Название | Die Schülerrepublik im Schloss Reichenau |
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Автор произведения | Werner Ort |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783039199464 |
Danach begann Tscharner mit seiner Bestandsaufnahme und plante die Nutzung der Räume. Er sah für sein Seminar einen Direktor, zwei Professoren oder Hauptlehrer – einer katholisch, der andere reformiert – und zwei Unterlehrer vor, ebenfalls aus beiden Konfessionen, wobei der katholische in der schlosseigenen Kapelle die Messe lesen sollte. Ferner rechnete er mit einer noch unbekannten Anzahl von Schülern, die in der Mansarde in zwei Schlafsälen untergebracht werden sollten. Dazu kamen eine ökonomische Leitung, eine Wirtschafterin und Köchin (eine Frau Bavier, später eine Frau Abys) sowie einiges Dienstpersonal. Für den Direktor und die Lehrer mussten Unterkünfte im Schloss und für den Schulbetrieb Unterrichtszimmer bereitgestellt werden, ferner eine Küche, Esssäle, Vorratskammern, eine Bibliothek, ein Naturalienkabinett, ein Krankenzimmer und im Keller Platz für Vorräte und Wein.
Tscharner fertigte Skizzen der Räumlichkeiten und mehrere Listen an, geordnet nach den Bedürfnissen, der Art der Räume und der Einteilung in den Stockwerken im Schloss und im Seitenflügel. Dabei unterschied er unbeheizte Kammern von den Stuben, in denen sich ein Ofen befand. Bei einigen Räumen empfahl er, eine Wand herauszubrechen, bei anderen, eine Trennwand einzuziehen. Zu den benötigten Räumen notierte er: für jeden der beiden Hauptlehrer oder Professoren eine Stube, zwei Kammern, eine Küche, ein Kellergewölbe, für die drei Unterlehrer zusammen drei kleine Stuben, des Weiteren vier Stuben zum Schulegeben, zwei Speisezimmer, eine Bibliothek und ein Kabinett, für die Seminarhaushaltung eine Stube, zwei Kammern und zwei Kellergewölbe, sodann Räume für die Dienstmägde und den Aufwärter (Diener).113
Vermutlich folgte der Herrschaftsrat Tscharners Überlegungen, die dieser in seinen «Reichenauer Notanda» skizzierte, 114 da man ihn ja mit der Organisation und Leitung des Seminars betraut hatte und er darauf achtete, dass für die Teilhaber genügend Platz reserviert blieb. Mit seiner grosszügigen Raumeinteilung ergaben sich erst Schwierigkeiten, als Anfang 1797 viele neue Schüler eintraten, der Platzbedarf für Klassenzimmer und Aufenthaltsräume sich vergrösserte, die Teilhaber aber nicht einsehen wollten, weshalb sie auf ihre Stuben und Kammern verzichten sollten, auch wenn sie sie kaum benutzten.
Da Buol-Schauenstein sein privates Mobiliar mitgenommen hatte, müssen die Räume ziemlich kahl ausgesehen haben, als die neuen Eigentümer im Juli 1792 die Herrschaft antraten. Leider erfahren wir aus den Akten nichts über die Umbauten und Handwerkerarbeiten, wir können aber davon ausgehen, dass sie nur schleppend vorankamen, da Chur, wo man Arbeitskräfte am ehesten finden konnte, mit Schreiner-, Maurer und Zimmermannsbetrieben nicht gerade gesegnet war. Man pflegte auch in Chur anspruchsvollere Arbeiten gern von ausländischen Unternehmen erledigen zu lassen. Tscharner überwachte diese Arbeiten wahrscheinlich genauso penibel wie früher den Ausbau der Reichsstrasse von der St. Luzisteig nach Landquart; da alle Verträge und Abrechnungen im Kellerarchiv des Schlosses aufbewahrt worden sein müssen, sind sie mit den anderen Unterlagen der Herrschaft verlorengegangen, falls Tscharner weder Entwurf noch Kopie davon machte; in seinem Nachlass sind sie jedenfalls nicht vorhanden. Wir haben eine Berechnung der Gesamtsumme für die Renovationskosten aus dem Jahr 1796, die jedoch nur überschlagsmässig zu betrachten ist: Danach wurde die Herrschaft Reichenau 1792 für 133 000 Gulden gekauft; für An- und Umbauten des Schlosses und das Mobiliar wurden 17 000 Gulden ausgegeben. Diese Angaben benutzte Tscharner, um die Rendite des Schlosses zu errechnen.115
In einer Ankündigung vom 2. April 1793 stand, dass das Seminar seine Tore im Mai öffnen sollte. Dass sich der Beginn bis Mitte Juni 1793 verzögerte, mag den umfangreichen Arbeiten und anderen Vorkehrungen für den künftigen Schulbetrieb geschuldet gewesen sein.
