An neuen Orten. Rainer Bucher

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Название An neuen Orten
Автор произведения Rainer Bucher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429061623



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Kirchenaustritt bis zum Ausschluß vom sakramentalen Leben (insbesondere bezüglich Eucharistie, Buße und Krankensalbung) führen kann, aber nicht muß.72

      Natürlich steht hinter dieser Diskussion die berechtigte Angst, ein möglicher (formaler) Kirchenaustritt vor dem säkularen Staat ohne spürbare innerkirchliche Rechtsfolgen untergrabe die Finanzierungsbasis der Kirche in Deutschland und Österreich. Denn wenn sich zuerst die rechtliche Realität und dann die Einsicht verbreiten würden, dass man durch Austritt die Kirchensteuer/den Kirchenbeitrag sparen und dennoch mit praktisch allen Rechten in der Kirche bleiben kann, dann würde dies die Finanzen der Kirche in Deutschland und Österreich überaus nachhaltig erodieren lassen. Die ebenso prompte wie die bisherige Rechtslage aufrecht erhaltende Reaktion der deutschen und österreichischen Bischöfe auf römische und/oder kanonistische Infragestellungen eben dieser Rechtslage73 ist daher ausgesprochen verständlich, verfestigt aber jene kirchenrechtliche Position, die als Reaktion auf den Kirchenaustritt den Ausgetretenen vor allem sagt, dass sie „draußen“ sind.

      3 Die Dogmatik: „Du kannst nicht gehen“

      Es findet sich in der Theologie noch ein zweiter Diskurs zum Thema „Kirchenaustritt“. Die Dogmatik verhandelt das Problem der Ausgetretenen als Frage ihrer „Kirchengliedschaft“. Leitmotiv ist dabei stets, was die bereits erwähnte Stellungnahme der Österreichischen Theologischen Kommission so formuliert:

      Der Ausgetretene bleibt unaufhebbar ein Getaufter (und Gefirmter), bleibt durch Taufe unwiderruflich in die „Communio“ Kirche, in die Christus- und Christengemeinschaft Kirche, eingefügt. Das „unauslöschliche Merkmal“ steht für die Treue Gottes, der dem Täufling Christuszugehörigkeit in der Kraft des Geistes so gewährt, daß sie vom Getauften her nicht ausgelöscht werden kann.74

      Die Ausgetretenen, so die Dogmatik, sind das gar nicht wirklich: ausgetreten, sie sind vielmehr „nur“ Kirchenmitglieder, die einen spezifischen Akt des Ungehorsams gegenüber der kirchlichen Institution gesetzt haben und ihre praktische Partizipation am kirchlichen Leben (meistens) einstellen. Es kommt damit in der dogmatischen Reflexion etwas in den Blick, das weder im religionssoziologischen noch im kirchenrechtlichen Diskurs auftauchte: eine spezifische Relativierung des Institutionellen im Problem der Kirchenmitgliedschaft. Dies gelingt dadurch, dass die Kirche als corpus permixtum unterschiedlicher „Wirklichkeiten“ gesehen wird, von denen ihre Institutionalität nur eine, wenn auch, gerade in der katholischen Ekklesiologie, höchst relevante ist.

      Aber nicht nur intern, auch extern ist es mit der Kirchengliedschaft nicht so eindeutig. Schließlich sind, wie das Konzil in Lumen gentium 13 sagt, nicht nur „alle Menschen“ zur „katholischen Einheit des Gottesvolkes berufen“, sondern „gehören“, wenn auch „auf verschiedene Weise“, zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes oder „sind ihr zugeordnet“: so etwa zuvorderst „die anderen an Christus Glaubenden“, aber schließlich auch „alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind“.

      Die dogmatische Lage ist also ein wenig unübersichtlich, wenn auch auf der Basis der Lehre vom universalen Heilswillen Gottes weit und offen. Diese Lehre ist sicher im Weiteren stets zu beachten. Aber ihre Vermittlung mit der institutionellen Realität und den daraus folgenden Handlungsnotwendigkeiten von Kirche wie auch mit der Sakramentalität der Taufe scheint – vorsichtig gesprochen – nicht ganz einfach.

      4 Das pastoraltheologische Problem: Das Neue

      Der Blick auf Kirchenrecht und Dogmatik zeigt, dass die vorherrschenden Reaktionsmechanismen auf das Phänomen Kirchenaustritt – pastoraltheologisch gesehen – nicht recht weiterführen. Unmittelbar deutlich ist dies beim kirchenrechtlichen Diskurs. Er führt sich selbst in die Aporie, wenn er als Strafe für den bürgerlichen Kirchenaustritt de facto eben dies ansetzt: die Aufkündigung der vollen Kirchengemeinschaft. Das gleicht dem Bestrafen eines Vergehens mit einer Variante seiner selbst. Dass dieses Modell deutlich noch von einer realen, gesellschaftsweit durchsetzungsmächtigen Hoheit der Kirche ausgeht und damit in der bürgerlichen Gesellschaft faktisch unwirksam geworden ist, hat auch das Kirchenrecht bemerkt und verweist daher auf die „pastorale Sorge“.75

