Название | Freundschaft |
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Автор произведения | Holger Dörnemann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429060527 |
Doch obgleich der Wille in dieser Weise das ‘innerliche Prinzip’ menschlichen Handelns ist, bedeutet das nicht, daß er gänzlich selbstursprünglich wäre und nicht eines Bewegungsanstoßes von außen bedürfte (a. 4),89 Er wird seinerseits bewegt von einem ‘äußeren Prinzip’, das wie der Wille selbst nicht körperlich sein kann (a. 5) und das zu Beginn von qu. 9 in praktischer Perspektive bereits als »bonum in communi« bezeichnet worden ist. Gegen Ende der qu. 9 identifiziert Thomas dieses ‘Gut im allgemeinen’ in theologischer Perspektive mit Gott (a. 6)90. Diese Interpretation göttlicher Beeinflussung des Willens als »bonum universale« bzw. als ‘universaler Antrieb’ (»motor universalis«) erlaubt es, eine ‘äußere’ Beeinflussung des Willens durch Gott und freies, selbstbestimmtes und willentliches Handeln des Menschen zusammenzudenken. Es zeigt sich jedoch bei näherem Hinsehen, daß in dieser Deutung zwar die allgemeine Weise erklärt wird, wie göttliches Wirken und freier Wille miteinander bestehen können, jedoch noch nicht eine andere, speziellere Weise, in der der Mensch die Glückseligkeit erwirbt. Um das höchste Gut zu erlangen, so sagt Thomas in demselben Artikel ausdrücklich, bedarf es eines über das allgemeine Wirken Gottes in der Welt hinausgehenden göttlichen Wirkens, bedarf es der Gnade.91 Die ausführliche Diskussion und Problematisierung dieser zweiten, besonderen Weise göttlicher Einflußnahme auf den Willen des Menschen wird einem späteren Zeitpunkt vorbehalten.92 So bleibt es vorerst weiterhin unausgemacht, was mit dem gnadenhaften Wirken Gottes gemeint ist, und die Frage, ob und wie Gnade und Willentlichkeit zusammen bestehen können, muß zunächst zurückgestellt werden.
Das Frageinteresse der qu. 10 konzentriert sich demgegenüber zunächst wieder auf die Ergründung der allgemeinen Art und Weise, wie der Wille ‘bewegt’ werden kann (»de modo quo voluntas movetur«). Näherhin geht es um die Frage, ob und wie die formale Ausrichtung des Willens auf das ‘vollkommene Gut’ (»bonum in communi«) die Freiheit zu und gegenüber den mannigfachen ‘Einzelgütern’ (»bona particularia«) ermöglicht.
Zu Beginn der Untersuchung wird gezeigt, daß das ‘Gut im allgemeinen’ zwar das eigentliche, aber nicht schon das einzige Objekt des Willens ist, zu dem dieser sich gewissermaßen ‘naturhaft’ (»naturaliter«) hinneigt. Denn mit dem »bonum in communi« erstrebt der Wille auch die (natürlichen) Objekte und Ziele der übrigen Seelenvermögen, wie z.B. die Erkenntnis des Wahren, die Selbst- und Arterhaltung und dergleichen (a. 1).93 Alle diese Teilgüter, die in einer direkten Verbindung mit dem ‘letzten Ziel’ stehen, werden sogar in einem gewissen Sinn ‘notwendig’ gewollt.94 Wie das ‘Gut im allgemeinen’ können sie den Willen zwar nicht zum Tätigwerden (»ad exercitium actus«) zwingen. Doch da sie ersichtlich höchste Güter für den Menschen sind und in einer leicht einsehbaren, direkten Hinordnung auf das ‘höchste’ Gut stehen, wird der Wille von ihnen in der Art und Weise, wie er ausgeübt wird (»ad specificationem actus«), beeinflußt. Der Wille ist zwar auf das ‘letzte Ziel’ notwendig festgelegt (insofern es ihm nicht möglich ist, das Gegenteil zu wollen)95, so daß er folglich ebenso auf die genannten ‘höchsten Ziele’ auf natürlich-selbstverständliche Weise ausgerichtet ist. Aber gegenüber allen übrigen ‘Gütern’, die nicht in einer unmittelbaren Beziehung zum ‘letzten Ziel’ stehen, besteht ein Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit: der Mensch kann sie anstreben, doch ist er nicht notwendig auf sie festgelegt und nicht durch sie in seiner Handlung determiniert (a. 2).96
Nachdem Thomas somit die Freiheit des menschlichen Willens gegenüber den kategorialen Teilgütern ‘dieses Lebens’ aus dessen (transzendentaler bzw.) formaler Ausrichtung auf das ‘Gut im allgemeinen’ erklärt hat, folgt gegen Ende der qu. 10 erneut die Verschränkung der praktischen mit der spekulativen Fragehinsicht: Weil Gott als das »bonum in communi« den Willen bestimmt, ist der Mensch nicht auf bestimmte Handlungen festgelegt, sondern umgekehrt: es wird ihm gerade so die Möglichkeit eröffnet, frei und selbstbestimmt zu handeln (a. 4)97.
