" Hoch Geachter Her Verhörrichter …". Martín Camenisch

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Название " Hoch Geachter Her Verhörrichter …"
Автор произведения Martín Camenisch
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199099



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und um Unterstützung gebeten habe, um diese allenfalls verhaften zu können:

      «Der Unterfertigte, auf diese Anzeige hin, verfügte sich selbst mit dem Landjäger auf einen Punkt von wo aus er die für verdächtig gehaltene Personen mit einem Fernrohr besichtigen konnte; da es aber ein Regen und Nebel-tag war, so konnte er die Verdächtigen nicht für Gemeindsbürger erkennen und somit wurden auf der Stelle mehrere hiesige Bürger bewafnet in begleit mit dem Landjäger nach dem Tobel geschikt.» Die ganze Angelegenheit habe sich schliesslich als falscher Alarm herausgestellt, da es sich um «zweÿ hiesige Gemeindsgenoßen» gehandelt habe. «Anbeÿ darf der Unterschriebene sicher seÿn [so Augustin das Vorgehen des Landjägers vor dem Verhörrichter verteidigend, M. C.], daß Landjäger Mutzner nicht aus Feigheit seine Anzeige hier gemacht, sondern nur der festen Uberzeugung dadurch sicherer zu seinem Zwecke, der Festnehmung der Verdächtigen zu gelangen.»326

      Im anderen Fällen mussten sich die Landjäger nach erhaltenem Obrigkeitsbefehl eigenständig arrangieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Bericht des in Roveredo stationierten Landjägers Christian Bantli. Im Zusammenhang mit der Verwahrung des Joseph Kap327 war eine Weisung zu dessen Verhaftung vorausgegangen. Der Fall wird deshalb in längerer Ausführung wiedergegeben, weil er aufzeigt, wie die permanente Alarmbereitschaft die Nacht zum Tag werden liess:

      «Neüikeiten vom bezirk Roveredo und Calanga In Roveredo wirt ein man gesucht Nammens Joseph Kap; schon ville Jahr. sich hier in der gemeind aufgehalten; und einmals ein guter lob hatte; aber; allezeit unterstüzung von seinen guten freünden den summer; thut er kohllbrennen und ietz fangt er an Camin fägen. Den 13ten und 14ten haben ihn die Herren vor gericht auf dem Rathaus gehabt; und den 16ten vor Mitags sihe ich ihn über die brück gehen; aber ich wuste von seinen fähler gahr nichts; und get in seiner Caminordinanz gegen Grono zu; und des abens ongefähr eine stund nachts Ruft man mier ich soll kommen um ein Man zu fangen; mit zweÿ man und wuste nichts auf wen es gieng; aber der Caminfäger wahr nicht zu haus seit dennen seind wier gewiß; des tags und nachtes vill mahll dort um das haus aus zu suchen aber nicht funden unter deßen sagt mier der Ginilin der Kap seÿ mit 2 guten freünden über den bärg; und unter deßen als den 23ten wärd ich von einem schmärzhaften Ruken schmärzen das ich mich 4 tag gar nichts hälfen könte; und geschwind den Doktor kummen lies; und aber bald geholfen wurde; den 28ten lies der H. Fisgall Damon den Bärgamin kommen glaubt der soll ihn fangen; in der nacht komt; Ginilin und bärgamin; und fragen wo er ietz sein wonung habe aber sie liefen ganz; St. Videl; und St. Jülius aus; aber nicht fünden; den 29ten abens komt der genelin allein glaubt es zu zwingen aber nein […].»328

      «Neuigkeiten vom Bezirk Roveredo und Calanca: In Roveredo wird ein Mann Namens Joseph Kap gesucht. Er hat sich schon viele Jahre hier in der Gemeinde aufgehalten und hatte einst einen guten [Ruf]. [Jedoch] war er immer auf Unterstützung durch seine guten Freunde [angewiesen]. Den Sommer [hindurch] brennt er [üblicherweise] Kohle, und [neuerdings hat er sich als] Kaminfeger [versucht]. Am 13. und 14. [November] haben ihn die Herren [der Obrigkeit] im Rathaus vor Gericht [verhört]. Den 16. habe ich ihn vormittags in seiner Kaminfegeruniform über die Brücke Richtung Grono gehen sehen. Ich wusste [jedoch] gar nichts von seinen [Vergehen]. Abends, ungefähr zur ersten Nachtstunde, hat man mich gerufen und [gesagt], ich solle kommen, um einen Mann einzufangen. [Ich wurde von] zwei Männern [begleitet], wusste [jedoch] nicht, um wen es ging. [Da] der Kaminfeger nicht zu Hause [war], wussten wir, [um wen es sich handelte]. [Wir sind/Ich bin sowohl] während des Tages, [als auch] während der Nacht viele Male [bei] seinem Haus [gewesen, habe(n)] aber nichts gefunden. Unterdessen [hatte] mir [Landjäger Placidus] Genelin [gesagt, dass] Kap mit zwei guten Freunden über den Berg [geflüchtet sei]. [Da] ich [in der Zwischenzeit], am 23. [November], von schmerzhaften Rückenschmerzen [geplagt wurde], konnte ich [während] vier Tagen gar nicht helfen, [Kap einzufangen]. Ich liess [stattdessen] den Arzt kommen, [der mir schnell] helfen [konnte]. Am 28. [November] liess der [Kantons]fiskal de Mont [d. h. der Verhörrichter] den [Landjäger Joseph] Bergamin [herbei]kommen, [im Glauben, dass] dieser ihn [ein]fangen [würde]. In der Nacht [auf den 29. November] [sind] Genelin und Bergamin [ge-] kommen und [haben ge]fragt, wo [Kap] seine Wohnung habe. Sie [patrouillierten daraufhin die ganze Nacht und den 29. November tagsüber in den Ortsteilen] San Fedele und San Giulio, [ohne eine Spur zu] finden. [Am] 29. [ist] abends Genelin alleine [ge]kommen, im Glauben, [die Aufspürung] erzwingen zu [können, was jedoch nicht eintraf]. [Ergänzungen, M. C.]»

