TodesGrant. Wilfried Oschischnig

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Название TodesGrant
Автор произведения Wilfried Oschischnig
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184160



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Zelle mit dem vergitterten Klo. Ist alles nur eine Frage der Zeit. Gibt Dealer, die holen sich lieber einen Darmverschluss, als dass sie sich wo drauf setzen. Dann weiß man’s halt nach dem Darmverschluss. Verstehen Sie, ich mein es wirklich gut mit Ihnen. Und für Ihre Vernehmung beim Haft- und Rechtsschutzrichter wäre es ebenfalls wichtig. Sehen Sie, das habe ich beinahe vergessen: Angeblich ist der Herr Richter schon unterwegs. Und das heißt bei dem was, ist fast schon ein Wunder. Sonst geht das nämlich nicht so schnell. Das mit den 48 Stunden bis zur ersten Einvernahme steht nur im Gesetz. Bei einem Haft- und Rechtsschutzrichter dauert eine Stunde gleich einmal einen Tag. Ich kenn Untersuchungshäftlinge, die sind rasiert bei uns reingekommen und dann bei der ersten Einvernahme auf ihren eigenen Bart getreten. Ich mein, je besser man mit so einem Richter kooperiert, umso besser stehen die Chancen. Und wenn man ohnehin nichts zu verbergen hat, muss man sich auch für nichts schämen.“

      Keine Frage, dieser Krankenpfleger war die Ruhe in Person und hatte gute Argumente.

      Und Gradoneg? Was sollte Gradoneg tun?

      Er öffnete seinen Mund und schluckte das Abführmittel. Ließ tatsächlich seine Hosen runter und setzte sich auf diesen schrecklichen Folterstuhl der menschlichen Scham. Wehrte sich kein bisschen, als der Krankenpfleger seine Handgelenke an den Seitenlehnen fixierte. Zuckte kurz zusammen, als der Toilettenstuhl in der Halterung auf dem Boden einklickte. Verabschiedete sich aber freundlich, als der Krankenpfleger das Untersuchungszimmer verließ.

      Wieder saß er in einer Falle …

      Ängstlich sah er zur Kamera an der Wand hoch. Jetzt verstand er den miesen Trick und wusste, dass ihn der nette Krankenpfleger reingelegt hatte: Die Kamera war ferngesteuert und bewegte sich nun langsam nach unten. Sein Magen grummelte. Er begann die Fliesen zu zählen. Nur so konnte er seinen Blick von der Kamera lösen. Er zählte und verzählte sich. Immer weiter zählte er, immer öfter verzählte er sich. Unter dem gelben, eitrigen Neonlicht waren die Fliesen grau, sah er nun. Nur die Fugen dazwischen waren noch grauer.

      Er war ja im Grauen Haus.

      Vier

      Ein paar Wochen heilfasten wären eine Wohltat dagegen gewesen. Gradonegs Magen war so leer wie die Schwimmbecken in den städtischen Freibädern im Herbst und Winter, in seinem Darm würde jeder Bandwurm verhungern. Die pumpvolle Toilettenschüssel holte ein anderer Krankenpfleger ab. Das gehörte wohl zum Spiel: Einer legte das Opfer herein, der andere schnappte sich die Beute.

      „Geil, was … unsere Pulverl“, meinte der neue Krankenpfleger. „Bei unserem Abführmittel rinnt eine ganze Elefantenherde aus. Ein Pulverl davon ins Futter und der Tiergarten in Schönbrunn wär eine Jauchengrube.“

      Glücklich und zufrieden beugte er sich über die Schüssel, begutachtete das Ergebnis und rümpfte dabei nicht eine Millisekunde seine Nase: „Sehr gut, das reicht für alle Kripolabors in Österreich. Wenn die da nichts finden, bist du so unschuldig wie die Jungfrau Maria.“

      Kurz stockte er, inspizierte die Schüssel noch genauer, schon bis zur Nasenspitze, warf dann Gradoneg plötzlich einen vorwurfsvollen Blick zu.

      „Igitt … da schwimmt ein Zahn!“

      „Spinnt ihr?! Nein“, erschrak Gradoneg, „der ist von euch! Den habt ihr mir untergejubelt! So wie bei der Kamera, die fährt auch plötzlich von selbst los.“

      Am liebsten hätte Gradoneg gleich dem Krankenpfleger die Schüssel aus den Händen gerissen und an den Kopf geworfen.

      „War ja nur Spaß …“, schüttelte der Krankenpfleger sich und die Schüssel vor Lachen. „Ohne Humor geht’s nirgends, auch nicht im Gefängnis. Musst ja nicht gleich einen Herzinfarkt kriegen … Dafür schenk ich dir eine Prostataeinlage, ja? Ich bring das raus und hol dir eine. Bei den Pulverln kommt manchmal was nach. Nicht viel, aber doch … wie bei Hämorrhoiden.“

      Gradoneg sah ihn verdattert an.

