Station 9. Hansjörg Anderegg

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Название Station 9
Автор произведения Hansjörg Anderegg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526981



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eine Matratze Marke ›Concord Big Dream‹ gelegen hatte.

      »Leckomio! Jetzt schau dir das an. So ist‘s doch viel besser.«

      Ferdl bemerkte keinen Unterschied. Sie brauchten jetzt dringend einen Plan, um dieses Chaos in den Griff zu bekommen. Während er sich umsah, sank sein Herz immer tiefer in die Hose.

      »Hör zu, Kleiner, wir müssen aufräumen.«

      »Sonst geht‘s dir gut? Und nenn mich nicht Kleiner.«

      »Halt einfach die Goschn und spitz die Ohren!«

      Er bemühte sich redlich, den Grund für seine neue Ordnungsliebe zu erklären. Lorenz‘ Antwort bestand nur aus einer rhetorischen Frage:

      »Du checkst es nicht, oder?«

      Damit hatte er nicht gerechnet. Lorenz interpretierte sein leeres Gesicht als ein fettes Ja und erklärte ihm:

      »Wir Künstler brauchen das kreative Chaos, Ferdl. Wir können einfach nicht in einem sterilen OP arbeiten. Da stellt es uns den Schnauf ab, verstehst?«

      »Ach ja, ist das so? Die Herren Künstler brauchen also die dreckigen Unterhosen und böckelnden Strumpferl am Boden für die göttliche Inspiration? Ich sag dir jetzt was. Um sechs wird hier eine Göttin einfahren, um deine inspirierte Kunst zu bewundern, und dann liegt hier nichts anderes mehr herum. Haben wir uns verstanden?«

      Die ganz schlimmen Sachen steckten im Wäschekorb, als er den letzten Müllsack in den Hof trug. Zwanzig Minuten. Er betete, sie möge nicht zu früh eintreffen, denn er war noch nicht geduscht. Immerhin sah der Herr Künstler jetzt nicht mehr nur verwahrlost aus, sondern gewollt verwahrlost. Philosophisch bedeutete das einen riesigen Unterschied, den die Elli sicher erkennen würde.

      Ferdl knöpfte sich das Hemd zu, als es klopfte. Die Klingel war schon seit Jahren nur noch Kulisse. Hastig spritzte er sich etwas Herbes ins Gesicht, dann rannte er zur Tür.

      »Pinsel!«, mahnte er Lorenz unterwegs.

      Der Kleine hielt doch sonst stets Pinsel oder Spraydose in der Hand. Warum ausgerechnet jetzt nicht, da es drauf ankam? Er grüßte den Galeristen kurz und höflich, bevor er strahlend Ellis Hand ergriff und sie zum Mund führte, um ein Luftküsschen darauf zu hauchen.

      »Küss die Hand, Gnä‘ Frau.«

      Die Vorstellung gelang ihm perfekt, als hätte er sie mit der Muttermilch eingesogen. Elli fand das völlig normal. Sie wandte sich sofort dem Kleinen zu, bittersüß, unwiderstehlich – und der Duft! Vornehm und sehr teuer.

      »Sie müssen der Künstler sein«, sagte sie, freudig die Hand ausstreckend.

      Er wich einen Schritt zurück, ignorierte die Hand und murmelte:

      »Lorenz.«

      »Er ist etwas scheu Fremden gegenüber«, warf Ferdl eilig ein, während er dem Kleinen einen verstohlenen Tritt ans Schienbein versetzte.

      Gleichzeitig durchzuckte ihn die Erkenntnis wie ein Stich ins Herz: An alles hatte er gedacht, nur nicht ans Gläschen Sekt wie sonst üblich an Vernissagen. Errötend kramte er in Erinnerungen aus alten Filmen, um die richtige Formulierung zu finden. Schließlich platzte er heraus:

      »Ich bin untröstlich, meine Herrschaften! Ich kann Ihnen nicht einmal Sekt anbieten. Alles, was wir im Haus haben, sind ein paar Büchsen Sechzehner-Blech.«

      Horvath blühte auf. »Fantastisch, ist schon Jahre her seit meinem letzten Ottakringer. Her mit dem Blech, wenn ich so frei sein darf, Herr Gruber.«

      »Wenn Sie vielleicht einen Kaffee hätten«, sagte Elli.

      Es klang ein wenig wie die Totenglocke zum letzten Geleit des Ferdl Gruber. Kaffee gab es nicht in der alten Fabrik.

