Название | Über Umwege zum Lehrberuf |
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Автор произведения | Dilan Aksoy |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035508499 |
2.3Berufswechsler und Quereinsteigende: Lückenbüsser oder vollwertige Lehrkräfte?
Viele Länder, darunter auch die Schweiz, haben mit wiederkehrenden Phasen des Lehrpersonenmangels zu kämpfen (vgl. z.B. Ingersoll, 2001; Laming & Horne, 2013; OECD, 2015). Die Schweizer Bildungspolitik reagierte bereits in den 1960er-Jahren mit der Schaffung von Ausbildungsangeboten – die heute wohl als Quereinsteigermodelle bezeichnet würden –, um die Kapazitäten in den bestehenden Ausbildungsinstitutionen zu erhöhen (Criblez, 2017). Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung wurde für neue Personengruppen geöffnet, alternative Ausbildungsmöglichkeiten für Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen wurden gebildet, darunter Sonder- und Umschulungskurse für Personen mit Matura, für Akademikerinnen und Akademiker sowie für Berufsleute, das heisst Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung.
Die Ausweitung der Rekrutierung und die Schaffung alternativer Zugangswege und Ausbildungsmöglichkeiten für Personen mit Berufsausbildung entspricht zwar einer langjährigen Praxis, ist aber grundsätzlich mit zwei Problemen behaftet: Zum einen ist sie nur bedingt dazu geeignet, das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage im Schuldienst zu regeln, wie Criblez anhand der sogenannten «Schweinezyklen» darlegt. Staatliche Steuerungsmassnahmen haben die Tendenz, erst verzögert zu greifen, und trugen in der Vergangenheit nicht selten dazu bei, dass Phasen des Lehrermangels ins Gegenteil kippten. Zum anderen steht, wie Puderbach und Kollegen (2016) pointiert ausführen, die erst kürzlich durchlaufene Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im eigentlichen Widerspruch zur Senkung der formalen Zugangshürden für Berufswechsler und Quereinsteigende, zumal positive Effekte früherer Berufserfahrungen auf die professionelle Entwicklung von Lehrpersonen bisher nur schwer belegbar seien. Sind Berufswechslerinnen und Berufswechsler als «Lückenbüsser» also wirklich die richtige Wahl?
Hinzu kommt, dass das Phänomen des Lehrkräftemangels sich durch Berufsaustritte beziehungsweise die Berufsmobilität noch verschärft. Zwar ist die Lage diesbezüglich zumindest in der Schweiz nicht ganz so dramatisch wie zuweilen in den Medien berichtet. Wie sowohl der Bericht des Bundesamts für Statistik wie auch der Schweizer Bildungsbericht 2014 klarstellen (BFS, 2014; SKBF, 2014), beträgt der Anteil der Berufsaussteigenden bei den Lehrpersonen in den ersten fünf Berufsjahren entgegen wiederholter Medienberichte nicht 50 Prozent, sondern rund 17 Prozent. Die 50 Prozent beziehen sich auf die allgemeine Berufsmobilität, das heisst sämtliche personellen Verschiebungen wie z.B. Kündigungen mit anschliessendem Schul- oder Kantonswechsel. Berufsmobilität ist nicht mit Berufsausstieg gleichzusetzen, auch wenn eine hohe berufliche Mobilität lokal durchaus zu Lehrpersonenmangel führen kann, wenn etwa die Anstellungsbedingungen in einem Kanton attraktiver sind als in einem anderen. Die relativ starke Berufstreue von Lehrpersonen bei gleichzeitig hoher Berufsmobilität stützt die Einschätzung von Ingersoll (2003), dass weniger die Zahl der beginnenden Lehrkräfte zu erhöhen sei, als dass dafür gesorgt werden müsse, dass die Arbeitsbedingungen und die beruflichen Perspektiven für die ausgebildeten Lehrkräfte attraktiv genug seien, um langjährig im Beruf und auch an einer bestimmten Schule zu verbleiben.
Wie die in diesem Kapitel zusammengefassten Überlegungen zeigen, spricht vieles dafür, dass die Schweiz mit ihren Programmen für Berufswechslerinnen und Berufswechsler auf einem guten Weg ist: Die diversen Angebote haben sich als alternative Zugangswege zum Lehrberuf inzwischen relativ fest etabliert und zielen nicht nur aufs Füllen von Personallücken ab – anders als beispielsweise in Deutschland, wo Programme für Quereinsteigende derzeit mehrheitlich Projektstatus haben und nur in Phasen des Lehrkräftemangels eingesetzt werden, wie Puderbach und Kollegen (2016) erläutern.