      Am 30. November schliesslich, so beendete Bantli seinen Bericht, habe Landjäger Genelin Kap aufgespürt. Anfang Dezember dann berichtete Bantli in einem weiteren Rapport von der Überwachung und dem mehrmaligen Verhören Kaps.329 Ende Dezember beklagte er sich ferner über die zeitraubende Gefangenenwache, welche ihm nicht erlaube, seine Ausrüstung instand zu halten.330 Ende Januar schliesslich berichtete er dem Verhörrichter von der Entlassung des Joseph Kap am 13. Januar 1830.331

      Das Beispiel Kaps verdeutlicht die von der kantonalen Polizeileitung eingefädelte Kooperation zwischen den Landjägern. Sie wurde im Allgemeinen dann in die Wege geleitet, wenn das Verhörrichteramt vom Entweichen eines Häftlings Kenntnis genommen hatte. Gemäss polizeiorganisatorischer Richtlinie versuchten sich die Landjäger, falls sie sich in unmittelbarer Nähe befanden, bei obrigkeitlichen Expressanweisungen auch eigenständig zu organisieren.332 Wenn Landjäger Joseph Bergamin in seinem Dezemberrapport trotz intensiver Suche nach Joseph Kap berichtete, dass im Monat November nichts Neues vorgefallen sei, deutet dies in gewisser Weise auf die Normalität solcher Ereignisse hin.333

      Im Gegensatz zu diesen Gefahrensituationen mit verhältnismässig konkreter Zielvorgabe standen die Weisungen zweiter Art, deren zeitliche Bezugsrahmen ausgedehnteren Charakters waren. Sie kamen dann zur Anwendung, wenn der Verhörrichter durch verschiedene Quellen von überproportionalen Mobilitätsströmungen erfuhr. Beispielsweise sollte bei ausgebrochenen Epidemien oder Nutztierseuchen die Übertragung der Krankheiten verhindert werden. In solchen Fällen wurden mehrwöchige oder gar mehrmonatige Grenzbesetzungen oder Extrastreifen befohlen, welche oftmals auch explizit während der Nacht zu vollziehen waren. Der Verhörrichter berichtete beispielsweise über die Ende 1827 ausgebrochene Viehseuche im Kanton St. Gallen,

      worauf man auf dem Kunkelspass und dem St. Margrethenberg «Landjäger als Wachtposten ausgestellt» habe. Da es diese «wegen der längern Dauer an der Gränze» nicht ausgehalten hätten, seien sie «wie es die Natur der Oertlichkeiten gab, nach Vettis und von St. Margrethen-Berg zu den nächsten Höfen auf St. Gallen-Gebiet» gezogen. Daraufhin hätten die Behörden «ihre Quartierträger mit 40 Franken Strafe bedroht, falls sie selben noch ferners Quartier geben würden, welches jedoch nicht exequirt wurde».334

      In einem anderen Beispiel liess der Kanton Graubünden gemäss Amtsbericht des Verhörrichters wegen der schnell fortschreitenden «Cholera morbus» an der Grenze zum Tessin und zum Lombardo-Venetischen Königreich von Ende September bis im Dezember 1831 einen «Cordon ziehen», welcher aus einer unerwähnten Anzahl Landjäger sowie aus 15 provisorisch aufgenommenen Landjägern bestand, um die Grenze permanent besetzen zu können:

      Die Massnahme sei mitunter auch deshalb getroffen worden, weil die beiden Nachbarstaaten unmittelbar davor eine ähnliche Verfügung erlassen hätten und befürchtet wurde, dass der Kanton «von Fremden ganz überfüllt werden möchte», wobei explizit auch «einiges Zuströmen besonders von Handwerksburschen» drohe. Von den provisorischen Landjägern seien zehn Männer im Dezember wieder entlassen und deren drei vorläufig beibehalten worden.335

      Ein gleicher «Cordon» wurde, dies zur Ergänzung, auch im Sommer 1836 errichtet.336 Im Idealfall patrouillierten die Landjäger in solchen Fällen erhöhter Alarmbereitschaft in Begleitung. Eine im Spätsommer 1833 festgestellte Welle aktiverer Migration an der Tessiner Grenze beispielsweise hatte den Verhörrichter veranlasst, die Landjäger Christian Desax (Roveredo), Franz Derungs (San Vittore) und Placidus Genelin (Grono) gemeinsame Touren entlang des Grenzverlaufs machen zu lassen. An Desax schrieb der Verhörrichter, er solle

      «[…] besonders bei Tages- und Nacht Anbruch, hie und wieder auch selbst in der Nacht /: versteht sich, bei Nacht wenn möglich in Begleitung des Genelin oder des Derungs, worüber Desax sich mit selben jedes Mal einzuverstehen hat:/ eine Streif Tour auf der linken Seite