Gottes (allgemeines) Wirken in der Welt, so läßt sich zusammenfassen, geschieht gemäß den Bedingungen seiner Geschöpfe. Menschliches Handeln vollzieht sich unter dem formalen Apriori eines grundsätzlichen Verlangens nach der Glückseligkeit.98 Negativ ausgedrückt bedeutet das zugleich, daß Gott bzw. die Glückseligkeit unter den Bedingungen des hiesigen Lebens (Endlichkeit des Menschen; Defizienz seiner Handlungskräfte) nicht materialer Gegenstand des Handelns werden kann. Dem Menschen ist es unter allen geistigen Geschöpfen aufgetragen, sich dem umfassendsten und vollkommensten Gut seines Lebens in der Mannigfaltigkeit und unbegrenzten Vielfalt des sittlichen Handelns zu nähern.99
Bevor Thomas sich jedoch der Frage zuwendet, wie die Handlungen beschaffen sein müssen, damit sie den Menschen zum Ziel seines Lebens führen (qu. 18-21), vermittelt er zunächst einen Einblick in den formalen Aufbau menschlichen Handelns. So wird in den qu. 11-17 die Art und Weise untersucht, wie sich menschliches Handeln auf ein als ‘Gut’ erkanntes Ziel hin bestimmt und verwirklicht und aus dem Zusammenspiel und Nacheinander von erkenntnishaften und willentlichen Phasen und Aspekten desselben Aktes erklärt100: Der (sinnlichgeistigen) Wahrnehmung und Erkenntnis eines ‘Gutes’ entspricht und folgt das willentlich-bewußte ‘Intendieren’ (»intentio«; qu. 12) des Handlungszieles. Weil der Wille, wie gesagt, ein Ziel dadurch erstrebt, daß er sich auf die ‘Mittel’ bezieht, durch die es erreichbar wird, setzt mit der Intention eines Zieles die ‘Überlegung’ (»consilium«; qu. 14) der diesem Ziel proportionierten Mittel ein. Wenn der Wille der Überlegung des Verstandes ‘zustimmt’ (»consensus«; qu. 15) und die überlegten Mittel ‘wählt’ (»electio«; qu. 13), folgt auf die ‘Anordnung durch die Vernunft’ (»imperium«; qu. 17) der ‘Gebrauch’ (»usus«; qu. 16) der Mittel bzw. die Handlungsdurchführung. Wenn die Mittel tatsächlich zur Erlangung des intendierten Handlungszieles führen, findet die Handlung in einer ‘freudig-erfüllten Ruhe’ (»fruitio«; qu. 12) des Willens ihren Abschluß.101
Der gerade skizzierten, recht formalen Analyse des (aus erkenntnishaften und willentlichen Teilakten zusammengesetzten) menschlichen Handelns folgt in den qu. 18-21 der Aufweis eines allgemeinen Prinzips der Moralität, die Unterscheidung von Gut und Böse der Handlung. Den Ausgangspunkt der Überlegung in der qu. 18 bildet die bereits in der Ia Pars der STh grundgelegte102, metaphysische bzw. ontologische Bestimmung von Gut und Böse: “Über Gut und Böse bei den Tätigkeiten ist ebenso zu sprechen wie von Gut und Böse in den Dingen.”103 Wie nun aber ein jedes Ding insofern ‘gut’ ist, als es ‘Sein’ hat, so bestimmt sich auch die Güte einer Tätigkeit danach, ob sie dem Seienden, das der Tätigkeit zugrunde liegt, entspricht oder nicht entspricht, bzw. ob sie zur ‘Seinsfülle’ (»plenitudo essendi«) beiträgt oder diese mindert (a. 1)104. Die ontologische Analyse der Moralität bleibt zunächst auch in den nachfolgenden Artikeln (a. 2-4) vorherrschend: Wie sich die Güte eines natürlichen Dinges nach dessen Übereinstimmung mit (bzw. Abweichung von) dem zugrundeliegenden ‘Form-Prinzip’ richtet, so empfängt auch die Handlung ihre ‘Art’ vom Gegenstand (»obiectum«) her und wird in dem Maße ‘gut’ genannt, als der Gegenstand dem Handelnden entspricht (a. 2)105. Und schließlich wird - ebenfalls in strenger Analogie zu den Dingen, deren Seinsfülle sich auch durch Akzidentien und von dem Seienden, von dem es bewirkt ist (»esse ab alio«), bestimmt - auch von der Handlung gesagt, daß sie durch ‘Umstände’ (a. 3) und das (intendierte) ‘Ziel’ (a. 4) der Handlung gut oder schlecht wird.
Trotz der in den ersten vier Artikeln der qu. 18 vorherrschenden metaphysischen Analyse der Moralität trügt jedoch der Eindruck, daß moralische Erkenntnis aus der Erkenntnis des Wesens als vorgegebener Bestimmtheit abgeleitet werden könnte.106 Der nachfolgende Artikel (a. 5) macht deutlich: “Die moralische Ordnung“, in einer Formulierung W. Kluxens gesprochen107, “findet zwar im Umkreis der Dinge statt“, doch ist die ontologische Analyse der Moralität als Reflexion108 auf das anzusehen, was ursprünglich durch das höchste Seelenvermögen des Menschen, im Vollzuge der Vernunft schon erkannt ist. “Die spezifisch praktische Erkenntnis gewinnt … das ‘Prinzip der Moralität’ in ihrem eigenen Vollzuge und ist nicht darauf angewiesen, aus einer nicht-praktischen Wesenseinsicht, die ihr vorausläge,