ZURÜCKHALTENDE PROPAGANDA
Anfang April 1793 liess Tscharner einen Prospekt von acht Seiten auf Deutsch, Französisch und Italienisch drucken, «nach welchem die Inhaber der Herrschaft Reichenau und Damins gesonnen sind, im Lauf des nächsteintretenden Monats Mai eine vermischte protestantische und katholische Erziehungs- und Schulanstalt in ihrem Schlosse Reichenau, in der Republik Graubünden, zu eröffnen».116 Das war zeitlich zu knapp bemessen, um auf viele Anmeldungen hoffen zu können. Der Prospekt wurde als Inserat verschiedenen Zeitungen beigelegt117 und auch in den «Intelligenzblättern der Allgemeinen Literatur-Zeitung von Jena» veröffentlicht, dort allerdings erst am 22. Mai.118 Vermutlich war dies mit ein Grund, wieso sich die Schuleröffnung bis Mitte Juni verzögerte: Man wartete ab, ob sich nicht noch mehr Schüler anmelden würden.
Der Anfang des Prospekts schilderte die Vorzüge der Lage von Reichenau, geografisch, klimatisch und kommerziell, den Schlosspark mit seinen Lusthäuschen, Statuen, Vasen und Springbrunnen, die angenehmen Promenaden, den häufigen Postverkehr, die Nachbarschaft mit der Stadt Chur, der Gemeinde Tamins und den Herrschaftssitzen von Albertini, Capol, Mont, Travers, Ortenstein, Paspels, Buol von Rietberg und Jecklin von Realta, Blumental von Rodels, der von Planta, Salis, Conradi zu Fürstenau, Sils und Baldenstein. «Besuche, welche man abteilungsweise mit den Zöglingen in angesehenen Häusern zu machen gedenkt, so wie die Besuche so mancher Fremden zu Reichenau selbst, müssen notwendig die äussere Bildung der Zöglinge um vieles befördern helfen.» Tscharner sah es als Empfehlung für das Seminar, in einem Schloss untergebracht zu sein; die Nähe zu Adelskreisen und der gesellschaftliche Umgang mit ihnen mochte sich für den Zulauf der Schule und die Laufbahn der Schüler als nützlich erweisen.
7 — Im Prospekt vom 2. April 1793 schildert Tscharner die vorteilhafte geografische Lage des Schlosses, als Empfehlung für die neue Erziehungs- und Schulanstalt.
Die Beobachtung des regen Handels mit Fuhrwägen und Saumpferden und auf Flössen den Rhein hinunter – so der Prospekt – könne jenen Knaben, «welche zu der Handlung bestimmt sind», mancherlei Kenntnisse vermitteln. «Endlich bietet auch die im Schlosse angelegte Speditions- und Handlungsschreibstube den diesem Fache gewidmeten Zöglingen die Gelegenheit dar, nach Massgabe der vorfallenden Geschäften sich praktisch zu bilden, und bei erforderlichem Fleiss und Talenten, es so weit zu bringen, dass sie nach Vollendung eines hinlänglichen Curses in dieser Anstalt sich in dem Falle befinden, zu kaufmännischen Geschäften brauchbar zu sein und sich anständig zu ernähren.»
Dieser Praxisbezug der Ausbildung, mit der man insbesondere Söhne reicher Kaufleute ködern wollte, liess sich jedoch nicht durchführen, weil es an einem geeigneten Lehrgang und der Bereitschaft der Speditions- und Handelsfirma Bavier fehlte, Schüler in ihrer Schreibstube zu betreuen. Ausserdem überlegten sich Kaufleute aus St. Gallen, Basel oder Zürich wohl, dass ihre Söhne in der Schule besser ein allgemeines Rüstzeug mitbekommen sollten, um später ins väterliche Kontor einzutreten, wo sie noch reichlich buchhalterische Kenntnisse und Erfahrung in ihrem künftigen Metier erwerben konnten.119
Tscharner, selber Vater von sechs Söhnen, versuchte sich in andere Väter zu versetzen, wenn er die gesunde und sonnige Lage des Schlosses Reichenau anpries, das gute Wasser, die reine Luft und den «geräumigen, bequemen Wohnplatz für Lehrer, Haushaltung und Zöglinge». In anderen Privatschulen war es verschiedentlich zu Epidemien gekommen, also war es für die Eltern künftiger Schüler wichtig zu wissen, dass in Reichenau alles getan wurde, um die Gesundheit der Kinder zu erhalten und zu kräftigen. «Für allfällige Kranke wird ein eigenes Krankenzimmer zugerichtet werden. Ein Arzt wird die Anstalt öfters besuchen und die nötige Vorsorge treffen, und eine Apotheke ist ohnehin bisher in Reichenau unterhalten worden.» Dazu führte Tscharner eine gesunde, reichhaltige Ernährung, Leibesübungen, Spaziergänge und luftige, grosse Schlafsäle an. «Mit Recht erwartet man die Angewöhnung zur Reinlichkeit und Ordnung von einer solchen Anstalt. Man wird mit Eifer darob halten.»
Bei den Mahlzeiten hob Tscharner hervor, dass morgens, mittags und abends Suppe und Brot gereicht werde, mittags Rindfleisch und ein bis zwei Beilagen,