      „Ist kein Malheur, so eine Prostataeinlage“, grinste der Krankenpfleger. „Früher oder später müssen wir uns sowieso daran gewöhnen. Die Prostata ist die Achillesferse des Mannes, hängt nur ein bisschen höher oben. Der entkommen wir nicht … aber immerhin können wir uns dann am FKK-Strand ungeniert nach den Weibern umdrehen.“

      ***

      Jedenfalls war Gradoneg schwer lädiert, als er der Gerechtigkeit endlich ein Stück näher kam und zum Haft- und Rechtsschutzrichter ins Vernehmungszimmer gebracht wurde. Sein leerer Magen knurrte vor Hunger, es schwindelte ihm noch mehr von den Torturen des Tages, und die Prostataeinlage in seiner Unterhose stärkte auch nicht gerade sein angeknackstes Selbstbewusstsein. Nur die Hoffnung auf Gerechtigkeit ließ ihn diese Strapazen einigermaßen würdig ertragen. Er wollte den juristischen Irrtum raschest aufklären und aus der Hölle verschwinden; und ein klärendes Gespräch mit einem Richter war der Schlüssel dazu. Also musste Gradoneg den besten Eindruck hinterlassen. Seine Aussagen durften nicht so zerknittert wie der Anzug sein, und jedes Argument musste besser sitzen als der blutverschmierte Hemdkragen.

      Nervös rutschte er auf dem Sessel im Vernehmungszimmer hin und her und lächelte untertänig durch eine Plexiglasscheibe, die den Tisch in der Mitte trennte, zum Richter hinüber. Dieser sah lange nicht von seinen Unterlagen hoch, notierte etwas mit einem Kugelschreiber. Der Raum war fensterlos, die abgestandene Luft zum Schneiden, und selbst die Lampe schien einen leichten Wackelkontakt zu haben. Aber das interessierte Gradoneg nicht. Ihn interessierte sein Recht; das Recht auf Gerechtigkeit, wie es jedem Österreicher zustand.

      Höttinger … Dr. Alfred Höttinger, so hieß der ‚Haft- und Rechtsschutzrichter‘. Und je länger Gradoneg diesen Höttinger durch die Plexiglasscheibe anlächelte, desto unwohler fühlte er sich. Dort am anderen Tischende saß die Selbstgerechtigkeit in Person: Ein hageres, knochiges Gesicht, in dem sich keine Lachfalte fand; seine dicken Tränensäcke unter den kalten Augen glänzten fast schon wie Vanillekipferl aus Lebertran, und die Lippen waren so dünn, als wären sie eine Drahtschlinge. Eine scharfe, tödliche Drahtschlinge, mit welcher dieser Richter ein jedes Wort, das ihm nicht passte, sofort erdrosseln würde.

      „Die Anklage wurde Ihnen ja bereits verlesen“, sah Höttinger endlich von seinen Unterlagen auf. Seine Stimme glich ebenfalls mehr einem Höllenlärm als jener eines Menschen. „Dann können wir nämlich gleich zur nächsten Formalität schreiten.“

      „Nicht bewusst, Euer Ehren … Ich weiß weder die Anklage noch weshalb ich festgenommen wurde, wirklich nicht“, stammelt Gradoneg. „Ich … ich war ja bewusstlos, Euer Ehren. Hier liegt bestimmt ein Irrtum vor, der sich rasch aufklären lässt.“

      Gradoneg wusste nicht, wie er Höttinger korrekt ansprechen sollte, und entschied sich spontan für ‚Euer Ehren‘, die unterwürfigste Variante im österreichischen Gerichtswesen. Außerdem kannte er diese Anrede aus alten Agatha-Christie-Filmen, wo ja auch immer das Recht über dem Unrecht stand.

      „Kannibalismus mit mutmaßlicher Tötung“, räumte Höttinger Gradonegs Informationsdefizit mit einem herrischen Ton aus dem Weg. „Was einer logischen Abfolge entspricht:

      Kannibalismus setzt immer einen toten Menschen voraus. Für die Tierquälerei wird der Strafbestand erst hinterher gesondert erhoben.“

      Gradoneg fiel die Kinnlade runder. Nun hörte er es aus dem Mund eines Richters – er sollte ein Kannibale und Mörder sein, und weil dem nicht genug war, wollte man aus ihm auch noch einen Tierquäler machen. Jeder, der das von sich gehört hätte, wäre vom Sessel gefallen, er kämpfte weiter.

      „Aber ich bitte Sie, Euer Ehren, das ist bestimmt ein …“, murmelte er höflich.

      Der Richter fiel ihm gleich ins Wort.

      „Und ich ‚bitte‘ Sie um Ruhe! Ja! Und zwar zum ersten und letzten Mal! Sonst ‚bitte‘ ich die Justizwache, dass sie Sie abholt. Wir können diese Einvernahme auch gerne in ein paar Wochen fortsetzen.“

      Höttinger sah angewidert zu Gradoneg rüber, ließ eine Pause verstreichen. Schüttelte wie bei einem schlimmen Kind den Kopf, und seine hässlichen Tränensäcke hüpften dabei, als würde sie