Diagnose: Mingle. Martina Leibovici-Mühlberger

Читать онлайн.
Название Diagnose: Mingle
Автор произведения Martina Leibovici-Mühlberger
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783990011454



Скачать книгу

Team zu bringen weiß. Heute ist von ihrem Strahlen nichts zu bemerken. Sie hat sicher eben noch geweint. Tiefe Augenschatten zeugen von schlaflosen Nächten. Im Blick liegt jene gewisse Leere und Ferne, die Resignation in ein Gesicht malt. Das mit dem »Sport« war wohl ein »therapeutischer Vorschlag« meiner Tochter gewesen, um sie irgendwie rauszureißen.

      Doch was sie erzählt macht auch mich etwas ratlos. Alles hatte super angefangen. Filipe war engagiert, keiner der mit seiner Faszination für Gigi hinter dem Berg hielt. Der Sex war traumhaft und immer passend, so als würde man mit einem geheimen Signalsystem aufeinander abgestimmt sein. Unzertrennlich waren sie die letzten Monate gewesen, zärtlich, romantisch und bis über beide Ohren verliebt. Schon nach drei Wochen war es selbstverständlich, dass sie gemeinsam entweder bei ihm oder bei Gigi die Nacht verbrachten. Diese Beziehungskiste hatte alle Insignien von echt und verbindlich gezeigt, und Filipe hatte dies gerade in intimen Momenten auch seinerseits und ohne Nachfrage oder Drängen von Gigi immer wieder thematisiert. Nun war er vor ein paar Tagen und ohne, dass der Idylle die geringste Erschütterung vorausgegangen wäre, damit gekommen, dass es nun genug sei. Ein emotionales Horrorszenario für Gigi. Der Moment, als er plötzlich vollkommen distanziert und verschlossen vor ihr gestanden war und gemeint hatte, dass es jetzt aus wäre, einfach weil es genug sei. Keine andere Frau, nichts was ihn störe, aber eben genug, lang genug, genug Zeit miteinander verbracht, genug Sex miteinander gehabt. Jetzt wolle er einfach wieder frei sein und schauen, was ihm das Leben so Neues bringt. Unter neu fällt Gigi nun mal nicht mehr.

      »War das alles nur eine Show?«, fragt sie mich mit tiefer Verzweiflung in der Stimme. »Da war gar nichts, was mich hätte warnen können. Wenn er wenigstens eine andere hätte, könnte ich mich damit abfinden, aber so ohne Grund. Einfach, weil es genug ist und nicht mehr neu? Was war denn das, was so wie Liebe ausgesehen hat?«

      Ich weiß auch nicht recht, welchen Trost ich ihr anbieten kann, außer, dass dieser junge Mann wohl ein schwerwiegendes Problem mit Nähe haben muss. Doch das hilft ihr nicht wirklich weiter, denn sie ist nachvollziehbarerweise tief in ihrem Werte- und Evaluierungssystem verunsichert und vermag ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr zu vertrauen. »Ich werde nie mehr jemanden an mich ran lassen, egal wie toll es sich anfühlt«, schließt sie ihre Erzählung, »das muss einfach vorbei sein.«

      »Scheiße«, denke ich mir, »sie könnte nun zu einer ›coolen Jägerin‹ mehr auf der Bahn werden, die prompt jenen jungen Männern, die sie wirklich lieben werden, nur mehr mit Kälte entgegentreten kann.«

      Wie gerne hätte ich Gigi damals als Lösung angeboten, dass es sich bei Filipe ganz sicher um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, etwas, das ihr ganz sicher nie mehr im Leben würde passieren können. Doch es waren mir viel zu viele Fälle bekannt, in denen nach dem Abschwellen der ersten Verliebtheit einer der Partner, oder bisweilen sogar beide, in pragmatischer Akzeptanz auf Basis des nachlassenden »Kicks« beschlossen hatte/n, neue Wege zu gehen. Die Suche nach dem Neuen, Besseren schien in der Kriterienhierarchie zunehmend an Bedeutung zu gewinnen, ja sie bekam mehr und mehr den Charakter einer logischen Konsequenz. Psychodynamisch fragte ich mich, ob in all diesen Konstellationen überhaupt wirkliche Bindung gegeben war oder ob sie nur als Simulation existierte? Die Anziehung wurde ausgelebt, durchkonsumiert, ausgeschöpft, der narzisstische Gewinn der Selbstbestätigung eingefahren. Aber wenn es um tieferes Sich-Einlassen, den Aufbau von Gemeinsamkeit und die Abstimmung von Interessen ging, es also anstrengender, weniger spektakulär und unmittelbar befriedigend wurde, wenn die Notwendigkeit von eventueller Bedürfnisverschiebung oder gar ein Stück Selbstverzicht an der Reihe waren, dann zerbrach das Konstrukt, das als oberflächliches Sofortbelohnungssystem konzipiert war. Für jenen Partner, der über grundsätzliche Bindungsbereitschaft verfügte und zu emotionaler Investition fähig war, entwickelte diese Erfahrung eine desasteröse Dimension für seinen Selbstwert und sein Vertrauen in seine Einschätzungsfähigkeit emotionaler Prozesse eines Gegenübers. Jene Konstellationen, in denen beide Partner sich zu einem derartigen Strichcode eines Ablaufdatums bekannten, muteten mehr wie Geschäftsbeziehungen an. Die »Liebe« als klarer Deal. Man kauft Sex, kuscheln, gemeinsame Unternehmungen unter der Devise, dass es cool ist, und entsorgt das Ding, wenn es nicht mehr den Erwartungen entspricht, erste Abnützung zeigt oder man Lust auf etwas Neues hat.

