Der grüne Pfad hat nie ein Ende. Gerhard Böttger

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Название Der grüne Pfad hat nie ein Ende
Автор произведения Gerhard Böttger
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783702019907



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alles nur für die Mäuse bestimmt, deren Löcher und Gänge das Feld bedeckten – da strich auch schon der Waldkauz über die Fläche, schwenkte scharf ein und blockte auf eine der am Weg stehenden alten Eichen auf.

      Ich nahm das Glas an die Augen – und hatte prompt ein Stück Rehwild in den Linsen. Es wechselte zügig am Feldrand direkt auf mich zu, verhielt jetzt – und begann an den Randbüschen zu fegen! Ein Bock, aber was für einer?

      Hier kontrollierte und markierte einer sein Territorium, hatte ich den Eindruck. Spitz von vorn wechselte er weiterhin in meine Richtung. Er hatte doch ziemlich hoch auf!

      Siedend heiß fiel mir mein „unbewaffneter Zustand“ ein. Schnell tauchte ich zurück in den Heckenstreifen, lief möglichst lautlos zum Wagen und schnappte mir die Büchse, die ich sofort durchlud. Schnell zurück – da saß doch tatsächlich ein Mümmelmann in der Durchfahrt, der bei meinem Erscheinen einen Kegel machte und das Hasenpanier als den besseren Teil der Tapferkeit ergriff. Hoffentlich hatte er den Bock nicht „angesteckt“!

      Vorsichtig lugte ich um die Ecke, blieb so weit wie möglich noch in der Sichtdeckung der Vegetation. Da stand er, nur noch 100 Meter entfernt, verhoffte und sicherte. Mit einer einzigen Flucht wäre er in dem schon dicht belaubten Heckenstreifen verschwunden, hätte den Forstweg überfallen und seinen Hochwaldeinstand mit mehreren Dickungen erreicht.

      Jetzt war der Kauz zu seinem erneuten niedrigen Jagdflug aufgebrochen, der Bock äugte kurz hinter ihm her, und dabei sah ich die enormen Stangen von der Seite, was meinen Puls nicht gerade beruhigte. Er war es!

      Das Licht schwand und schwand, was tun? Nirgendwo eine Auflage oder Anstreichmöglichkeit. Probehalber kniete ich mich hin, ging in Anschlag, stützte dabei den rechten Ellenbogen auf dem rechten Knie auf. Es ging, diesen Anschlag hatte ich überdies auf der Pirsch schon oft praktiziert. Immer noch ging es darum, nicht zu weit in den freien Bereich vorzurücken, wie gesagt …

      Der Bock zog näher, aber immer spitz von vorn, das Absehen des Zielfernrohres tanzte ihm auf dem Stich herum. Einen Moment geriet ich ganz kurz aus der Balance, eine Bewegung von mir muss dem sinnenscharfen Wild aufgefallen sein. Der Bock verhoffte, plötzlich stand das personifizierte Misstrauen da vorne! Er äugte und sicherte, verrenkte den Träger, hatte etwas mitbekommen, aber mich in meiner knienden Haltung noch nicht als Feind erkannt.

      Laut und markig schreckte er, und ich sah schon meine Felle davonschwimmen.

      Hatte ich wieder eine Bewegung gemacht? Jetzt wurde es dem Bock zu viel, und er sprang ab – aber nicht Richtung Einstand, sondern über den zukünftigen Blühstreifen hinweg, er wollte den dort angrenzenden Getreideschlag erreichen. Vorher ein letztes Verhoffen in meine Richtung, dabei stand er breit, das ganze leicht ansteigende Feld als Kugelfang hinter ihm.

      Ich war mitgefahren, mit peitschendem Knall raste das Geschoss aus dem Lauf und riss den Bock von den Läufen. Keine Flucht mehr, kein Schlegeln. Ich sah ihn mit bloßen Augen liegen.

      Noch fünf Minuten Dämmerlicht. In Anbetracht dieser Tatsache klaubte ich die Patronenhülse auf und ging hin zu meiner Beute. Als ich sie nach der roten Arbeit am Böschungshang zum Ausschweißen und Auskühlen streckte, war es wirklich vollends dunkel geworden, und die ersten Sterne blinkten matt am Himmel zwischen düsteren Wolkengebilden. Aber die wenigen Minuten Dämmerlicht hatten gereicht, um die dicken Rosen und den mächtigen Unterbau des nach oben abfallenden Sechsergehörnes zu bewundern. Die Totenwacht für den sieben- bis achtjährigen Bock hielt ich beim Aufsteigen des den Jäger so oft beobachtenden zunehmenden Mondes. Unverhofft kommt oft auf der Jagd, und darüber sann ich nach.

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      Im allerletzten Büchsenlicht kam der alte Bock zur Strecke.

