Was Lehrerinnen und Lehrer stark macht (E-Book). Helmut Heyse

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Название Was Lehrerinnen und Lehrer stark macht (E-Book)
Автор произведения Helmut Heyse
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035506495



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der eigenverantwortlichen Berufstätigkeit in der Schule ist eine Schlüsselphase für die weitere berufliche Entwicklung« (Messner & Reusser 2000, S. 167).

      So kommt es z. B. zu stressbeladenen Rollenkonflikten: Für die Schülerinnen und Schüler ist man Lehrerin und Lehrer. Gleichzeitig ist man für die berufserfahrenen Kolleginnen und Kollegen eine zwar gern akzeptierte Entlastung, wird aber als Anfänger oder Anfängerin auch mit Vorbehalt und Skepsis bis Missbilligung beargwöhnt. Zumindest wird der »Anfängerbonus« nicht selbstverständlich gewährt.

      Und dann gibt es noch den anderen Schauplatz, das Seminar. Hier sind Sie als berufseinsteigende Lehrkraft nun selbst in der Schülerrolle, nicht selten mit unliebsamen Erinnerungen an die eigene Schulzeit. Der Stolz auf das bestandene Hochschulexamen wird einer ausgiebigen Bewährungsprobe unterzogen. Der ein oder andere wird zu hören bekommen: »Vergessen Sie alles, was man Ihnen im Studium erzählt hat; hier läuft das alles ganz anders.«

      Als Berufseinsteiger möchten Sie Ihre frisch erworbenen fachlichen und pädagogischen Kenntnisse anwenden, neue Konzepte erproben – und sind doch auf gute Noten angewiesen, die sich in der Regel nur mit Anpassung an die Seminarvorstellungen erreichen lassen. Nicht selten stehen Sie in einem Spannungsverhältnis zweier unterschiedlicher Auffassungen von gutem Unterricht, die der Schule und die des Seminars.

       Im kalten Wasser

      Aber auch nach dem zweiten Staatsexamen ist man ja noch kein fertiger Lehrer, keine fertige Lehrerin. »Die gedankliche Formel von ›Studium + Praktika + Referendariat = fertiger Lehrer‹ muss aufgegeben werden. Es gibt keine ›fertigen Lehrer‹. Man ist zwar jetzt voll verantwortlich, aber in vielen Situationen auf Hilfe angewiesen. Mit dem Fachwissen kann man einen aktuellen Stand erreicht haben oder eine Routine beherrschen, die alltägliche Probleme meistert und durchschnittlichen Anforderungen an Unterricht genügt – jedenfalls aus Lehrersicht. Doch der Lehrerberuf besteht nicht, und das ist entscheidend, vorrangig in der Vermittlung von Wissen und Erfüllung von Lehrplänen. Er besteht in der täglichen Auseinandersetzung mit den Schülern« (Herrmann & Hertramph 2000, S. 187).

      Allerdings fehlt es nun an Unterstützung durch Fachleitung oder Mentoren. Wer niemanden findet, an den er sich vertrauensvoll wenden kann und der ihn uneigennützig unterstützt, gerät leicht in Stress oder gar Panik, kämpft mit Selbstzweifeln oder Mutlosigkeit. Dabei besteht das Risiko, sich in dieser anstrengenden Zeit Verhaltensweisen anzueignen, die zwar kurzfristig entlasten, langfristig aber leistungs- und gesundheitsbeeinträchtigend wirken können, z. B. jede Unterrichtsstörung aufgreifen und emotional reagieren, Konsequenzen ankündigen, aber nicht realisieren.

      In einer Studie bei Gymnasiallehrkräften zur Wirkung der beruflichen Eingangsphase kommen Herrmann und Hertramph zu dem Ergebnis: »In der ausgesprochen arbeitsintensiven Anfangsphase, die zumeist als Überbelastung empfunden wurde, entwickelten ›sich‹ unter zeitlichem und psychischem Druck (Berufs-)Einstellungen und (Berufs-) Routinen, die in den nachfolgenden Jahren in der Regel beibehalten wurden und auf diese Weise sedimentartig die Berufsausübung des Betreffenden kennzeichnen. Dass dies ›sich‹ entwickelte, soll darauf hinweisen, dass es sich in der Regel um wenig gesteuerte und wenig kontrollierte Lernprozesse gehandelt hat, die durch Lernen am Modell (Vorbild), durch Erinnerungen an die eigene Schulzeit und eigene Lehrer, durch zufällige Erfolge usw. instrumentiert wurden« (Herrmann & Hertramph 2000, S. 178).

      Deswegen sollte man von Beginn des Berufslebens an bei allem notwendigen und befriedigenden Engagement sehr darauf achten, auch Verhaltensweisen, Haltungen und Einstellungen zu erwerben, die helfen, den Beruf lange mit Freude und Erfolg auszuüben.