      Der dogmatische Zugang zum Phänomen der Ausgetretenen scheint mit der Lehre vom bleibenden Charakter der Taufe aussichtsreichere pastoraltheologische Perspektiven zu eröffnen. Udo Schmälzle betitelt denn auch seine Überlegungen zu den pastoralen Herausforderungen des Kirchenaustritts mit „Die Steuergemeinschaft endet. Die Heilsgemeinschaft bleibt!“76 und spricht völlig zu Recht davon, dass die „durch das Sakrament gestiftete Heilsgemeinschaft“ durch „einen Kirchenaustritt nicht zerstört“77 werde. Freilich stellt die Österreichische Theologische Kommission ganz realistisch auch fest, dass in

      der Seelsorge … damit zu rechnen (ist), daß der Anspruch der Kirche auf Verbindlichkeit und definitive Zugehörigkeit von vielen ihrer Mitglieder nicht übernommen, ja nicht einmal verstanden wird. Der Kirchenaustritt wird von vielen anders beurteilt, als dies in kirchenamtlichen Texten geschieht.78

      Das kommt dem Eingeständnis gleich, über den eigenen Diskursraum nicht wirklich hinauszukommen. Dabei geht es ja gerade um ein Phänomen, das wesentlich außerhalb dieses Diskursraums liegt. Mag der tauftheologische Zugang zur Problematik der Ausgetretenen in vieler Hinsicht sympathisch sein, vor allem, weil er sich jeglicher Denunziation der Ausgetretenen enthält und die bleibende Heilsgemeinschaft betont, so steckt auch er formal und pastoral in einer Aporie: Er begreift die Ausgetretenen unter einer Sinnperspektive, welche diese selbst ausdrücklich ablehnen und gegen die sie ihren Schritt gesetzt haben.

      Hatte das Kirchenrecht die Ausgetretenen bestraft und exkommuniziert, so reintegriert sie die dogmatische Tauftheologie. Das Kirchenrecht nimmt den bürgerlichen Kirchenaustritt ernst und bestraft ihn mit – innerkirchlichen, also unwirksamen – Sanktionen. Die Tauftheologie bestraft nicht und eröffnet eine bleibende Gemeinsamkeit jenseits der institutionellen Desintegration, aber gerade diese Gemeinschaft ist es ja, welche von den Ausgetretenen nicht mehr gewollt ist. Das Kirchenrecht bestraft die Tat mit ihr selber, die Dogmatik sagt, dass sie in einem tieferen Sinn eigentlich gar nicht stattgefunden hat.

      Freilich: Diese Aporie zeigt sich nur unter pastoraler Perspektive, das heißt: wenn Kirche konkret handelnd versucht, mit Ausgetretenen tatsächlich in Kontakt zu kommen, also nicht über sie, sondern mit ihnen zu reden. Dann aber wird klar: Weder die kirchenrechtliche Qualifikation der Ausgetretenen als Straftäter noch die tauftheologische Wahrheit „Ihr gehört weiter zu uns“ sind für sich genommen hinreichende Konzepte des Umgangs mit Ausgetretenen. Die Aporie des kirchenrechtlichen Zugangs liegt in seinem Versuch, den Kommunikationsabbruch mit Kommunikationsabbruch zu bestrafen, jene des dogmatischen Zugangs darin, den Kommunikationsabbruch als nicht wirklich geschehen zu kommunizieren. Beides aber eröffnet keine neue Kommunikationsbasis.

      Dazu wäre es notwendig, den anderen nicht nur von sich her, sondern auch sich von den anderen her zu sehen. Ohne diese Fähigkeit zur Reversibilität des Blicks und zur wirklichen Relationalität aber ist personale wie institutionelle Existenz in der Pluralität der späten Moderne überhaupt nicht mehr möglich. Und genau das zeigt sich im Umgang mit Ausgetretenen.

      Vielleicht gibt es im bisher Gefundenen eine Ausnahme: die Lehre vom universalen Heilswillen Gottes. Immerhin hält sie fest, dass auch die Ausgetretenen eine bleibende Aufgabe für die Kirche darstellen. Sie gehören, wie alle Menschen, Getaufte und Ungetaufte, zum Erlösungshorizont des Heilswillens Gottes und sind damit ein Thema und ein Problem für das Volk dieses Gottes. Aber welches?

      5 Die geistliche Herausforderung

      Meine These hierzu lautet: Sie sagen der Kirche Neues über sich selbst und sind darin eine geistliche Herausforderung. Denn es fordert von ihr, ihre alte pastorale Aufgabe neu zu lösen, ohne schon genau zu wissen, wie es geht.

      Die Austrittszahlen sprechen davon, dass die Kirche offenkundig nicht ausreichend Erfahrungsorte schaffen kann, an denen sich die Existenzbedeutsamkeit des Glaubens und der religiöse Sinn der menschlichen Existenz eröffnen. Nachdem der Kirche