Lernen ist meine Sache (E-Book). Dagmar Bach

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Название Lernen ist meine Sache (E-Book)
Автор произведения Dagmar Bach
Жанр Документальная литература
Серия hep praxis
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035506891



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bestimmen am Schuljahresbeginn ihre Themenpräferenz und können zusätzlich einen Vertiefungsjoker einsetzen. Das Präferenzthema wird teilweise oder überwiegend durch die Lernenden vorgestellt. Mit dem Vertiefungsjoker kann man tiefer in weiteres Stoffgebiet eindringen und wird dafür von anderem entlastet (zum Beispiel von Lernzielkontrollen oder der Prüfung, indem das Resultat der Vertiefung bewertet wird).

      c)Verteilung der Themen (ganzer Lehrplan oder auch nur eine Sequenz) auf die Lernenden nach freier Wahl. Diese vertiefen sich zu ihrem Thema aufgrund eigener Fragestellungen und Prioritäten und übernehmen dann, wenn das entsprechende Thema in der ganzen Klasse zur Sprache kommt, eine spezielle Funktion, zum Beispiel Moderator, Vermittler/Inputgeberin, Experte, Prüferin/Prüfungserstellerin …

      d)Ergänzungsvariante zu c) Die jeweilige Themenspezialistin amtet während einer längeren Phase als Themensachwalterin, beauftragt, laufend Aktualitäten zu sammeln, und bei Gelegenheit (z. B. Tagesaktualität, Exkursion …) auch autorisiert, ein Zeitfenster im Unterricht zu beanspruchen (Input, Diskussion …).

      Anfänge[4]

      Der Start in eine neue Lebensphase ist immer bedeutsam, auch lernpsychologisch. Das gilt genauso für «kleine» Anfänge wie ein neues Schuljahr oder den Beginn eines Schultags. Von sich selbst kennt man den Nachhalleffekt von ersten Eindrücken, die Beharrlichkeit von Erstdeutungen und die Schwierigkeiten, solche Primärurteile zu korrigieren. Möglicherweise liegt darin ein tief verborgener Grund für die Einstiegsgags und «Motivationsvideos» zum Unterrichtseinstieg – und auch ein Irrtum. Anders, als das ein Shoppingcenter tun muss, kann die Schule darauf verzichten, ihr Publikum anzulocken, es kommt, weil es muss. Es wäre ein seltsames pädagogisches Verständnis zu glauben, man müsse die Schülerinnen und Schüler zu Beginn für ihr Kommen belohnen und aufheitern, damit sie die Unbill des restlichen Schultags besser ertragen. Nichts gegen originelle Unterrichtseinstiege oder Themeneinführungen, sofern sie einen funktionalen Zusammenhang mit dem Nachfolgenden haben. Alleweil besser ist indes, wenn der Stoff selbst auf Interesse stösst und nicht nur das Eingangstor dazu.

      Neugierde und Lernerwartungen zu Beginn der neuen Lebensphase Berufsausbildung kann man kaum wirksamer sabotieren als mit dem, was gemeinhin als «frühzeitig Pflöcke einschlagen» bezeichnet wird: mit der Bekanntgabe von Regeln, Normen, Verboten und Sanktionen am ersten Schultag, mit dem Aufbau einer Drohkulisse von weit in der Zukunft liegenden Leistungs- und Prüfungsnormen. Geht man von Lernbedürfnissen, von Neugierde und einem gewissen Wissensdrang aus – wovon sollen Lehrpersonen denn sonst ausgehen? –, ist eine solche Initiation in die Berufsfachschule ein kräftiger und nachhaltiger Dämpfer und bester Nährboden für spriessende Lernhemmungen. Gleiches gilt für die anschliessenden Standortbestimmungen in Deutsch und Mathe, da helfen auch keine Beschwichtigungen der folgenden Art: «… ist nicht notenwirksam ...», «… nur im Interesse der Schüler/innen …».

      Die Neugierde adressatengerecht abrufen, echtes Interesse demonstrieren gegenüber den Lernbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler, das Lernangebot so schmackhaft präsentieren, wie das Konsumentinnen und Konsumenten nun mal gewohnt sind, sind die Alternativen zur lernkillenden Pfählerei, zu subtilen Machtdemonstrationen oder zum Spiegeln von Defiziten. Als Klarstellung: Ich unterstelle niemandem derartige Absichten, ich erwäge lediglich denkbare Rezeptionsmuster bei Lernenden, die schon mit eingeschränkter Begeisterung zum ersten neuen Schultag erschienen sind. In Erinnerung gerufen sei Typ C.

      Zu den «kleinen Anfängen» ein paar generelle Appelle: sich an die Interessen herantasten, dynamisch planen und flexibel auf Befindlichkeiten reagieren. Viel mehr fällt mir dazu nicht ein, dafür Fragen:

      •Haben Sie ein bewährtes Muster für den Anfang Ihres Schultags?

      •Haben Sie ein Repertoire von unterschiedlichen Anfängen und allenfalls sogar eine Strategie für die jeweilige Wahlentscheidung?