      Meine Überraschung war vor etwas mehr als eineinhalb Jahren noch recht groß gewesen, als ich in Alpbach gemeinsam mit einer deutschen Soziologin zum Thema »Beziehungen der Zukunft« ein Planspiel mit einer Schar junger »High Potentials« durchführte, in dem es um die Entscheidungsfindung betreffend eines interessanten Jobangebots in Übersee ging. Einbeziehen eines Beziehungspartners in die Entscheidung rangierte ganz unten, genau genommen hatten nur zwei der einen ziemlich großen Saal füllenden TeilnehmerInnen dieses Kriterium überhaupt in Betracht gezogen. Auf meine Nachfrage hin wurde mir nahezu entrüstet geantwortet, dass Beziehungen ja grundsätzlich unberechenbar und unsicher und außerdem ja wieder ersetzbar seien, das große Jobangebot aber von bleibendem Wert, da es der eigenen Selbstentwicklung und Karriere diene. Es klang zwar logisch, ja im Sinne einer strategischen, auf materielle Werte und Sicherheit ausgerichteten Lebensführung bestechend sinnvoll, doch spürte ich gleichzeitig, wie ich Gänsehaut bekam. Wie wird es all diesen »High Potentials« in zehn Jahren gehen, wenn sie in ihren mittleren oder sogar oberen Führungspositionen sitzen werden, wenn sie abends in ihre leeren Designerwohnungen an irgendeinem der Top-Wirtschaftsstandorte in Asien oder Südamerika kommen oder einen rasch abgeschleppten, vorübergehenden Sexualproviant hinter sich herschleifen? Irgendwann ist auch der längste und produktivste Arbeitstag zu Ende. Wo werden sie das Gefühl von Geborgenheit finden? Wie werden sie es anstellen, die auf sie wartende Stille nicht als Leere zu empfinden? Skypen, endlos in Bars abhängen, bis sich die notwendige Bettschwere einstellt, hundert Programme durchzappen, Fotos auf Facebook hochladen und sich über das Einsammeln von »Likes« Community vorspiegeln? Werden sie sich »irgendetwas Gutes gönnen«, viele Gläser Rotwein als Schlaftrunk oder auch härteren Stoff? All diese Lösungsstrategien waren mir bereits heute von meinen Patienten bekannt und standen letztendlich nicht wirklich für eine befriedigende, ausgeglichene Lebenskonzeption, auch wenn sie »trendy« waren und als »cooles Leben« etikettiert wurden.

      Meine nächsten Monate verliefen als heroische Feldforschung, im Zuge derer ich so ziemlich jeden mit meiner ewigen Einstiegsfrage: »Welche Bedeutung haben Liebesbeziehungen für dich?« verfolgte. Ich erhielt sehr unterschiedliche Antworten. Oft entwickelten sich erstaunliche und umfassende Gespräche, nicht immer ohne Kontroverse. Mehr und mehr kam ich zur Einsicht, hier einen sehr heiklen Punkt zu treffen, den Finger in eine schwelende Wunde zu legen, eine Wunde, an deren Heilung viel nicht mehr so recht glaubten. Eine Wunde auch, für die gerade die unterschiedlichsten palliativen Behandlungsmethoden in Erprobung waren, bis hin zu einer Vogel-Strauß-Politik ihrer Verleugnung.

      Da war Maria, meine ehemalige Studienkollegin und gut positionierte praktische Ärztin, die sich auch hervorragend auf Homöopathie verstand. Wir sind seit Studienzeiten miteinander bekannt und halten unseren jeweiligen Lebensweg aus dem Augenwinkel in Observanz. Aus ihrer zehnjährigen Ehe waren ihr zwei Kinder und ein großer Sack Frustration geblieben, nachdem sie feststellen musste, dass ihr Ehemann durch seine geheime Spielleidenschaft eine Menge Schulden angehäuft hatte. Die hatte sie zu einem großen Teil bei der Scheidung auch mitübernehmen müssen und jahrelang die ersten beiden Arbeitswochen des Monats mit bitterem Unterton als »dem Andenken meines Ex gewidmet« bezeichnet. Ihre Antwort auf meine neue Standardfrage mutete für mich fast mathematisch an: »In meinen frühen Jahren als junge Frau habe ich einfach keinen Mann getroffen, der sich als genügend attraktiv für eine Lebensbeziehung erwiesen hat. Ich war zu unerfahren und wusste auch nicht, wie Beziehungen zu führen sind. Nach der ersten Verliebtheit ist das Gefühl einfach immer abgeschwollen, und das Ganze hat sich irgendwie verlaufen. Dann kam Felix, und da hat es mich echt und richtig umgehauen. Zwei Jahre total in den Wolken, dann die Heirat und die Kinder und im Anschluss zehn zähe Jahre, in denen wir mehr und mehr auseinandergedriftet sind. Dann noch zehn Jahre mühseliges Ackern, um die Kinder alleine aufzuziehen, die Praxis sicher zu etablieren und die Schulden abzuzahlen. Ehrlich gesagt hatte ich nie mehr den Mut, einen Mann nochmals so nah an mich heran zu lassen. Fazit: Zwei Jahre meines Lebens habe ich gemeint, die wirklich große Liebe zu spüren. Das wiegt sich mit einem Gegengewicht von gut 20 Jahren ziemlicher Bitterkeit auf. Ich liebe meine Kinder, meinen Hund, den Moment, wenn ich die Praxistür am Abend