränke seinen Kummer im Schnaps.

      Meta, die heute zur Großmutter geworden war, fühlte damals, wie sehr der Bauer litt und zog sich immer mehr zurück. Wie gerne hätte sie dem Hof den ersehnten Erben geschenkt, doch das Schicksal wollte es anders. Oft sah man die Bäuerin mit dem Kinderwagen auf dem Friedhof von Süderende. Dort kauerte sie unter dem alten Holzkreuz, in ein Gebet vertieft.

      »Sie spricht mit dem Kreuz«, raunte der Pfarrer der St. Laurentii Kirchengemeinde beim Frühschoppen Ole zu und machte ein besorgtes Gesicht. Der Bauer schüttelte lachend den Kopf.

      »Komm Pfarrer, trink erst mal einen. Die Meta hat einen kleinen Spleen, das legt sich wieder, alles ganz harmlos…«

      Doch Ole ahnte, ganz so harmlos, wie er dem Pfarrer weismachen wollte, waren die Spaziergänge auf dem Friedhof nicht.

      »Sag Pfarrer, wann wollen wir unser Enkelkind taufen? Ein großes Fest soll es geben, mit Köm und Rum und Zwetschgenkuchen«

      Mit vor Stolz geschwellter Brust schaute Ole in die Runde.

      Es stand für ihn außer Frage – die Taufe seines ersten Enkelkindes musste gebührend gefeiert werden.

      Der alte Harms besah sich den schlummernden Säugling in der Wiege und runzelte missbilligend die Stirn.

      »Bei einer Taufe wird kein Alkohol getrunken, so will es der Brauch«, sagte er mürrisch.

      »Ach Pfarrer…«, knurrte Ole, während er mit seinem Taschentuch die Schweißtropfen von seiner Stirn wischte.

      In diesem Moment erklang aus der Wiege lautes Geschrei.

      »Jetzt hast du Stine aufgeweckt«, sagte Laas vorwurfsvoll zu Ole und beugte sich zu seiner Tochter hinunter. Behutsam legte er seinen Daumen in die winzige Hand und beobachtete, wie Stine nach dem Finger griff und ihn fest umklammerte. Sofort beruhigte sich der Säugling, öffnete die Augen und schaute seinen Vater an.

      Dem Knudtsen-Bauern wurde es warm ums Herz. Gerührt sah er zu, wie sein Enkelkind ganz leicht den Mund verzog und eine kleine Grimasse zog.

      »Sie hat gelächelt…« sagte Rieke, wobei ihre Augen vor Glück leuchteten. Zart strichen ihre Finger über die blütenweiße Bettwäsche. Ole hätte sich gerne seine Pfeife angezündet, traute sich in Anwesenheit des Säuglings aber nicht. Nachdenklich setzte er sich in den Ohrensessel, der neben dem Ofen stand. Bald wird es wieder lebendig auf dem Hof, dachte er. Dann fiel sein Blick auf Meta, die sich leise mit Rieke unterhielt.

      Trotz ihrer fünfzig Jahre war Meta noch immer eine schöne Frau. Aus den kleinen Lachfältchen, die ihr Mann so liebte, waren mittlerweile tiefere Falten geworden. Noch immer blinzelte sie mit den Augen, wenn sie aufgeregt war und biss sich leicht auf die Unterlippe, wenn jemand sie verunsichert hatte. Ihre graumelierten Haare trug sie meistens zu einem Knoten gesteckt. Nur abends, wenn sie ihr bodenlanges Nachtkleid anlegte, hingen die Haare offen bis auf die Schultern hinunter, wobei sie tatsächlich wieder jung aussah, wie in ihren Mädchentagen.

      Als junger Bursche war Ole bei den Mädchen auf der Insel sehr beliebt gewesen. So manche Deern im heiratsfähigen Alter warf ihm vielsagende Blicke zu, wenn abends auf der großen Diele getanzt wurde. Er aber hatte nur Augen für die junge Meta Ahrends, die vom Festland gekommen war, um auf Föhr als Lehrerin zu arbeiten. Meta hatte dunkelblonde Haare und lustige Sommersprossen auf der Nase, die Ole besonders gut gefielen. So dauerte es nicht lange, bis der Bauernsohn die hübsche Meta als seine Frau auf den Knudtsenhof holte.

      Die ersten Jahre ihrer Ehe verliefen glücklich und harmonisch. Ole liebte seine Frau maßlos und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Zunächst zeigte Meta großes Interesse an der Landwirtschaft, doch immer häufiger ließ sie ihren Mann die Stallarbeit alleine erledigen. In dieser Zeit entstanden die ersten kleinen Gedichte, die sie liebevoll mit kleinen Zeichnungen versah.

