TodesGrant. Wilfried Oschischnig

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Название TodesGrant
Автор произведения Wilfried Oschischnig
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184160



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gibt, dann kannst du doch nicht so ein hinterhältiger Fiesling … ’Tschuldige … das ist mir rausgerutscht. Unbarmherzig, ich hab wirklich ‚unbarmherzig‘ gemeint. Ehrlich … ich … ich will ja nur leben.

      „Bist du deppert!“, vernahm Gradoneg plötzlich eine Stimme. Männlich, tief und fremd. Woher sie kam und zu wem sie gehören könnte, wusste er nicht. Raum und Zeit hatten längst in seinem Kopf ihre Ordnung verloren. Vielleicht stand da wer neben ihm und hatte sich im Vorzimmer über die Tür gebeugt, vielleicht war es auch nur ein Wortfetzen aus dem Stiegenhaus oder von der Straße. „Gibt‘s das?! So eine perverse Sau! Erschlägt sich beim Fluchtversuch mit der eigenen Wohnungstür. Nicht nur grauslich, sondern auch feig. Entzieht sich mit einem Suizid der Verantwortung.“

      „Objekt gesichert“, drängte sich eine weitere Männerstimme mit einem harschen Befehlston in Gradonegs Kopf oder gar in seine Wohnung. „Und ich will keine Nachbarn im Stiegenhaus sehen, verstanden!? Niemanden! Jede Tür wird kontrolliert. Wer seine Wohnung verlässt, den verfüttere ich eigenhändig an diese Bestie. Kapiert! Bei lebendigem Leib!“

      Immer mehr Stimmen kreisten und krächzten nun wie Todesvögel über Gradoneg. Schrien laut und wild durcheinander, der Boden unter ihm bebte und die Luft erzitterte. Und so sehr er sich auch konzentrierte und anstrengte: Nichts von dem, was da an sein Ohr drang, ergab für ihn den geringsten Sinn; ein wirres Durcheinander, das sich um ihn herum wie eine blubbernde Blutlache ausbreitete.

      „Ist er hin?“

      „Hundertprozentig. Mehr als hin. Glatter Genickbruch. Eher steht ein Neandertaler im Naturhistorischen Museum auf und geht zum Opernball.“

      „Sollen wir ihn noch zur Sicherheit tasern? Vielleicht lebt diese perverse Sau ja doch noch.“

      „Kann nicht schaden, doppelt hält besser. Falls du deinen Taser testen willst, gerne. Sind leider nicht so besonders, unsere neuen Taser. Wie ein Akkubohrer, der Strom spuckt. Hab ich letztens bei einer Kuh im Pinzgau ausprobiert. Aber falls es dich beruhigt, taser ihn ruhig. Ich schau weg. Lieber würd ich diesem Wahnsinnigen auf den Kopf springen und sein krankes Gehirn verspritzen. Bis kein Tropfen mehr drinnen ist. Dann wüsste er, wie das ist, wenn man jemandem das Hirn auslöffelt.“

      „In Ordnung, ich mach’s …“

      Ein Schatten tauchte vor Gradonegs Gesichtsfeld auf, kroch langsam durch den Spalt zwischen Tür und Boden zu ihm. Dann blitzte es. Einmal, zweimal, als würden ihn zwei glühende Kabel strangulieren. Seine Muskeln zucken, die Augen brannten und die Zunge schwoll an.

      „Und …?“, fragte und krächzte ein Todesvogel.

      „Funktioniert eh … aber die Glock ist mir lieber. Würd mich jucken, bei dem abzudrücken.“

      „Ich mein, wie er ausschaut. Grauslich, oder?“

      „Na ja, einigermaßen normal für einen Menschenfresser. Aber Hitler und Stalin hatten auch zwei Augen und Ohren. Eine Bestie erkennt man nicht auf den ersten Blick.“

      Und noch mehr Todesvögel flatterten in die Wohnung, noch schlimmer wurde das Stimmengewirr rund um und über dem dahinsiechenden Gradoneg.

      „Die Sanitäter sind unterwegs“, meinte einer.

      „Die sollen sich Zeit lassen“, meinte ein anderer. „Unbedingt. Den braucht niemand mehr. Und einen Sarg sollen sie auch gleich mitbringen. Deckel drauf und ab mit diesem Teufel in die Hölle.“

      „Habt ihr schon die Wohnung gesichert?“

      „Spinnst du, ich geh da nicht rein. Das soll die Spurensicherung machen. Wahrscheinlich liegen da Leichenteile herum, und im Backrohr steckt ein Schädel.“

      Perverse Sau?!

      Menschenfresser?!

      Hirn verspritzen?!

      Hitler … Stalin?!

      Leichenteile und ein Schädel im Backrohr?!

      Verzweifelt versuchte Gradoneg dieses schauderhafte Gekrächze aus seinen Gedanken zu vertreiben. Wie konnte er mitten in seinem Todeskampf auf solch einen ordinären Unsinn kommen? Freilich verstand er in seinem Dämmerzustand nur jedes zweite, dritte Wort. Wusste nicht genau, was da gesprochen wurde, geschweige denn von wem.

