Lehren und Lernen. Andreas Schubiger

Читать онлайн.
Название Lehren und Lernen
Автор произведения Andreas Schubiger
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035506471



Скачать книгу

      Stadium des fortgeschrittenen Anfängers

      In diesem Stadium kommen ausgedehnte Erfahrungen durch Übung im Handlungsfeld dazu. Fortgeschrittene Anfänger lernen, verschiedene Aspekte einer Situation wahrzunehmen und zu unterscheiden. Sie verbinden das in Regelwerken Gelernte mit ihrer Praxis und entwickeln offenere und flexiblere Richtlinien, die der Variation der Praxis entsprechen. Das rein beschreibende Wissen wird allmählich durch kontextgebundenes Wissen ergänzt und ersetzt. Die Wahrnehmung der Gesamtsituation erfolgt jedoch analytisch, das heisst, fortgeschrittene Anfänger verlieren sich noch gerne im Detail und haben keinen Blick für das Wesentliche. Die Lernumgebung muss in dieser Phase eine hohe Dichte an wiederholten Übungen mit praktischen Beispielen und reflexiven Lerngefässen enthalten. Von Vorteil ist, wenn Ausbildungen ab diesem Stadium mit der Praxis verbunden werden. Es ist nicht verwunderlich, wenn mehrjährige Ausbildungen ohne Praxisbezug nicht über das Novizenstadium hinauskommen. Sie sind meist analytisch angelegt und bezüglich beschreibendem Wissen auf hohem Niveau. Studienabgänger können aber Praxisprobleme weder erkennen noch Lösungen generieren. Auch gut gemeinte, einmalige oder hochkomplexe Fallstudien sind in diesem Stadium überfordernd. Das Herausschälen typischer Aspekte bestimmter Situationen wird vor allem durch wiederholtes und variierendes Üben erreicht.

      Kompetenzstadium

      Im Kompetenzstadium erreichen Lernende den Sinn für das Wesentliche und verlassen langsam das Stadium des Anfängers, der pflichtgetreu nach Rezepten arbeitet. In diesem Stadium sind Lernende in der Lage, die Situation einzuschätzen, einen Plan zu erstellen und eine analytische, regelgeleitete Handlungsentscheidung zu fällen. Die Lernenden sind emotional beteiligt, da sie persönliche Entscheidungen fällen und deren Wirkungen evaluieren. Für dieses Stadium schlagen Dreyfus und Dreyfus (1986) den Einsatz von Fallstudien vor. Sie stellen des Weiteren fest, dass dies das letzte Stadium ist, das noch in der Schule resp. im Unterricht erreicht werden kann.

      Auf den folgenden zwei Stufen muss zwingend Praxiserfahrung hinzukommen.

      Stadium des gewandten Könners

      Gewandte Könner erfassen die Problemsituation unmittelbar und ohne bewusste Anstrengung. Sie haben gewissermassen den Könner- und Kennerblick. Die Handlungsplanung erfolgt allerdings noch bewusst. Durch ihre breite Erfahrung in verschiedensten Situationen lernen sie allmählich, die Situationen ganzheitlich zu erfassen. Diese werden unmittelbar und ohne bewusste analytische Leistung erkannt. Gewandte Könner wählen bewusst Lösungsstrategien aus, die sich in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen bewährt haben. Dreyfus und Dreyfus schlagen für diese Phase möglichst Realsituationen oder realitätsnahe Fallbearbeitungen vor. Kontraproduktiv wären jetzt Lehrstrategien aus den ersten zwei Stadien.

      Expertenstadium

      Im Gegensatz zum gewandten Könner erkennen Experten nicht nur die Situation intuitiv, sondern handeln auch entsprechend. Das heisst, der Experte sieht in der Situationsauffassung gleichzeitig auch die Handlungsalternative.

