Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg

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Название Der zweite Killer
Автор произведения Hansjörg Anderegg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526950



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ist das Kürzel für ›Landstuhl Regional Medical Center‹«, erklärte er mit geschwellter Brust. »Es ist das größte Lazarett der US Streitkräfte außerhalb der USA.«

      Sie klopfte ihm auf die Schulter, dass er zusammenzuckte wie von 10’000 Volt getroffen. Ihre Ermittlungen hatten sich eben auf das Bundesland Rheinland-Pfalz und das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika ausgedehnt. Sie freute sich jetzt schon auf den Schlagabtausch mit der Staatsanwaltschaft.

      Jamie unterhielt sich am Stehtisch vor seinem Labor mit einer jüngeren Kollegin, als Chris überraschend am BCRT auftauchte. Die kleine Schwarzhaarige war ein ausgewachsener Scherzkeks, nach Jamies fröhlichem Gesicht zu urteilen. Der Ring an ihrem Finger beruhigte Chris nur halbwegs. Jamie trug auch einen.

      »Was treibt ihr eigentlich den ganzen Tag in diesem Institut?«, fragte sie misstrauisch.

      »Wenn wir nicht gerade am Flirten sind, meinst du? Ich will es mal so formulieren: Womit die andern ihre Zeit verbringen, habe ich noch nicht herausgefunden. Ich selbst stecke gerade mitten in der Arbeit an regenerativen Therapien des kardiovaskulären Systems.«

      »Das sieht man.«

      Unverschämt grinsend blickte er dem Po der Kollegin nach und fragte:

      »Möchtest du eine kompetente Führung?«

      »Nein, danke, aber vielleicht ein Glas Wasser. Kann man hier irgendwo sitzen?«

      Sie nahm auf seinem Schreibtisch Platz, um ihr Territorium zu markieren. Die Fröhlichkeit verschwand aus seinem Gesicht. Halb neugierig, halb betroffen, fragte er:

      »Dein Fall ist ein medizinisches Rätsel, nicht wahr?«

      »Was bedeutet gram-negativ?«

      »Bakterien nennt man gram-negativ, wenn sie sich nicht mit Triphenylmethan einfärben lassen. Das liegt am Aufbau ihrer Zellmembran, der sie zum Beispiel resistent macht gegen Penicillin. Gram-negative Bakterien zeigen allgemein eine zunehmende Resistenz gegen Antibiotika aller Art.«

      »Ist das nicht beunruhigend?«

      »Und wie! Die Medizin muss stets gröberes Geschütz auffahren, und manchmal hilft auch das nicht mehr, ganz zu schweigen von den Nebenwirkungen.«

      »Zum Beispiel Schädigung der inneren Organe.«

      »Wie bei deinem Fall? Das Neomycin?«

      Sie nickte. Auch ohne über den Fall zu sprechen, wussten beide, worum es ging.

      »War das Opfer, dieser US Soldat, in klinischer Behandlung?«

      »Eben nicht, das ist eines der Rätsel.«

      Jamies nächste Bemerkung erwischte sie kalt:

      »Falls doch, müsste ich wissen, in welcher Klinik.«

      »Wieso denn das?«

      Er blieb die Antwort schuldig, meinte nur:

      »Ohne pathologische Analyse lässt sich nicht viel sagen.«

      »Im Obduktionsbefund steht nichts Genaues.«

      »Das wundert mich nicht. Für solche bakteriologischen Untersuchungen braucht es Speziallabors.«

      »Zum Beispiel?«

      »Zum Beispiel das Robert-Koch-Institut. Mein Kollege Arne Schulz arbeitet dort als Infektionsepidemiologe. Der kennt jeden Bakterienstamm.«

      Sie fasste einen schnellen Entschluss. »Komm mit, es ist nicht weit zur Pathologie.«

      »Was, jetzt? Da gibt‘s nur noch Tote um diese Zeit.«

      »Umso besser.«

      Wie erwartet, fanden sie die Räume der Rechtsmedizin in der Charité verlassen vor.

      »Willst du seine Leiche stehlen?«, fragte Jamie nicht zum ersten Mal.

