Achtsam führen (E-Book). Jörg Krissler

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Название Achtsam führen (E-Book)
Автор произведения Jörg Krissler
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия Für die Praxis - Aus der Praxis
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783035513165



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      Die strategische, strukturelle und kulturelle Ausrichtung einer Organisation ist für alle Mitarbeitenden, egal welcher Charge, wegweisend. An ihnen gilt es, die eigene Passung zu überprüfen und sich in der Folge, daran zu orientieren. Bei Verantwortungsträgerinnen und -trägern ist es unumgänglich, dass sie die Ausrichtung einer Unternehmung bejahen und mittragen. Vor allem aber muss die Kultur gelebt werden und im Umgang miteinander spürbar sein. Das beeinflusst wesentlich, ob sich Menschen in ihrem Berufsumfeld wohlfühlen, beste Leistung abrufen können und dem Unternehmen über längere Zeit erhalten bleiben. Diesbezüglich gibt es kaum Kompromisse. Zu glauben, spürbare Ungereimtheiten seien ja nicht so schlimm und aushaltbar oder ein Zustand, der sich irgendwie von selbst ändern werde, ist falsch. Man hört förmlich die Zeitbombe ticken. Es ist bekannt, dass sich viel zu viele unzufriedene Menschen durch den beruflichen Alltag quälen. Wie entsteht eine solche Unzufriedenheit?

      Der «Fehlzeiten-Report» der Gesundheitskasse AOK, für den über zweitausend Beschäftige befragt wurden, zeigt den Zusammenhang zwischen dem Grad des eigenen Sinnerlebens und den krankheitsbedingten Abwesenheiten am Arbeitsplatz auf. Dort, wo sich das erlebte Betriebsklima deutlich von der persönlichen Wunschvorstellung unterscheidet, zeigen sich bei den Betroffenen mehr als doppelt so viele Fehltage wie bei jenen, die größere Sinnhaftigkeit erleben.7

      Für die Betriebe heißt es, ein konstruktives Arbeitsklima zu schaffen, in dem ein gesundes Arbeiten über lange Zeit möglich ist. Punktuelle Angebote, zum Beispiel im Wellness- oder Fitnessbereich, sind gut gemeint, greifen aber häufig zu kurz. «Friendly Work Space», das Label der Gesundheitsförderung Schweiz, ist ein Qualitätssiegel, das Unternehmen auszeichnet, die erfolgreich ein betriebliches Gesundheitsmanagement realisieren und sich systematisch für gute Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden engagieren. Die Initiantin garantiert: «Unternehmen mit dem Label Friendly Work Space bieten ein respektvolles und wertschätzendes Arbeitsumfeld. Label-Betriebe engagieren sich für ein ganzheitliches Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden. Von den guten Arbeitsbedingungen profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch Firmeninhaber und Führungskräfte.»8

      Eine Kultur ändert sich innerhalb eines bestehenden Systems nur langsam. Erst bei Führungswechseln auf oberster Ebene sind ruckartige Transformationen möglich, die es dann wieder mit den individuellen Werten abzustimmen gilt. Mitarbeitende überprüfen laufend, ob sie sich weiterhin für die Verantwortungsträger und die Unternehmensidee engagieren wollen. Durch eine stete, ehrliche Aufmerksamkeit ihnen gegenüber können sie und ihre Leidenschaft für die Unternehmung erhalten bleiben.

      Strategien werden durch die Unternehmensleitungen vertraulich entwickelt. Sie sind nicht für fremde Augen und Ohren bestimmt. Ungünstig, wenn die Konkurrenz zu früh von den eigenen Absichten erfährt. Wie aber steht es mit den Mitarbeitenden? Ab welcher Verantwortungsstufe ist es angebracht, sie mit einzubeziehen oder mindestens zu informieren? Anders betrachtet: Bis zu welcher Stufe ist es zu risikoreich, den Inhalt von wichtigen Papieren offenzulegen? Oft sind nur die obersten Kader in strategische Überlegungen involviert und verfügen auf diese Weise über die relevanten Angaben zu längerfristigen Absichten der Unternehmensleitung. Das ist ein Fehler. Mitarbeitende gehören, maßgeschneidert auf ihren Verantwortungsbereich, informiert. Innerhalb eines umsichtigen Rekrutierungsprozesses sollten die Verantwortlichen sehr konsequent, kritisch und streng vorgehen. Wenn die Zusage aber erfolgt ist, verdienen es die neuen Mitgestalterinnen und Mitgestalter, dass man ihnen vertraut sowie ein Verständnis der übergeordneten Zusammenhänge und ein Engagement dafür zutraut.