      Das Stufenmodell suggeriert, dass der Lernprozess mit diesem fünften Stadium abgeschlossen ist. Weil sich aber Umweltbedingungen verändern, müssen auch Experten stetig weiterlernen. Über die Reflexion ihres Expertenhandelns können sie sich den verändernden Bedingungen anpassen.

      Bei der Unterrichtsplanung müssen die jeweiligen Kompetenzstufen der Lernenden unbedingt berücksichtigt werden, damit sie nicht unter- resp. überfordert werden.

      Im Europäischen Qualifikationsrahmen spiegeln sich diese Kompetenzstufen in einem Acht-Stufen-Modell wider, das zur Niveauklassifizierung von Kompetenzen herangezogen werden kann. Für die Dimension des Könnens ergeben sich folgende acht Stufen:

Stufe 1 Unter direkter Anleitung in vorstrukturiertem Kontext
Stufe 2 Unter Anleitung mit einem gewissen Mass an Selbstständigkeit
Stufe 3 Verantwortung für Arbeits- und Lernaufgaben übernehmen. Verhaltensanpassung auf die jeweiligen Umstände
Stufe 4 Selbstständige Tätigkeit, wobei sich die Umstände ändern können. Beaufsichtigung der Routinearbeit anderer
Stufe 5 Leiten und Beaufsichtigen bei unvorhersehbaren Veränderungen
Stufe 6 Leitung komplexer fachlicher und beruflicher Tätigkeiten oder Projekte mit Entscheidungsübernahme in unvorhersehbaren Kontexten ; Übernahme von Verantwortung
Stufe 7 Zusätzlich strategische Verantwortungsübernahme
Stufe 8 Fachliche Autorität ; Einleitung von Innovationen; Entwicklungsverantwortung

      Abbildung 6 Kompetenzstufen nach Europäischem Qualifikationsrahmen

      In der Zwischenzeit sind auch die nationalen Qualifikationsrahmen von Deutschland und der Schweiz in Anwendung, die beide ebenfalls acht Kompetenzniveaustufen vorsehen.

      Für die schulische Kompetenzniveaubestimmung und Selbsteinschätzung lässt sich auch folgendes Stufenmodell gut einsetzen. Lernende können mit Hilfe dieser Einstufung ihren Kompetenzgrad selbstständig einschätzen.

Stufe 1 Ich kann es unter Anleitung durch eine andere Person oder mit Hilfe einer Checkliste tun.
Stufe 2 Ich kann es selbstständig unter ähnlichen Bedingungen tun.
Stufe 3 Ich kann es selbstständig in einem anderen Kontext tun.
Stufe 4 Ich kann es selbstständig in einem anderen Kontext tun, kann es erläutern und vormachen und bei Bedarf weiterentwickeln.

      Abbildung 7 Schulische Kompetenzniveaustufen

      3.1.3 Wollen

      Das Wollen, die dritte Dimension von Kompetenzentwicklung, wird häufig unterschätzt. Der Faktor Wollen hat aber auf dem Weg vom Wissen zum kompetenten Handeln eine wichtige Funktion. Für diesen Weg hat Gollwitzer (1996, S. 533) nach Storch und Krause (2007) das «Rubikonmodell» entwickelt:

Image - img_03000007.png

      Abbildung 8 Rubikonmodell

      Der Begriff Rubikon weist auf den Übergang vom Motiv zur Intention hin, dem Auslöser einer Zielsetzung und Handlung. Er geht zurück auf Julius Caesar, der den gleichnamigen Fluss überquerte und damit den römischen Bürgerkrieg entfachte.

      Bedürfnisse, Haltungen, Werte, Überzeugungen

      Menschen streben nach Sicherheit, Status, Autonomie, Verbundenheit und Anerkennung. Diese Bedürfnisse liegen ihrem Handeln zugrunde, sind aber meist nicht bewusst. Abweichungen vom Soll werden durch entsprechendes Handeln wieder ins Gleichgewicht gebracht. Durch die Gestaltung von Lernumgebungen können Lehrende diese Grundbedürfnisse für das Lernen