      Die Polizei?

      Hatten sich irgendwelche Polizisten in der Tür geirrt und dabei auch gleich Gradonegs Leben aus den Angeln gehoben?

      Gut möglich, er wäre ja nicht das erste Justizopfer in der Geschichte Österreichs. Und es stand doch immer wieder in der Zeitung: Das Bildungsniveau bei den Aufnahmetests der österreichischen Polizei sank ständig und tendierte bereits Richtung Analphabetismus.

      Eine Adresse wurde da leicht verwechselt, und eine „6“ auf den Kopf gestellt ist rasch eine „9“. Nur welcher uniformierte Haufen von Analphabeten würde sich derart brutal auf einen Schwerverletzten stürzen? Mitten in Europa, im glückseligen Österreich und braven, bürgerlichen Wiener Währing?

      Nein, so weit konnte es noch nicht gekommen sein.

      Und wie stand es mit ‚Einbrechern‘? Vielleicht hielt ja seine Theorie von der sicheren Tür einem simplen Brecheisen nicht stand. Könnte durchaus sein. Die Wohnung war quasi neu, bis ins Stiegenhaus roch es nach Lack und – Ursula! – sündteuren, ökologischen Erdfarben, die drei bosnischen Arbeiter machten mit ihrem Mittagshunger den Johann-Nepomuk-Vogl-Markt reich, und der Möbelwagen hatte ein Abonnement vor dem Haus der Gradonegs.

      Nur Einbrecher räumten in Windeseile eine Wohnung aus und schwadronierten nicht über Menschenfresser und irgendwelche Leichenteile, oder?

      Also doch eine Gehirnblutung? Ein Schädelbasisbruch, der sein Leben zertrümmerte? Medizinisch durchaus möglich, geradezu logisch. Nein, diese Frage wagte sich Gradoneg nicht zu stellen. Stattdessen klammerte er sich an jeden Strohhalm, so abstrus und brüchig dieser auch war. Seine kleine Hemma, erinnerte er sich jetzt etwa, hatte ihm doch vor ein paar Tagen erzählt, dass sie sich in der Volksschule über Schimpfwörter und Mobbing unterhalten würden. Über den ‚Karies des ABCs‘, wie ihr Lehrer meinte; über all die bösen und verletzenden Wörter, welche die Kinderseelen wie schwarze Zähne verfaulen ließen. Und dass dann die Kinder im Unterricht dem Lehrer ihr gemeinstes Schimpfwort ins Ohr flüstern durften. Damit die bösen Worte die ganze Volksschulzeit dort blieben und den Kindern nie mehr über die Lippen kämen. Ja, und das hatten sie dann zu Hause auch nachgespielt:

      Du Währinger Erbschleicher!, flüsterte ihm Hemma ihr Lieblingsschimpfwort ins Ohr. Du nimmersatter Ferrari ohne Räder, zischte er zurück. Ein übles Pingpong, bei dem er so rot wie die Fahne vor der chinesischen Botschaft in der Neulinggasse wurde. Schlimm, was seine Tochter im Laufe der Jahre von ihm aufgeschnappt hatte. Ein pädagogisches Armutszeugnis, bei dem er als Vater mit einer glatten Fünf abschnitt. Immerhin lieferte ihm Hemma bei diesem infantilen Spiel einen schwachen Trost. Die Kleine hatte nämlich ihre Sitznachbarin belauscht, was diese so Ordinäres auf Lager hatte: Ich reiß dir die Titten ab und spuck drauf!, brüllte die Tochter eines angesehenen Mediziners dem erschrockenen Lehrer ins Ohr. Das war Balsam auf Gradonegs pädagogische Wunden – besser man ist ein neidischer Kommunist denn ein potenzieller Triebtäter mit einem Doktortitel.

      Trotzdem: Mehr als Trugschlüsse schaffte Gradonegs verwirrter Geist in diesem schmerzhaften Moment nicht. Entweder Österreich war eine völlig durchgeknallte, gesetzlose Bananenrepublik, oder ein harmloses Schimpfwort-Spiel tauchte gerade aus seiner Erinnerung wieder auf und narrte ihn zu Tode. Quälten ihn plötzlich seine eigenen Schimpfwörter? Brach da plötzlich sein Innerstes mit irgendwelchen verdrängten Menschenfresser-Fantasien auf? War das der Tod? Offenbarte sich der Mensch im Sterben von seiner grausamsten Seite?

      ‚Perverse Sau‘ … ‚Menschenfresser‘ … ‚Hirn verspritzen‘ … ,Schädel im Backrohr‘?!

      Nein, unmöglich, das war nicht Gradoneg. Er war doch kein verkappter Menschenfresser, der sich gerade outete.

      Währenddessen hackten die Todesvögel weiter mit ihrem Stimmengewirr auf Gradoneg ein. Noch immer drangen durch