      »Aber selbstverständlich, verehrte Frau Magistra.«

      »Elli«, korrigierte sie, »und schwarz wie die Nacht bittschön.«

      Sie und Horvath wandten sich an den Herrn Künstler. Prioritäten setzen, sagte er sich, verzweifelt nach Ausreden suchend. Er brachte Horvath das Blech. Ein Problem weniger. Da sein Gehirn etwas zu langsam arbeitete an diesem Abend, lächelte er blöd und sagte:

      »Der Kaffee kommt gleich, Frau Elli.«

      Die beiden verstanden es offenbar, Lorenz in ein ernsthaftes Gespräch unter Kunstsachverständigen zu verwickeln. Ferdl brauchten sie nicht dabei.

      Er entfernte sich unauffällig, verließ die Fabrik und rannte die zwei Blocks zur Trafik. Er hatte keine Ahnung, wie Frau Swobodas Kaffee schmeckte, aber es war Kaffee, den er Elli schwer atmend vorsetzte. Sie bedankte sich bittersüß und rührte etwas Zucker hinein. Mit spitzen Lippen kostete sie die schwarze Brühe, um den Becher erschrocken wieder abzusetzen. Es gab ihm einen Stich ins Herz, als hätte er das Gift selbst getrunken.

      Elli wandte sich wieder der Kunst zu. Sie diskutierte leise aber angeregt mit Horvath beim Betrachten der Werke des Kleinen. Lorenz hatte sie mehr oder weniger chronologisch aufgereiht. Das ergab schon eine beeindruckende Gesamtschau seiner künstlerischen Entwicklung. Der Meister selbst stand etwas abseits, ein stiller Beobachter mit Karton und Filzstift in der Hand. Elli war offensichtlich genauso hingerissen von den Bildern wie Horvath. Ferdl verstand nicht, was sie sagten, schnappte nur hin und wieder ein Wort auf, das in seinem Wortschatz fehlte. Kaminski oder Kandinsky war so eins. Es klang wie eine geheime Zutat zur Sachertorte.

      »Was meinen Sie, wird das was?«, fragte er als Einleitung zum geschäftlichen Teil.

      Horvath und Elli tauschten Blicke. Sie verstanden sich scheinbar mittels Gedankenübertragung. Beide nickten. Der Galerist übersetzte für ihn und den Kleinen:

      »Diese Bilder zeugen von Kraft und Originalität. Da steckt großes Potenzial drin.«

      »Sie meinen, man könnte das Zeugs verkaufen?«, platzte er wie elektrisiert heraus.

      Der Kleine rettete ihn, dämpfte die Wirkung der deplatzierten Frage mit der altklugen Bemerkung:

      »Es geht doch jetzt nicht ums Geld.«

      Elli stimmte lächelnd zu. »Jetzt nicht, Herr Lorenz, aber ich denke, die Werke hätten gute Chancen auf dem Markt, wenn es klassische Bilder wären und man sie in geeignetem Rahmen ausstellte. Herr Horvath wird mir sicher zustimmen.«

      Der Galerist widersprach jedenfalls nicht, doch Lorenz warf Ferdl einen vorwurfsvollen Blick zu.

      »Da hast du es! Richtige Leinwand müsste her.«

      Es war Horvaths Stichwort. »Das ist das kleinste Problem, Herr Lorenz. Wir können Ihnen Leinwand und Keilrahmen zu sehr günstigen Bedingungen besorgen.«

      Ferdl wollte es genau wissen. »Was heißt günstig?«

      »Zum Beispiel, indem wir einfach die bescheidenen Materialkosten vom Erlös der Bilder abziehen. So brauchen Sie a priori nichts zu investieren.«

      Schon wieder unbekannte Wörter, aber Horvath hörte sich sehr seriös an.

      »Sie meinen …«

      »Besuchen Sie uns doch in den nächsten Tagen in der Galerie, dann besprechen wir alles Weitere in Ruhe.«

      Ferdl sah den Kaffeebecher, kalt und immer noch voll. In diesem Augenblick fiel ihm die Idee seines Lebens ein.

      »Ich habe einen Vorschlag«, sagte er zu Elli gewandt. »Wie wär‘s, wenn wir uns ganz unverbindlich zu einem richtigen Kaffee in einem gemütlichen Kaffeehaus treffen würden, um die Sache in Gang zu bringen? Lorenz kann in der Zwischenzeit schon mal in der Galerie schnuppern. Was sagen Sie dazu?«

      Horvath schien nicht eifersüchtig zu sein, ein gutes Zeichen. Der Galerist war ein Kerl, wenn auch etwas degeneriert, aber er hatte verstanden und grinste bis über beide Ohren. Elli bekundete mehr Mühe. Als Lorenz ihr die Skizze überreichte, die er mit Filzstift angefertigt hatte, brach das Eis.

      »Warum nicht«, sagte der bittersüße Mund.

      Abends auf dem