Название | Der Traum von Heilung |
---|---|
Автор произведения | Christian Schürer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783039199228 |
Eine historische Monografie über die Höhenbehandlung der Lungentuberkulose in der Schweiz und ihre wissenschaftlichen Begründungen, welche deren Etablierung und deren Bestehen während eines Zeitraums von rund hundert Jahren aus einer konstruktivistischen Perspektive nachzeichnet, gibt es meines Wissens nicht.38 In Aufsätzen oder Artikeln wurden indes schon verschiedene Elemente dieser Geschichte dargestellt. Zu nennen sind insbesondere die Arbeiten der Historikerin Daniela Vaj von der Universität Lausanne: 2005 beschrieb sie in einem Aufsatz verschiedene wissenschaftliche Grundlagen der Entstehung der cure d’altitude, insbesondere die Genese der Vorstellung, dass es hoch gelegene, «immune» Orte gebe, in denen keine Lungentuberkulose vorkomme.39 Ebenfalls zu erwähnen ist der kurze Artikel «Heilsame Höhenluft? Die Höhenkliniken als Wallfahrtsorte» der Historikerin Iris Ritzmann, welche die Geschichte der Höhentherapie nachzeichnet und ebenfalls die Frage aufwirft, ob hinter dem Glauben an die Höhenkuren auch handfeste, wirtschaftliche Interessen standen.40 Einen Überblick über die Höhentherapie gibt der Artikel des Lausanner Medizinhistorikers Vincent Barras über «Nutzen und Gefahren der Höhenluft».41 Schliesslich ist ein Aufsatz des französischen Philosophen François Dagognet von 1959 zu erwähnen, der den Erfolg der Luftkur auch auf mythologische und psychoanalytische Grundlagen der «Elevation» zurückführte.42
Daneben existieren verschiedene Darstellungen über die Geschichte von Höhenkurorten. Zu nennen ist hier das Buch der englischen Kulturhistorikerin Susan Barton, Healthy living in the alps von 2008, welches die Geschichte von Davos, Arosa, St. Moritz, Leysin und Grindelwald als Kur- und Wintersportorte nachzeichnet.43 Ralf Schenks umfassende und in Bezug auf die Tuberkulosegeschichte informative Darstellung der Geschichte des heilklimatischen Kurortes Davos geht implizit von einer in der Natur bestehenden günstigen Wirkung des Höhenklimas bei Lungentuberkulose aus.44 Zudem sind verschiedene Arbeiten zur Geschichte der Tuberkulosebekämpfung in der Schweiz vorhanden. Zu nennen ist insbesondere Hausordnung und Liegekur (1998) von Iris Ritzmann, welche nicht nur die Geschichte der Zürcher Höhenklinik Wald aufarbeitete, sondern auch Grundsätzliches über die Sozialgeschichte der Tuberkulose in der Schweiz aufzeigt.45 Wichtig für meine Arbeit sind auch die umfassenden sozialgeschichtlichen Studien von Daniel Gredig über die Tuberkulosefürsorge in der Schweiz (2000) sowie die Arbeit der Historikerin Andrea Kaufmann, Luft zum Leben, von 2008 über die Geschichte der Lungenliga Zürich.46 Verschiedene Historikerinnen und Historiker haben die Sozialgeschichte der Tuberkulose einzelner Länder aufgearbeitet, wie es auch mehrere Darstellungen über die Geschichte der Sanatoriumstherapie gibt.47 Von Bedeutung für die Fragestellung meiner Arbeit ist dabei insbesondere der Aufsatz «Behandlung ohne Heilung» von Flurin Condrau über den Behandlungserfolg der Sanatoriumstherapie.48 Die Höhentherapie der Lungentuberkulose wurde in der Medizingeschichte immer wieder thematisiert, indem über ihre medizinische Richtigkeit debattiert wurde. Sie wurde rückblickend gutgeheissen oder, in der Schweiz erst in jüngerer Zeit, verworfen, etwa als eine «Geschichte der Trugschlüsse».49 Es ist indes nicht das Ziel meiner Arbeit, aus der heutigen Perspektive eine frühere medizinische Theorie zu kritisieren. Der konstruktivistische Ansatz will vielmehr aufzeigen, dass es nicht zwangsläufig hätte kommen müssen, wie es gekommen ist, und fragt, warum es so gekommen ist.50
Aufbau
Die Arbeit ist folgendermassen aufgebaut: Das auf die Einleitung folgende Kapitel «Die gesunde Schweizer Alpenluft» erörtert Grundlagen und Begleitumstände des Aufstiegs der Höhenbehandlung: die veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung der Alpen und ihr neues Bild in Kunst, Literatur und Wissenschaft. Zudem profitierte die Höhenkur vom aufkommenden Interesse der Touristen an den Alpen wie auch von einer verbesserten Verkehrsinfrastruktur. Im folgenden Kapitel «Der Aufstieg der Ärzte» gehe ich auf die Situation der Medizin im 19. Jahrhundert ein und beleuchte den Kontext, in welchem die Höhenklimabehandlung der Tuberkulose entstand: Im 19. Jahrhundert konnten sich die akademischen Ärzte zunehmend gegen andere Heilkundige durchsetzen und versuchten, in der Medizin naturwissenschaftliche Betrachtungsweisen anzuwenden. Ab 1850 beschrieben Ärzte die Tuberkulose als heilbar. Nach diesen beiden einführenden Kapiteln folgen die drei Hauptteile der Arbeit, die jeweils einem Wissenskomplex gewidmet sind, der für die Höhentherapie prägend war. Die Entwicklung des Wissens und ihre sozialgeschichtlichen Implikationen werden innerhalb dieser Hauptteile chronologisch dargestellt.
