X-Mas: Hochdramatisch. Andrea Gerecke

Читать онлайн.
Название X-Mas: Hochdramatisch
Автор произведения Andrea Gerecke
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184078



Скачать книгу

Jens, während er das Geschirr abspülte. Sein Kollege hatte so eine positive, offene Ausstrahlung. Und zwischendurch hatte Till ihn schon kritisch angeschaut, als er mit immer wieder neue Verletzungen auf der Arbeit erschien.

      „Alles in Ordnung bei dir?“, hatte er sich erst am Tag zuvor erkundigt. „Wenn du Sorgen hast, dann rede einfach mal drüber. Mitunter hilft das allein schon. Erleichtert auf jeden Fall. Wir könnten ja nach dem Dienst ein Bier zusammen trinken. Was hältst du davon?“

      Jens hatte jetzt ein bitteres Lächeln im Gesicht, während er die Pfanne säuberte. Mit einem sanften Kratzschwamm, der auch für Gläser geeignet war. Nur nicht die Beschichtung des hochwertigen Teils beschädigen. Das wäre nur ein weiterer Auslöser für unberechenbare Gewaltattacken.

      Ein Bier nach der Arbeit trinken, mit einem Kollegen! Selbst wenn sich das zeitlich einrichten ließ, weil Grit in Schichten arbeitete, blieb immer noch die hartnäckige Alkoholfahne. Er konnte ja schlecht plötzlich behaupten, abstinent zu sein, nachdem er schon öfter mal von einem Glas Bier oder Wein erzählt hatte, wenn im Kollegenkreis die Sprache auf Feiern kam. Und vielleicht würde Grit sogar die Erleichterung spüren, die ihm danach anzumerken wäre. Also keine gute Idee. Aber möglicherweise könnte er Till gegenüber doch mal etwas andeuten. Jens behielt diese Option im Hinterkopf.

      Er suchte jetzt gründlich die Wände rund um den Herd ab, ob dort Spritzer zu entfernen waren. Da und dort schrubbte er und wischte trocken nach. Zuletzt kroch er auf dem Boden herum, um dort für Sauberkeit zu sorgen. Das Fett war wirklich an allen möglichen Stellen zu finden. Sogar an den Tischbeinen. Jens verzweifelte fast. Es schien ein Ding der Unmöglichkeit, die Spuren des vorherigen Ausrasters seiner Frau restlos zu beseitigen. Er saß auf dem Boden und hielt die Schultern gesenkt.

      Schließlich erhob sich Jens und holte die Flasche Raumspray aus einem Küchenschrank. Er setzte einen feinen Sprühnebel in alle Richtungen. Die Essensgerüche wurden übertönt durch eine zitronige Anmutung. Jens schnüffelte mit seiner Nase. Immerhin besser als der Geruch nach dem erhitzten Fett und dem Gebratenen. Grit jedenfalls hatte für jeden Raum einen anderen Duft parat. Manche davon steckten in der Steckdose und entfalteten sich stoßweise in regelmäßigen Abständen. Auch die Polstermöbel musste er regelmäßig übersprühen, weil sie „nach altem Mann“ rochen, wie Grit abfällig bemerkte. „Wir brauchen etwas, das den Gestank neutralisiert!“

      Bevor beide nach dem abendlichen Bad ins Bett gingen, präsentierte Grit eine Tablette und ein Glas mit Leitungswasser für Jens.

      „Hier, nimm die mal. Ist eine Viagra. Ich bin extra zur Apotheke am anderen Ende der Stadt gefahren, wo mich keiner kennt. Offensichtlich bist du ja ohne die Dinger zu nichts mehr in der Lage, du Versager.“

      Widerwillig griff Jens zu der Tablette und dem Glas, schob erst die Pille in den Mund und nahm dann einen großen Schluck hinterher. Er hasste Medikamente, die man schlucken musste, vor allem wenn sie so großformatig waren. Es blieb ihm immer ein bitterer Nachgeschmack im Mund und so ein Würgen, als wolle alles wieder hochkommen.

      „Ich mach mich dann schon mal fertig“, sagte Grit noch und verschwand schon im Schlafzimmer.

      Jens wusste, dass sie nun die schwarze Reizwäsche hervorholen würde, um sich darin zu verpacken. In der festen Überzeugung, das würde ihn antörnen. Inklusive Strumpfhalter und feiner Netzstrümpfe. Der Anblick würde ihm lediglich Angst einjagen. Jens fröstelte und rieb sich die Oberarme. Aber zugleich spürte er langsam die Wirkung der Pille. Ob er wollte oder nicht.

      Mach einfach nachher die Augen zu und denke da­ran, was du in der nächsten Zeit erledigen willst, riet ihm seine innere Stimme. Blödsinn, meinte der gedankliche Gegenspieler, das ist doch wohl ein Ratschlag für Weiber. Denk an eine richtig geile Tussi, die scharf auf dich ist und dir jeden Wunsch von den Augen abliest. Dich von Kopf bis Fuß verwöhnt. Jens stöhnte leicht auf und öffnete die Schlafzimmertür. Grit lag entsprechend ausstaffiert und breitbeinig auf dem Bett. Eine Duftwolke von schwerem Parfüm quoll ihm entgegen.