      Mit der «Balanced Scorecard» wurde ein Instrument entwickelt, mit dem die Strategie für alle Abteilungssegmente übersetzt werden kann, sodass die Mitarbeitenden aller Verantwortungsbereiche die Unternehmensziele verstehen und sich dafür einsetzen können. Auch wenn ein solches Instrument helfen kann, Transparenz innerhalb der Gesamtunternehmung zu erreichen, gibt es nicht den Ausschlag für den Unterschied. Zentral ist die Bereitschaft der zutrauenden, achtsamen Leitung zur offenen Kommunikation.

      Die reduzierte Version der Strategie, die sich nach innen und nach außen richtet, ist das Leitbild. Dieses ist eher als werteorientierte Werbebotschaft formuliert und sollte den höheren Unternehmenszweck, den Purpose, deutlich machen. Auch daran sollen sich Führungskräfte orientieren können. Wenn dieses Instrument in einem gemeinsamen Prozess mit den Teammitgliedern entwickelt wurde, dann hat es große Chancen, in der Praxis zu bestehen und sinnstiftend zu wirken.

      Achtsame Führung gelingt, wenn die Führungskraft kritisch loyal hinter den übergeordneten Absichten der Unternehmensleitung stehen kann. Dabei ist mit Loyalität nicht blinder Gehorsam gemeint, sondern die emotionelle Verbundenheit. Wenn sich der oder die Vorgesetzte am richtigen Ort wähnt, dann sind die eigenen Pläne mit denen des Betriebs und jenen der Mitarbeitenden bestens synchronisierbar. Die Bestätigung, dass es funktioniert, zeigt sich in engagierten Mitarbeitenden, die über ihren eigenen Verantwortungsbereich hinausdenken und handeln.

       Leitfragen und Notizen

      Wie weit decken sich Strategie und Leitbild mit meinen Interessen?

      Wie kann ich diese übergeordneten Ziele gegenüber meinem Team noch besser verständlich machen?

      Wie kann ich die Mitarbeitenden befähigen, dass sie sich für die strategischen Zielen engagieren?

      Die aktuelle Wirtschaft ermöglicht, dass sich Firmenstrukturen innerhalb eines breiten Kontinuums bewegen. Dieses verläuft zwischen stark hierarchisierten Führungssystemen über Matrixkonstrukte bis hin zu solchen, die rein holokratisch organisiert sind. Autokratische Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass das Denken in den Köpfen einzelner Menschen stattfindet und aus den Schlussfolgerungen präzise Handlungsanweisungen für die Mitarbeitenden abgeleitet werden. Mitarbeitende übernehmen dann wenig Verantwortung und delegieren Themen im Zweifelsfall zurück an die übergeordnete Führungsebene. Dort wird aufgrund der vorhandenen Informationslage entschieden, jedoch meist ohne die nötigen direkten emotionalen Eindrücke des Marktes. So manifestiert sich ein Sicherheit suggerierendes Wachstumssystem. Die Holokratie hingegen irritiert das klassische Führungsdenken. Sie löst die fixe Führung zugunsten von variablen Rollen ab, was beispielsweise dazu führt, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter gleichzeitig im Projekt X die Finanzverantwortung übertragen erhält und im Projekt Y die Marketingkoordination. Wie die strenge Hierarchie ist das Prinzip Holokratie sehr prägnant strukturiert, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint. Das schafft eine enorme Klarheit.

      Bei den aktuell und zukünftig eher komplexen Herausforderungen des Marktes fehlt für das alleinige Durchdenken aller möglichen Varianten die Zeit. Frederic Laloux merkt dazu an:

       In Wirklichkeit sind Organisationen fast immer komplexe Systeme. Deshalb schlagen so viele Veränderungsvorhaben fehl. (…) Von den Führenden verlangt dies eine neue Haltung – eine Haltung, die Vertrauen und eine starke Entschlossenheit für diesen Weg beinhaltet, sowie die Bereitschaft, offen zu erklären, dass jeder gut durchdachte, im Voraus erstellte Plan zwar tröstend sei, aber eine Illusion wäre. Und dass Veränderung nie ohne Schmerzen vor sich geht; eine Zeit lang werden die Dinge im Ungleichgewicht und verwirrend sein. 9

      Deshalb haben sich viele Unternehmen von strengen Hierarchien mit starr stufenabhängigem Denkauftrag verabschiedet. Sie erkennen den Nutzen darin, weitere Kompetenzdimensionen in die Verantwortung einzubinden. Der Trend entwickelt sich deutlich weiter in Richtung dieser offenen, demokratischen Systeme. Die unterschiedlichen Sichtweisen, die jetzt eine offizielle Bühne erhalten, können jedoch zu Spannungen führen, die es wiederum als spezifischen Wert anzuerkennen und zu nutzen gilt. Aus der Unternehmensoptik sind so die getroffenen Entscheidungen breiter abgestützt und damit sicherer. Menschen ihrerseits erleben eine höhere Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit, wenn diese auf einen höheren Zweck abzielt. Sie können stolz ihren Beitrag an Zwischen- oder sogar Endergebnissen erkennen.

      Während