      Dies ist – es sei noch einmal betont – gerade für Lehrkräfte zu beherzigen. Denn ihr Beruf gehört zweifelsfrei zu den Tätigkeiten mit einer extrem hohen psychischen Belastung. Nach den Ergebnissen der Untersuchungen von Schaarschmidt (z. B. 2005) kann man davon ausgehen, dass ca. 60 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer gesundheitlich riskante Verhaltens- und Erlebensmuster im Beruf aufweisen – das sind wesentlich mehr als in vielen anderen Berufen.

       Schulleitung und Berufsanfänger

      Der Schulleitung kommt gerade beim Berufseinstieg von Lehrerinnen und Lehrern besondere Bedeutung zu. Zwar ist das Aufgabenpensum von Schulleiterinnen und Schulleitern ohnehin überfrachtet. Man kann ihnen aber die Verantwortung dafür nicht abnehmen, dass Berufsanfängerinnen einen Start in ihr Berufsleben erhalten, der dazu beiträgt, ihre Leistungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit und Gesundheit möglichst bis zu ihrem Pensionsalter aufrechtzuerhalten (siehe dazu Dammann 2008).

      So bestimmt z. B. der Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen:

      »Die Schulleitung trägt durch zielgerichtetes Handeln nach den Prinzipien von Partizipation und Transparenz zu einer wertschätzenden, kooperativen, gesundheitsfördernden und verlässlichen Zusammenarbeit bei, […] initiiert, steuert und unterstützt als gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten eine zielbezogene Qualitätsentwicklung […] und stellt durch übersichtliche und nachvollziehbare Organisationstrukturen den geregelten Schulbetrieb sicher« (Orientierungsrahmen Schulqualität Niedersachsen (→ Links).

      Darin eingebettet sehe ich auch die besondere Sorge um Berufsanfänger. Schließlich hat die Schulleitung auf den beruflichen Werdegang der neuen Lehrkraft weichenstellenden Einfluss. Schulleiterinnen und Schulleiter bestimmen maßgeblich mit, ob die Neulinge von Anfang an überfordert und entmutigt werden oder einen motivierenden Einstieg erleben. So sollten z. B. Auswahl und Anzahl der Klassen, in denen Berufseinsteigerinnen eingesetzt werden, oder die Gewichtung und Stundenverteilung der Fächer nicht nur nach organisatorischen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Solche Entscheidungen können bei überforderten Berufsanfängern im ungünstigen Fall zu einer lebenslangen Resignation, mangelndem Selbstvertrauen, Verdruss am Beruf und zu psychosomatischen Beeinträchtigungen führen. Dann ist eine Lehrkraft für die Schule »verloren«.[1]

      Lehrerinnen und Lehrer schätzen ihre Belastungen in der Schule umso weniger gravierend ein, je positiver sie das Schulklima wahrnehmen und je mehr sie sich von ihrer Schulleitung und dem Kollegium unterstützt fühlen. Sie sind dann auch weniger von psychosomatischen Beeinträchtigungen gefährdet, die unter dem Etikett »Burnout« zusammengefasst werden. Ohne diese Unterstützung entstehen leicht Zweifel an den eigenen Kompetenzen, was sich auch auf Arbeitszufriedenheit und Qualität der Arbeit auswirkt.

      Die Unterstützung seitens der Schulleitung kann in dreifacher Weise erfolgen bzw. erlebt werden:

      •auf der Ebene von Informationen, Anleitungen, Ratschlägen

      •auf emotionaler Ebene durch Akzeptanz, Wertschätzung, Kontakt, Empathie

      •durch instrumentelle Unterstützung z. B. Teamarbeit, technische und materielle Hilfen bei Vorhaben und Projekten usw.

      Dies wirkt jedoch nur, wenn der Betreffende die Hilfe auch annimmt und ggf. an- bzw. einfordert. Wer sich dazu nicht traut und nur passiv empfängt, wird daraus wenig Nutzen ziehen. (vgl. vbw 2014, S. 98 f.).

       Integration von Berufsanfängern

      Schulleitung und Kollegium sind daran interessiert, dass sich die Berufsanfängerinnen schnell in den Schulbetrieb integrieren. Berufseinsteigern fehlt es zu Beginn an Information und Orientierung, was ihre Unerfahrenheit noch verschärft. Am Anfang geht es vor allem darum, sie in die Regularien der neuen Schule[2] einzuführen. Das beginnt bei Äußerlichkeiten wie Namen, Fächer und Zuständigkeiten der Kolleginnen und Kollegen, umfasst organisatorische Verfahrensweisen, grundlegende Beschlüsse der Konferenzen, Terminfestsetzungen, wichtige Ansprechpartner außerhalb der Schule, Aufsichts- und Vertretungsregelungen, technische Ausstattungen, Raumpläne, Benutzungsregeln für Sonderräume, Material- und Formularsammlungen. Ein großer Teil dieser Einführung kann zunächst durch eine vorbereitete Willkommensmappe erfolgen. Eine Möglichkeit zur gesprächsweisen Vertiefung sollte auf jeden Fall eingeplant werden.

      Ein wertschätzendes Signal an den Berufsanfänger ist es zudem, dafür sorgen, dass er oder sie sich nicht einen Arbeitsplatz im Lehrerzimmer erkämpfen und in die »Reviere« der Kolleginnen und Kollegen einbrechen