Der Glückskompass. Michael Kunze

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Название Der Glückskompass
Автор произведения Michael Kunze
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783990014806



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weit entfernt, als er eines Tages einen neuen persönlichen Assistenten braucht. Mit den Bewerbern ist er jedoch unzufrieden. Am meisten stoßen ihn jene ab, die Lebenssinn für sich selbst suchen, indem sie behinderten Menschen helfen.

      Auch Driss bewirbt sich bei Philippe, allerdings mit einem ganz anderen Motiv. Driss rechnet sich gar keine Chancen auf den Job aus. Er will damit nur die Streichung seiner Arbeitslosenunterstützung durch das Sozialamt verhindern. Von Philippe braucht er nur eine Unterschrift. Mitleid hat er nicht mit ihm. Er begegnet Philippes Behinderung vielmehr mit Humor und klaut ihm nebenbei ein paar Wertsachen.

      Philippe stellt ihn genau deshalb ein, obwohl Driss keine Ahnung vom Job eines persönlichen Assistenten hat. Er empfindet den Mangel an Mitleid als Voraussetzung dafür, dass sich sein Leben einmal mehr und diesmal wieder zum Positiven verändern kann. Durch Driss’ direkte und offene Art lernt Philippe, dass er seine Situation akzeptieren muss, um wieder ein glücklicher Mensch zu werden.

      Umgekehrt genießt Driss das Leben im Luxus an der Seite des reichen Philippe, bis ihn seine Vergangenheit einzuholen droht. Die beiden trennen sich. Einmal mehr ist Philippe wieder umgeben von Menschen, die ihn bemitleiden und als hilflosen Patienten betrachten. Es ist diese Behandlung, nicht seine Behinderung, die Philippe die Lebenslust nimmt.

      Als Driss vom schlechten Zustand Philippes erfährt, kommt er zurück. Um Philippe aufzumuntern, setzt Driss ihn kurzerhand in einen Sportwagen und rast los. Es dauert nicht lange, da liefern sie sich eine wilde Verfolgungsjagd mit der Pariser Polizei. Einer Bestrafung entgehen sie, indem Philippe einen Anfall vortäuscht.

      Zuletzt fahren die beiden an den Ärmelkanal, wo Philippe endlich den entscheidenden Schritt in ein neues Leben setzt. Er trifft seine Brieffreundin Éléonore, die von seiner Behinderung nichts weiß. Lange ist er ihr aus dem Weg gegangen, aus Furcht, seine Behinderung könnte sie abschrecken.

      Am Ende der Geschichte erkennt Philippe, dass es nicht seine Behinderung ist, die ihn davon abhält, glücklich zu sein. Es ist die damit verbundene Überzeugung, nicht mehr glücklich sein zu können. Die Menschen um ihn herum, die nicht wissen, wie sie mit ihm umgehen sollen, verstärkten lange diese Überzeugung. Erst Driss behandelte ihn ganz normal. Das machte die beiden zu mehr als zu Assistent und Kunde. Sie wurden ziemlich beste Freunde.

      »Ziemlich beste Freunde« wurde in Frankreich zu einem der erfolgreichsten Filme überhaupt und erlangte auch international große Bekanntheit. Das Drehbuch beruht auf der Lebensgeschichte des Millionärs Philippe Pozzo di Borgo, der nach einem Paragliding-Unfall querschnittsgelähmt war, und seinem Assistenten, dem Algerier Abdel Sellou.

      Was zeigt diese wahre Geschichte?

      Glück ist immer möglich. Es wartet in jeder Lebenslage. Das bestätigen die unter dem Titel »Ziemlich beste Freunde« verfilmte Autobiografie von Philippe Pozzo di Borgo und die genannte Studie des Psychologen Philip Brickman und seiner Kollegen gleichermaßen.

      DAS PRINZIP DER DREI MONATE

      Wie positiv oder negativ sich bedeutende Lebensereignisse auf unser Glücksempfinden auswirken, das fragten sich auch der südkoreanische Psychologe Eunkook Suh von der Yonsei Universität in Seoul und die beiden amerikanischen Psychologen Ed Diener und Frank Fujita. Sie beforschten einen Zeitraum von vier Jahren.

      Ihre Ergebnisse bestätigten das bisher Gesagte. Tatsächlich haben einschneidende Lebensereignisse nur vorübergehend Einfluss darauf, wie glücklich oder unglücklich wir sind. Danach verblasst ihre Wirkung. Wie lange das dauert, kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein, doch nach drei Monaten hatten die meisten Ereignisse ihre Wirkung auf das Glücksempfinden der Studienteilnehmer verloren. Länger wirkten sich nur besonders tragische Ereignisse, wie der Tod eines Familienmitglieds, aus. Das gilt auch für besonders positive Ereignisse wie Lottogewinne oder Hochzeiten. Unser weiteres Glücksempfinden hängt davon ab, wie sich unser Leben nach einem Lottogewinn oder einer Hochzeit weiter gestaltet und in welche Richtung wir es selbst beeinflussen.

