Название | Validieren und anerkennen (E-Book) |
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Автор произведения | Martin Schmid |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035512403 |
Für Verfahren, die auf die Vermessung von persönlichen Kompetenzprofilen zielen, ist dieses gegenseitige Konstitutionsverhältnis nicht unbedeutsam. So müssen solche Verfahren beispielsweise stets berücksichtigen, dass im Zentrum der Überlegung um die Kompetenzerkennung der Mensch als Inhaber und Träger von Kompetenzen erscheint, die das Ergebnis individueller Lernleistungen darstellen, deren Potenz vermessen werden soll. In der Konsequenz einer problematischen Vermessungslogik würden die getesteten Personen nun weniger als freie Individuen zur Geltung kommen, sondern entlang vorgegebener Kriterien sozial relationiert; die vergleichbar gemachten Einzelnen würden zueinander ins Verhältnis gesetzt. Dies wäre ein Verfahren, das keinen anderen Zweck erfüllte, als bekannte Formen institutioneller Selektion und gesellschaftliche Hierarchisierung zu legitimieren und zu reproduzieren (vgl. Bourdieu 1993; Gould 1988).
Immer wenn die Attribuierung von Kompetenz mit der Vorsilbe «In-» korreliert, befördert eine Messung von Kompetenzen die zunehmende Beschäftigung mit Inkompetenzen. Damit verweist die Vermessungslogik auf Potenziale und Fortschritte ebenso wie auf Defizite und Ressourcen, welche die Richtung der weiteren (Lern-)Arbeit des Menschen an sich selbst anzeigen. Frühe Kritiker der Vermessungslogik deuten diese Form der Objektivierung der Subjekte als Zuspitzung eines technokratischen Positivismus, der durch die Quantifizierung von Qualitäten die Dynamik individueller Selbst- und Weltverhältnisse und gesellschaftlicher Veränderungen stillstellt. «Seinem geschichtlichen Wirken nach ist der Test […] eine Vorrichtung am Fliessband jenes höchst präzisen Produktionsverfahrens, das den reduzierten, nach Standardausmessungen gearbeiteten Menschen liefert, den Menschen, den man brauchen, das heisst verbrauchen kann» (Sonnemann 1981, S. 185). Aber selbst wenn die Vermessung von Kompetenzen nicht mehr (allein) darauf zielt, ein Individuum zum Objekt äusserlicher Testnormen zu machen, ist dem Zusammenhang von äusserer Norm und individueller Lernleistung nicht zu entkommen. Auch Verfahren, die lediglich ein entsprechendes Feedback anstreben, unterstellen, dass der Mensch als Träger seiner Kompetenzen für seine eigenen Lernleistungen verantwortlich gemacht werden kann. Indem sich die Kompetenzmessung mit den Imperativen der Wissensgesellschaft verbindet, in denen die eigenen Kompetenzen selbstverantwortlich und eigeninitiativ kontinuierlich verbessert und erweitert werden müssen, kippt sie von der Objektivierung zur Subjektivierung. Dementsprechend wäre «die wichtigste Kompetenz jedes Kompetenzsteigerungszentrums die Kompetenzsteigerungskompetenz» (Reichenbach 2007, S. 74).
Man kann das weite Feld der Anerkennungstheorien etwas holzschnittartig in ein positives und ein negatives Paradigma unterteilen. Reicht die erste, «positive» Traditionslinie von Fichte und Hegel bis zu Charles Taylor und Axel Honneth, so führt die zweite, die «negative» Traditionslinie von Jean-Jacques Rousseau bis zu Jean-Paul Sartre und Louis Althusser. Zu dieser Linie zählen auch Judith Butler und Nancy Fraser (vgl. Balzer 2007). Während die von Axel Honneth und Charles Taylor entfaltete Anerkennungstheorie darlegen kann, inwiefern die wechselseitige Anerkennung zwischen Subjekten für die Herausbildung von Selbstverhältnissen wesentlich ist, und auf diese Weise zu einem Verständnis des Sozialen gelangt, in dem die Freiheit des Subjekts mit der Freiheit des anderen verschränkt ist, bleibt das Verständnis von Machtverhältnissen und Anerkennungsordnungen darin seltsam vernachlässigt. Anerkennung wird hier als Medium betrachtet, das Wechselseitigkeit und Gleichheit ermöglicht und Subjekte bildet oder befähigt.
Den Ausgangspunkt der «negativen» Anerkennungstheorie bilden demgegenüber die spezifischen Formen der entzogenen Anerkennung. Missachtung, Entwürdigung oder Beleidigung sind Phänomene, in denen sich der einschränkende und unterwerfende Charakter der Anerkennung zeigt., Die «negative» Variante der Anerkennungstheorie macht darauf aufmerksam, dass Strukturen der vorenthaltenen Anerkennung und der Missachtung mit Formen sozialer Macht verbunden sind. Rassistische Exklusion, geschlechtliche oder körperliche Ungleichheit und die Diskriminierung von Minderheiten verweisen auf Positionierungen im sozialen Raum und erweisen sich als das Ergebnis von Machtstrukturen, die auf sehr intime Weise mit vorenthaltener Anerkennung verbunden sind. Vor diesem Hintergrund bedarf die Beschäftigung mit Anerkennungsverfahren einer umfassenden Analyse all jener Praktiken, durch die bestimmte Menschen und ganze soziale Gruppen missachtet werden – und zwar, in den Worten von Nancy Fraser, «innerhalb der gesamten Gesellschaft, nicht nur im Recht und durch das Recht» (ebd., S. 253). Aus dieser Perspektive werden soziale Klassifikationen und kulturelle Repräsentationen ebenso wie symbolische Interaktionen in und mittels Anerkennungs- und Validierungsverfahren zum Schauplatz symbolischer Machtverhältnisse.
Vor diesem Hintergrund steht der Begriff der Anerkennung nicht für ein weiteres Themenfeld der ohnehin zahlreichen und vielfältigen Diskurse in der Erwachsenenbildung, sondern für eine zentrale Dimension erwachsenenpädagogischer Theorie und Praxis schlechthin: In der Auseinandersetzung von Ich und Welt, in der Anerkennung der gegenseitigen Abhängigkeiten und in der Bearbeitung dieser komplexen Verstrickungen konstituiert sich eine modern-reflexive Erwachsenenpädagogik. Sie ist dem grundlegenden Ziel verpflichtet, Individuen in der Entwicklung selbstbestimmter und rational begründeter Entscheidungs-, Handlungs- und Urteilsfähigkeit zu unterstützen, vorhandene Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zu reflektieren und die Konstitution eines gesellschaftlichen Allgemeinen unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten zu befördern. Es bietet sich an, diese Dimensionen der Anerkennungsthematik künftig für eine reflexive Validierung von differenten