      •Tauschen Sie mit Kollegen und Kolleginnen Ihre «Anfänge» aus? Warum nicht?

      •Haben Sie die Klasse schon mal gefragt, welche Anfänge gut ankamen oder welche Anfänge sie gerne hätten?

      •Sind Einstiege/Anfänge eine Kategorie beim Einholen von Schülerfeedbacks? Diese Frage könnte auf weitere konkret durchgeführte Unterrichtssequenzen angewendet werden, denn Lernende können am klarsten Erlebtes bewerten.

      Wertvoll bewerten

      Ausgehend vom Verdikt, dass Bewertung und Noten unabdingbare schulische Vorgaben sind, wird hier keine Kontroverse über Bewertung geführt, lediglich vier relativierende Vorbemerkungen möchte ich den praktischen Anregungen voranstellen:

      1.Noten drücken nur annähernd eine Leistung aus. Erst recht verlieren sie im klasseninternen Vergleich an Bedeutung, denn zwei Lernende mit gleichen Noten haben selten die gleiche Leistung erbracht, allein schon wegen der unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen.

      2.Man weiss zwar, dass Noten keinen allzu grossen Prognosewert haben, aber angesichts einer bevorstehenden Abschlussprüfung sollten die Vornoten im entsprechenden Teilgebiet dennoch keine falschen Erwartungen wecken. Krasse Fehleinschätzungen des eigenen Leistungsstands aufgrund von Erfahrungsnoten könnten in der Abschlussprüfung zum Scheitern beitragen.

      3.Noten zielen in der Regel mehr auf erbrachte Leistung und weniger auf die Person, wie das Verbalbewertungen tun, Notenzeugnisse sind deshalb tendenziell «schonender» als Wortzeugnisse.

      4.Nicht jede Bewertung muss eine Note zur Folge haben.

      Als kleine Auswahl didaktischer Bausteine zum Bewertungsaspekt:

      •Am Schluss die Prüfung, dann die Note – wieso eigentlich? Wieso können Schülerinnen nicht zu Beginn einer Sequenz (eines Themas, einer Kompetenz ...) dem, was sie bereits können, einen Wert zumessen? Ganz allgemein oder in Bezug auf die geforderten Lernziele. Nicht als Gag, sondern zur pro- und retrospektiven Selbsteinschätzung.

      •Lernende können sich recht gut selbst bewerten, auch gegenseitig. Dazu kann ruhig mit verschiedensten Spielarten experimentiert werden; die Schülerwertung sollte aber namhaft in die erteilte Note einfliessen.

      •Die Vorschläge b bis d auf Seite 42 liefern verschiedene hervorragende Gelegenheiten, sich als Lernende dort selbst zu bewerten beziehungsweise bewerten zu lassen, wo man Interesse und Engagement investiert hat.

      •Bewertungen im Umfeld von echten Eigenleistungen können neben der Fremd- und/oder der Selbstbewertung des Produktes auch eine Selbstbewertung des Prozesses beinhalten.

      •Wenn Prüfungskandidatinnen und -kandidaten das Schwierigkeitsniveau wählen können, lassen sich Prüfungsstress und Angst vor katastrophalen Noten verringern. Damit die «Fairness» trotzdem gewahrt ist, könnte man die Skalierung entsprechend anpassen und auch so deklarieren: Alles richtig auf Niveau 1 gibt die Note 6, auf Niveau 2 eine 5,5 und auf Niveau 3 eine 5. Das funktioniert umso besser, je mehr die unsicheren Kandidatinnen und Kandidaten schon die Erfahrung gemacht haben, dass mit der Wahl von Niveau 3 mit grosser Wahrscheinlichkeit eine 4,5 oder eine 5 erzielt werden kann.

      Und es gilt noch immer: Bausteine sind Angebote, die erst in der Hand der Praktikerinnen und Praktiker ihren Nutzen entfalten. Klar im Vorteil sind jene, die realisiert haben, dass sie die Bausteine an ihr Werk anpassen müssen, und die auch bereit sind, einmal einen etwas ungewohnten Brocken in die Hand zu nehmen, dafür auf einen anderen zu verzichten, den sie bislang aus purer Gewohnheit verwendet haben.

      Literatur

      Bastian, J. (2014). Sich als Schüler selbst motivieren: Hintergründe, Bedingungen, Unterstützungsmöglichkeiten. Pädagogik, Bd. 66, H. 2, S. 6–9.

      BBV (2003). Verordnung über die Berufsbildung (Berufsbildungsverordnung) vom 19. November 2003. SR 412.101.

      Grassi, A./Rhiner, K./Kammermann, M./Balzer, L. (2014). Gemeinsam zum Erfolg. Früherfassung und Förderung in der beruflichen Grundbildung durch gelebte Lernortkooperation. Bern: hep.

      Guggenbühl, A. (2014). Leidenschaft und Interesse. Wie Schüler lernen – und warum Lehrer mit einem Fuss in der ausserschulischen Welt stehen sollten. Neue Zürcher