      Egal welches Unglück oder welches Glück uns zustößt, nach etwa drei Monaten hat sich unser Glücksempfinden wieder eingependelt. Womit wissenschaftlich belegt ist, dass alles Schlimme vorübergeht und dass es kein Happy End für immer gibt. Daran sollten wir immer denken, in den schlimmen genau wie in den schönen Momenten. Denn es macht uns widerstandsfähiger und dankbarer. Es hilft uns, im Moment zu leben und das macht unser Leben intensiver.

      Die Erholung von negativen Ereignissen gelingt uns umso besser, je weniger wir uns negative Dinge aus unserer Vergangenheit ständig vergegenwärtigen. Verdrängung ist allerdings auch keine gute Lösung.

      Um glücklicher zu werden, müssen wir das Negative zunächst an uns heranlassen, es eingehend betrachten, daraus lernen, ihm damit die Kraft nehmen und es dann loslassen, damit es uns loslässt.

      Wir sollten uns weniger auf die Dinge konzentrieren, die waren. Vielmehr sollten wir Kraft aus dem schöpfen, was jetzt ist und was uns Freude bereitet. Konzentrieren wir uns vor allem darauf, dann finden wir auch etwas, das uns glücklich macht.

      WELLENBEWEGUNG DES GLÜCKS

      Interessanterweise hat die Langzeitstudie von Eunkook Suh auch ergeben, dass positive und negative Phasen unseres Glücksempfindens meist erstaunlich stabil sind. Eine Zeit lang war das Glück der Teilnehmer höher, dann wieder eine Zeit lang niedriger. Es scheint in Wellen von mehreren Monaten bis zu eineinhalb Jahren zu verlaufen. Je nach Persönlichkeit der Teilnehmer bewegten sich diese Wellen in den vier Jahren rund um einen Mittelwert eher im positiven, im mittleren oder im negativen Bereich des Glücksempfindens.

      Persönlichkeit ist ein wichtiger Faktor für unser Glücksempfinden. Einen Teil unserer Persönlichkeit, etwa unsere Grundeinstellung zu uns selbst und unserer Umwelt, können wir nicht einfach so ändern, aber wir können sie mit der Zeit beeinflussen. Diese Fähigkeit versetzt uns am ehesten in die Lage, ein glücklicherer Mensch zu werden. Denn vor Unglück von außen sind wir zwar niemals sicher, doch wir können darauf hinwirken, dass der Mittelwert unseres Glücksempfindens sich tendenziell im positiven Bereich bewegt.

      DAS RÄTSEL DER PHASEN

      Noch etwas Bemerkenswertes zeigte sich in Eunkook Suhs Langzeitstudie. Einschneidende positive wie negative Lebensereignisse waren bei den Teilnehmern nicht etwa willkürlich über die vier Jahre verstreut. Stärkere positive und negative Lebensereignisse lagen vielmehr meist nahe aneinander. Wenn besonders schlimme Dinge passierten, passierten bald auch besonders gute, und umgekehrt. Dazwischen gab es längere Phasen, in denen den Teilnehmern weder besonders positive noch besonders negative Dinge wiederfuhren.

      Warum das so ist, dafür gibt es noch keine rationale Erklärung. Die Forscher wissen es einfach nicht. Sie haben allerdings festgestellt, dass wir solche Verdichtungen normalerweise nicht wahrnehmen. Wir würden die Phasen nur wahrnehmen, wenn wir die Ereignisse, die uns prägen, über Jahre hinweg als Punkte auf einer Zeitachse eintragen. Da wir das nicht tun, glauben wir fälschlich, dass sich positive und negative Ereignisse ohne Plan und Muster über unsere ganze Lebenszeit verteilen.

      Das Rätsel der Phasen sollten wir uns immer dann in Erinnerung rufen, wenn uns gerade etwas besonders Schlechtes oder etwas besonders Gutes widerfahren ist. War es etwas besonders Schlechtes, haben wir gute Chancen, dass bald etwas Gutes eintritt. War es etwas besonders Gutes, sollten wir eher bescheiden bleiben.

      DIE GEOGRAFIE DES GLÜCKS

      Die Frage, was Glück eigentlich ist, ist damit allerdings noch immer nicht beantwortet. Einstweilen wissen wir, dass jeder Mensch Glück und Unglück in jeder Lebenslage empfinden kann, egal ob Lottogewinner oder Unfallopfer. Deshalb scheint das Glück ein Phänomen der Gegenwart, des Moments zu sein. Wir fühlen Glück immer in der Situation, in der wir uns gerade befinden. Auch wenn wir von einer schönen Zukunft träumen, fühlen wir Glück nur im Hier und Jetzt. Ob die Zukunft wirklich so schön wie in unserem Traum wird, wird sich dann erst zeigen.

      Dennoch scheint Glück mehr als nur ein flüchtiger Stoff zu sein, der