      4. Kapitel

      Rente

      Elizabeth hatte gerade eine weitere Tüte mit Müll in der Tonne entsorgt. Für ihre Wohnung im Hochparterre war ohnehin kein eigener Müllschlucker vorgesehen. Jeder Mieter dieser Etage musste seinen Abfall hinausbringen. Sie schob das etwas längliche, relativ großformatige Teil unter ein paar andere Säcke. Es war in einer blauen Plastiktüte verpackt und mit braunem Klebeband umhüllt. Die Hausmeisterin trug Handschuhe, wie meist bei der Arbeit.

      Sie nahm hinter sich Geräusche wahr, drehte sich um und starrte in die Dunkelheit des Abends. Tatsächlich, da schob sich ein Pärchen in die Haustür hinein. Der Mann trug in einer Hand vorsichtig etwas vor sich her. Waren das nicht …? Elizabeth überlegte ein Weilchen und stemmte die Hände in ihre breiten Hüften. Während sie nachdachte, zogen sich ihre Mundwinkel nach unten, und die Stirn lag in ziemlich derben Falten.

      Doch, fiel es ihr ein, die Tochter mit ihrem Mann, dem Schiegersohn von Severing aus der Etage über dem Pärchen, wegen dem schon gelegentlich mal die Polizei gerufen worden war. Sehr unangenehme Angelegenheit. Mit was für Pack man sich aber auch in so einem Haus rumschlagen musste. Selbst bis zu ihrer Wohnung ganz unten war der Krawall zu vernehmen, aber sie hätte sich gehütet, die 110 anzuwählen. Nur keine schlafenden Hunde wecken.

      Komisch, dachte Elizabeth, den alten Severing habe ich ja ewig nicht mehr gesehen. Selbst in dem Alter muss man doch mal zwischendurch an die frische Luft. Na immerhin wurde ihm offensichtlich der Kuchen ins Haus geliefert. Ach was, schob sich ein nächster Gedanke hinterher, kümmere dich mal um deine eigenen Sorgen, davon hast du wahrlich genug. Außerdem kündete doch diese alberne weihnachtliche Beleuchtung in seinem Wohnzimmerfenster von seiner Anwesenheit. Alle Jahre wieder. Den Alten hätte man höchstens wegen übertriebenem Kitsch anzeigen können. Aber das war ja nun beileibe kein Grund.

      Margitta zerrte ihren Mann hinter sich her.

      „Kannst du dich nicht ein bisschen sputen? Soll schließlich keiner mitbekommen, was wir hier treiben.“

      „Hab dich doch nicht so“, entgegnete Edward. „Wir schauen bei deinem alten Vater nach dem Rechten und kümmern uns um ihn. Wer soll denn dabei etwas finden? Und die Post müssen wir außerdem auch aus dem Kasten nehmen, sonst fliegt alles auf.“

      Während Edward dies äußerte, hatte er schon den Briefkasten geöffnet und ein paar Schreiben entnommen. Dann verschloss er die Klappe wieder.

      „Siehst du, wie ich es schon sagte“, hielt er seiner Frau die Sendungen triumphierend entgegen.

      „Mist, verdammter“, fluchte Margitta, ohne darauf einzugehen. „Schon wieder ist der Fahrstuhl außer Betrieb. Ich hätte ihn jetzt wirklich gern genutzt, auch wenn es nicht so viele Stufen sind. Meine Knie sind ganz weich. Komm!“

      Die beiden liefen im Treppenhaus, das nur dürftig beleuchtet war, nach oben. Keiner tauschte hier mehr die defekten Lampen aus. Die Hausmeister erhielten offensichtlich nicht mehr das geringste Budget für solche Reparaturen oder es war ihnen gleichgültig geworden. Das Objekt war eindeutig ein Auslaufmodell.

      Etwas atemlos erreichten Margitta und Edward die Etage mit der Wohnung des alten Severing. Es war nicht die Höhe, die ihnen den Atem raubte.

      „Hier“, hielt Margitta ihrem Mann den Schlüssel hin. „Schließ du mal bitte auf. Ich halte mir inzwischen den Schal vor die Nase.“

      „Seit wann bist du denn so empfindlich? Das kenne ich doch sonst nicht von dir!“

      Die Tür ging auf und beide schlüpften in die Wohnung, ohne viel von der inneren Luft in den Hausflur dringen zu lassen. Margitta stürzte durch die Räume in Richtung Wohnzimmerfenster und riss sie weit auf. Der weihnachtliche Kranz, der am Rahmen hing und in wechselnden schrill-bunten Farben auftrumpfte, geriet ins Wanken, aber sie hielt ihn noch rechtzeitig fest. Fast hätte sich seine Verbindung zur Steckdose mit der Zeitschaltuhr gelöst.

      Währenddessen hatte es ihr Edward gleichgetan und das Fenster vom Schlafzimmer bis zum Anschlag geöffnet. Es zog heftig durch die Wohnung, und der intensive, unangenehme Geruch bewegte