      Sein Blick ruhte noch immer auf Metas Gesicht. Laas beugte sich zu ihr, sagte etwas und Meta lächelte. Ole hatte sie viel zu selten lächeln sehen …

      »Meta hat die Schwermut von ihrer Mutter geerbt«, hatte der Pfarrer einmal gesagt. »Auf dem Festland war die alte Frau Ahrends als Heilerin bekannt, sie hatte einen Pakt mit dem Teufel«, fuhr er flüsternd fort.

      Der Bauer reagierte damals sehr verärgert und wies den alten Harms scharf zurecht. Doch seine Gedanken wollten sich einfach nicht mehr beruhigen.

      Hatte der Pfarrer Recht?

       2

      Die kleine Stine entwickelte sich zu einem prachtvollen Kleinkind. Mit ihren dunklen Augen blickte sie neugierig in die Welt. Rieke band ihr oft kleine, rote Schleifchen ins Haar, die Stine gar nicht mochte. Mit einer unendlichen Hartnäckigkeit versuchte sie immer wieder sich von diesen Bändchen zu befreien.

      So oft es ging verbrachte Rieke Klassen die Nachmittage auf dem Hof ihrer Eltern. Sie sorgte rührend für ihr Baby, obwohl Meta die innige Verbundenheit einer jungen Mutter zu ihrem Kind vermisste. Stets hielt Rieke eine gewisse Distanz zu ihrem Kind. Meta dachte daran, dass auch sie die körperliche Nähe zu ihrer Tochter nur schwer ertrug. War es den Knudtsen-Frauen nicht gegeben Mutterliebe zu zeigen?

      »Die Zeit wird es richten«, sagte Meta sich und schloss ihr Enkelkind in ihr Abendgebet ein.

      Die ersten Frühlingsstürme waren in diesem Jahr ausgeblieben. Langsam drangen zaghafte Sonnenstrahlen durch die Nebel, die vom Meer kommend über die Insel zogen. Durch das alte Buchenlaub des vergangenen Jahres, das den Waldboden wie ein Teppich bedeckte, lugten bereits die gelben Spitzen der Osterglocken.

      Die kleine Stine Klassen hatte ihren ersten Geburtstag gefeiert. In einem hübschen Kleid aus rosafarbenem Batist saß sie bei ihrer Mutter auf dem Schoß und ließ sich den Geburtstagskuchen schmecken. Meta schaute in Gedanken versunken auf Mutter und Tochter und dachte daran, wie sehr Rieke sich in den letzten Jahren verändert hatte.

      Aus einem schüchternen, jungen Mädchen war eine erwachsene Frau geworden. Schade, dass sie so gar nichts aus sich macht, überlegte die Bäuerin. Dabei hat sie ein so hübsches Gesicht.

      Ihre zierliche Figur versteckte Rieke oft unter viel zu weiten Kleidern und ihre Hände und Füße machten einen eher ungepflegten Eindruck. Rieke erklärte diese Nachlässigkeit stets mit Zeitmangel.

      »Hast du eine Ahnung, wie viel Arbeit ein kleines Kind macht?«, sagte sie oft vorwurfsvoll zu ihrer Mutter.

      Meta konnte über diesen Einwand nur lachen.

      »Ich habe auch ein Kind großgezogen. Hast du das vergessen?«

      Als Kind hatte Rieke selten die Gesellschaft anderer Kinder gesucht. Sie liebte es ihre Zeit in der Kirche zu verbringen. Dort nahm sie an den Gottesdiensten teil und ging dem Küster Rickmers zur Hand.

      Der Bauer beobachtete die Entwicklung seiner einzigen Tochter mit Unwillen.

      »Das Mädchen soll im Haushalt helfen und nicht ständig in die Kirche rennen. Sie wird einmal diesen Hof erben, ich will keine Betschwester zur Tochter.«

      Meta beruhigte ihren Mann und dachte daran, wie sehr auch sie jeden Sonntag die Seelenruhe und absolute Stille in der Kirche genoss.

      Rieke beendete die Schule mit einem hervorragenden Zeugnis und äußerte den Wunsch, in einem Krankenhaus auf dem Festland zu arbeiten.

      Ole Knudtsen jedoch durchkreuzte die Pläne seiner Tochter, und so erlernte Rieke schließlich in der Schneiderei Ennen den Beruf der Weißnäherin.

      »Eine Bäuerin muss nähen können, so kannst du viel Geld sparen, nicht wahr Mutter?«, sagte er selbstgefällig.

      Rieke tat das, was ihre Eltern von ihr erwarteten.