Es lässt sich schlussfolgern, dass die Ausbildung von Quereinsteigerinnen und Berufswechslern zwar häufig als Gegenmassnahme in Zeiten des Lehrermangels verstanden wird, dass diese staatlich gesteuerte Lückenfüllerfunktion aber weder strukturell zwingend notwendig und effektiv ist, noch den Kompetenzen der betroffenen Personen als qualifizierte Lehrkräfte gerecht wird. Die Frage ist darum vielmehr, wie Lehrpersonen mit Vorberufserfahrungen dem Bildungssystem über die ihnen oft zugeschriebene Funktion als Lückenbüsser hinaus dienlich sein können, welche Impulse und Ressourcen sie in den Lehrberuf hineinbringen, welche Ausbildungs-, Berufseinführungs- und Weiterbildungsmassnahmen für sie geeignet sind und was dazu beigetragen werden kann, dass auch diese Lehrpersonen langfristig in ihrem neuen Beruf verbleiben. Wie alte und neue Erfahrungen zusammenspielen, was dies für die professionelle Entwicklung von Lehrpersonen ganz allgemein und von Berufswechslerinnen und Berufswechslern im Speziellen bedeutet und inwiefern diese Prozesse Einfluss auf den Berufsverbleib haben, bleiben daher weiterhin wichtige Fragen der Professionalisierungs- und der Verbleibforschung, zu denen die folgenden Kapitel einen Beitrag leisten sollen.
3Berufsleute als Lehrpersonen: Die Studie in Kürze
Die Befunde, die in diesem Band präsentiert werden, basieren auf dem von der Pädagogischen Hochschule PHBern finanzierten Projekt «Berufsleute als Lehrpersonen», das im Zeitraum zwischen 2013 und 20151 durchgeführt wurde. Ziel war, diplomierte Lehrpersonen mit und ohne Vorberuf einige Jahre nach der Diplomierung zu befragen und hinsichtlich verschiedener Aspekte ihrer beruflichen Entwicklung miteinander zu vergleichen. Konkret wurde untersucht,
–wie kompetent sich die Lehrpersonen gegenüber den Anforderungen des Lehrberufs fühlen, als wie beanspruchend sie die verschiedenen Berufsanforderungen wahrnehmen und wie wichtig sie ihnen sind,
–wie zufrieden und belastet sie mit dem Lehrberuf sind und von welchen Faktoren dies abhängt, sowie
–ob sie im Lehrberuf verblieben sind oder ihn inzwischen wieder verlassen haben und welche Gründe allenfalls zum Ausstieg aus dem Lehrberuf beigetragen haben.
Hinsichtlich dieser Fragen wurden die Lehrpersonen mit und ohne Vorberuf miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Lehrergruppen analysieren zu können. Nur bei den Berufswechslerinnen und Berufswechslern wurde zudem in Interviews erfragt,
–welche Herausforderungen sich ihnen in den ersten Berufsjahren als Lehrkräfte stellten,
–welche Bedeutung sie in ihrer Vorberufserfahrung für die Arbeit als Lehrperson sehen und welche Kompetenzen, die sie in ihrem Vorberuf erworben haben, sich aus ihrer Sicht in den Lehrberuf übertragen liessen.
Zur Untersuchung der Forschungsfragen war es zentral eine Stichprobe zu finden, anhand derer Lehrpersonen auf dem zweiten oder späteren Bildungsweg mit solchen verglichen werden konnten, die den Lehrberuf als Erstberuf erlernt hatten. Da die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Bern auf eine lange Tradition von Angeboten für Berufswechslerinnen und Berufswechsler zurückblicken kann, bilden die Berner Absolventinnen und Absolventen eine vielversprechende Stichprobe für solche Fragen. Nachdem im Rahmen der Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung die Maturität als Qualifikationsbedingung für den Einstieg ins Lehramtsstudium festgelegt worden war (EDK, 1999a; EDK, 1999b), wurde an der Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Universität Bern (LLB) das allgemeinbildende Studienjahr für Berufsleute etabliert, das Personen ohne Matura auf die Aufnahmeprüfung vorbereitete. Im Jahr 2005 nahm die PHBern ihren Betrieb auf und übernahm diesen sehr beliebten alternativen Zugangsweg, der im Laufe der Jahre für verschiedene Zielgruppen diversifiziert wurde und unter der Bezeichnung «Vorbereitungskurs» bis heute Bestand hat. Aufgrund dieses intensiv genutzten Angebots umfassen die Absolventinnen und Absolventen der LLB wie auch der späteren PHBern traditionellerweise einen hohen Anteil von Lehrpersonen auf dem zweiten oder späteren Bildungsweg.