      Das schlechte Gewissen war seinen großen Kulleraugen anzusehen. Sie hatte ein gewisses Verständnis dafür. Ihr war auch nicht ganz wohl bei der Sache. Ihr Vorhaben verstieß bestimmt gegen ein Dutzend Paragraphen, die Referendar Seidel spontan zitieren müsste: unbefugtes Betreten, Störung der Totenruhe, Leichenschändung …

      »Es wird wohl nicht nötig sein, den Leichnam zu entführen«, sagte sie. »Wir beschaffen uns nur eine Probe etwas schneller, ohne Papierkram und lästige Diskussionen.«

      Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Du bist die Polizei.«

      Dankbar für ihren leeren Magen, betrat sie die Leichenhalle. Der Geruch nach Tod und Formalin löste jedes Mal Würgereiz aus. Nach kurzem Suchen fand sie das Fach mit Eddie Jones Mageninhalt. Sie zeigte Jamie das Fläschchen und flüsterte:

      »Genügt das?«

      In diesem Augenblick ging das Licht aus. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss der Stahltür. Schritte entfernten sich draußen im Flur. Ihr Puls schoss an die Decke.

      »Halt, aufmachen!«, rief sie aus Leibeskräften.

      Zu spät. Atemlos hetzte sie in der Finsternis durch die Halle, stieß sich an Tischkanten. Eine Schale fiel scheppernd zu Boden, bevor sie endlich den Türgriff erreichte. Verschlossen. Sie rief lauter, polterte mit den Fäusten ans Metall, getrieben von der Vorstellung einer Polarnacht unter Leichen. Jamie war schon gestorben. Er rührte sich nicht. Kein Ton war von ihm zu hören. Sie tastete nach dem Lichtschalter und lauschte. Es blieb still, aber wenigstens konnten sie jetzt die zwei neuen Leichen auf den Tischen wieder sehen. Sie hämmerte weiter an die Tür. Hämmerte, lauschte, hämmerte, lauschte, bis sich endlich Schritte näherten. Das Schloss knackte. Die Tür ging auf.

      »Jesus Maria!«

      Die Frau mit den grünen Gummihandschuhen sprang zur Seite, blasser als die Kunden in der Halle. Chris weckte Jamie mit einem scharfen Ruf aus der Totenstarre, dann schwenkte sie ihren Ausweis und sagte zur Reinigungskraft:

      »Weitermachen!«

      Ihr Gemahl fand die Sprache erst im Auto wieder.

      »Das nächste Mal ohne mich oder mit Formular«, brummte er. »Meine Nerven sind zu schwach für solche Übungen.«

      »Das war nicht zu übersehen«, grinste sie. »Aber wir haben die Probe.«

      »Dr. Schulz wird sich freuen.«

      Dr. Fisher am Regional Medical Center in Landstuhl war ein viel beschäftigter Mann, telefonisch nur für eine Terminvereinbarung zu sprechen und auffallend schweigsam beim Stichwort Eddie Jones. Das Lazarett gehörte zum Territorium der Vereinigten Staaten, tabu für den deutschen Justiz- und Polizeiapparat. Eine Unverschämtheit und ein lächerlicher Anachronismus in Chris‘ Augen.

      Im Gegensatz zu den Kollegen der Drogenfahndung betrachtete sie die Aktion rund ums alte Asylheim als unnötige Zeitverschwendung. Sie wartete mit Seidel ein paar Straßen weiter im Wagen, mehr mit dem Handy als mit den Vorgängen draußen beschäftigt. Das Funkgerät schwieg schon geraume Zeit. Außer einer Krähe mitten auf der Straße bewegte sich nichts. Seidel rutschte unruhig auf dem Sitz hin und her.

      »Worauf warten die alle?«

      »Auf die Dealer«, sagte sie, ohne aufzublicken. »Eine uniformierte Streife scheucht sie auf, die Fahnder in zivil verfolgen sie in ihre Löcher und fangen sie ab.«

      »Raffiniert«, murmelte er. »Warum macht man es nicht immer so, wenn es so einfach ist?«

      »Eine Frage des Aufwands.«

      Kaum gesagt, kam Bewegung auf, als erwachte das ganze Viertel mit einem Schlag aus dem Tiefschlaf. Gestalten in Anoraks und Hosen unter der Gürtellinie rannten über die Straße, flüchteten auf Fahrrädern oder suchten Deckung in dunklen Hauseingängen, wo sie die Beamten empfingen. Kleinkriminelle, dachte Chris verächtlich, als ein BMW um die Ecke bog und direkt auf sie zuschoss, die Krähe beinah erwischte und in einer Seitenstraße verschwand. Verfolger waren keine in Sicht.

      »Worauf warten Sie, Seidel? Los, hinterher!«

      Über