Der erste Hauptteil mit den Kapiteln «Die Theorie des immunen Klimas», «Eine Landschaft wird zum Sanatorium» und «Die Liegekur und die Bazillen» befasst sich mit den für Mediziner des 19. Jahrhunderts wichtigen Vorstellungen der antiken Diätetik, welche Umweltfaktoren als Ursache von Krankheit und Gesundheit betrachtete. So gingen Ärzte in der Antike wie auch im 19. Jahrhundert davon aus, dass das «richtige» Klima Krankheiten heilen könne. Im Kapitel über das «immune Klima» wird gezeigt, wie Wissenschaftler und Forschungsreisende in der Tradition dieser Vorstellungen auf verschiedenen Kontinenten Belege dafür entdeckten, dass in grossen Höhen lebende Menschen weniger oder gar nicht an Tuberkulose litten. Das Höhenklima machte gemäss diesen Beobachtungen gleichsam «immun» gegen Tuberkulose. 1853 verkündete der schlesische Arzt Hermann Brehmer die Heilbarkeit der Tuberkulose und knüpfte sie an die Behandlung in hoch gelegenen, «immunen» Ortschaften, in denen Lungentuberkulose nicht vorkam. Im darauffolgenden Kapitel wird dargestellt, wie der Davoser Arzt Alexander Spengler in den 1860er-Jahren Brehmers Theorie des heilsamen Höhenklimas erfolgreich in die Schweizer Alpen verpflanzte und wie in Davos ein weltbekannter Höhenkurort entstehen konnte. Das Kapitel über «Die Liegekur und die Bazillen» beschäftigt sich mit den Folgen von Robert Kochs Nachweis im Jahr 1882, dass die Tuberkulose eine Infektionskrankheit ist, für die Höhenkur: Es entstanden geschlossene Heilanstalten und Sanatorien, in denen bakteriologische Hygieneregeln zur Anwendung kamen. Die Höhenkurorte profitierten in den folgenden Jahren vom Scheitern der Bakteriologie, ein wirksames Medikament gegen die Tuberkulose auf den Markt zu bringen. Das folgende Kapitel «Sanatorium, Exzess, Tod» ist sozialgeschichtlich ausgerichtet und stellt die Situation von Patientinnen und Patienten im Höhensanatorium in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg dar. Das Kapitel zeigt auch, welche Rolle die Theorie des heilsamen Höhenklimas beim Bau von Volkssanatorien für weniger bemittelte Kranke spielte. Zudem wird dargelegt, dass der Erfolg der Sanatoriumsbehandlung schon früh in Zweifel gezogen wurde und dass die Wirkung der Höhenkur durch lungenchirurgische Eingriffe verbessert werden sollte.
Beim zweiten Wissensgebiet mit den Kapiteln «Mieschers Traum» und «Ein Forschungsinstitut für die Höhenkur» handelt es sich um die Höhenphysiologie, die sich ab 1870 intensiv mit der Frage beschäftigte, welche Wirkung das Höhenklima auf Blut und Körper hat. In «Mieschers Traum» stelle ich dar, wie Physiologen begannen, die Auswirkung der dünnen Höhenluft auf das Blut zu erforschen, vorerst unter dem Aspekt der «Bergkrankheit». Der Basler Medizinprofessor Friedrich Miescher stellte 1893, wenige Monate vor seinem Tod in einem Davoser Sanatorium, eine zentrale Begründung auf, warum es im Höhenklima zu einer Blutvermehrung und zur Heilung von Lungentuberkulose komme. Sein Text nahm in der Diskussion über die Wirkung des Höhenklimas auf Blut, Körper und Tuberkulose eine wichtige Position ein. 1922 wurde der Berliner Physiologe Adolf Loewy zum ersten Leiter des neu gegründeten Forschungsinstituts für Hochgebirgsphysiologie und Tuberkuloseforschung in Davos berufen, wie das folgende Kapitel zeigt. Mit dem Institut vermochten die Davoser Behörden und Ärzte die höhenphysiologische Forschung im Höhenkurort zu institutionalisieren. Das Institut suchte nach Belegen für die behauptete Heilwirkung des Höhenklimas und veröffentlichte zahlreiche Studien.
Beim dritten Wissenskomplex handelt sich um die sogenannte Bioklimatologie, die im Kapitel über «Licht und Luft des Hochgebirges» behandelt wird: Ab 1900 untersuchten