       Der Abnorme

      So schnell wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder im dichten Unterwuchs des Mischwaldes und hinterließ einen Jäger, der das Glas nicht mehr an die Augen gebracht hatte und sich fragte: „Was – um Huberto willen – hatte dieser Bock auf?!“

      Eins hatte ich in den drei Sekunden, die mir zur Verfügung standen, gesehen: Er hatte viel, aber unterschiedlich auf, rechts „etwas anderes“ als links. Auf die 60–70 Meter Entfernung bei bestem Morgenlicht hatte ich links etwas „Schaufeliges“ erkannt; dieser abgewandelte Begriff, aus der Welt der Damhirsche und Elche entliehen, war mir sofort eingefallen.

      Meine Drahthaar-Hündin, die sich (nach längerer Ausbildung) unaufgefordert gesetzt hatte, nachdem ich so abrupt stehen geblieben war, stupste ihren Fang gegen meinen linken Oberschenkel: „Wollen wir nicht weiterpirschen?“, hieß das. „Nein, wir warten noch einige Minuten, und dann zeigst du mir den Wechsel, den der Bock genommen hat“, antwortete ich ihr leise – oder hatte ich es nur gedacht?

      Als wir dann losstiefelten, dauerte es nicht sehr lange, bis die Hündin die untrügliche Nase herunternahm und die frische Fährte verwies. Trittsiegel waren nicht zu sehen auf der grasbewachsenen Schneise. Bei mir liefen die „grünen Hirnverbindungen“ schon länger auf Hochtouren. Das war ein Bock, dem nachzustellen es sich lohnte, der bestimmt eine begehrenswerte Trophäe trug und eindeutig anzusprechen war.

      Jetzt musste ein Schlachtplan entworfen werden, wie diesem roten Junibock – eigentlich war der Juni mein Lieblingsmonat für die Bockjagd – am besten beizukommen war.

      Der Vogel Bülow, wie die Mecklenburger den Pirol bezeichnen, pfiff mir eins, ließ mich aber sein zitronengelbes Gewand nicht bewundern. Er hatte aus den grünen Laubkronen heraus eine gute Einsicht in das deckungsreiche Gelände – mir fehlte sie, Hochsitze gab es hier nicht. Der Ansitz an einer der Schneisen auf dem Stock schien mir zu stark auf den Kameraden Zufall abgestellt. Die Morgenpirsch mithilfe der Hundenase erschien mir interessanter, aber es musste noch eine dritte Möglichkeit geben.

      Ich jagte erst das zweite Jahr in diesem abgeschiedenen mecklenburgischen Revier Bökshagen, aber die alle Wildarten anziehende Waldlichtung (der Bock war in diese Richtung gezogen) kam mir in den Sinn. Es handelte sich um eine etwa zwei Hektar große unregelmäßige Fläche, die – in Privatbesitz befindlich – aus irgendwelchen Gründen nicht wieder aufgeforstet worden war und langsam durch Naturverjüngung und Buschaufwuchs unübersichtlich wurde. Noch aber waren genügend der Sonne ausgesetzte Gras- und Krautflächen enthalten, wo jetzt im Juni frische und gehaltreiche Äsung für das wiederkäuende Schalenwild – Rotwild war auch vertreten – in Hülle und Fülle vorhanden war. Bei meinem letzten Pirschgang dort waren mir die untrüglichen Anzeichen der Anwesenheit zumindest eines Rehbockes natürlich nicht verborgen geblieben: Fege- und Plätzstellen, waren es vielleicht die Hinterlassenschaften des Abnormen?

      Also: Heute Abend Ansitz auf der dort seit langem stehenden hohen Baumleiter. Vergnügt nahmen mein Hund und ich den drei Kilometer langen Heimmarsch in die Unterkunft in Angriff. Für so eine Strecke stieg ich morgens nicht ins Auto; wenn es schwere Beute zu transportieren galt, konnte man das Gefährt nachholen.

      So sah uns auch der frühe Abend wieder auf dem genussreichen Marsch ins Revier. Wie gut es tut, die eigenen Beine zu tummeln und nicht für jede kleine Strecke den vierrädrigen Umweltsünder zu benutzen! Bianka sah das genauso, man merkte es meiner Hündin an, wie auch sie sich der Bewegung freute. Als wir in den Waldteil des Revieres eintauchten, in die sogenannte „Hägener Heide“, streifte ich ihr die Halsung über, und willig übernahm sie den vorgeschriebenen Platz „bei Fuß“.

      Um den Appell zu üben, blieb ich einige Male kurz stehen, schaute mit dem Glas nach einem hoch kreisenden Mäusebussard, ein anderes Mal zwei abstreichenden Tauben hinterher (hier war noch die Hohltaube vertreten) oder leuchtete in eine Schneise hinein.

      Nur einmal musste ein kurzer Zischlaut die aufmerksame Hündin zum „Sitz“ veranlassen, dann klappte es, und wir konnten zur Pirsch übergehen – die ist nämlich mit häufigem Stehen, Schauen und Horchen verbunden!

      Wegen des Windes machten wir einen kleinen Umweg, und dann sah ich die Ansitzeinrichtung vor uns auftauchen. Wildanblick hatten