Название | Heinrich Zschokke 1771-1848 |
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Автор произведения | Werner Ort |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783039198825 |
Zschokke erklärte in der Vorrede zum zweiten Band, er sei missverstanden worden, wenn man in den «Schwarzen Brüdern» versteckte Anspielungen auf Personen oder gar einen Schlüsselroman suche. «Viele denken sich unter den schwarzen Brüdern nichts geringers, als die Herrn Freimäurer, andre wieder einen Orden aus Kagliostros Fabrik; und beide Theile habens doch nicht getroffen!»
Das Buch wurde Zschokkes erster Bestseller, mit drei Auflagen und verschiedenen Raubdrucken bis 1802.103 «Es wird mit Ungestüm gelesen und verschlungen», schrieb Zschokke an Behrendsen.104 Er hatte sich den Ruf eines viel versprechenden jungen Romanciers erworben, der sich dadurch auszeichnete, dass er jedes Jahr zwei bis drei erfolgreiche Bücher zu produzieren in der Lage war. Seine Verleger versahen das Titelblatt seiner nächsten Romane mit dem empfehlenden Zusatz «vom Verfasser der schwarzen Brüder».105 Er hatte seinen ersten (und für viele Jahre einzigen) Roman in voller Länge geschrieben, durchkomponiert und zum Abschluss gebracht, ohne dass viele Fragen offen blieben, und, vor allem wichtig: Sein Buch konnte die Leser bis zum Schluss bei Laune halten.
Dennoch war Zschokke damit nicht zufrieden, vielleicht gerade weil sein Erfolg so gross war. Zeitlebens hatte er ein ambivalentes Verhältnis zu seinen belletristischen Werken, vor allem wenn er spürte, dass sie nur der Unterhaltung wegen gelesen wurden. Er sah sich als Aufklärer und Beweger, nicht als Entertainer. Dieser mentale Vorbehalt war sicherlich ein Grund dafür, dass er sein grosses Talent als Erzähler nie richtig zu schätzen wusste, es nie so pflegte, dass er auch stilistisch zu den gewichtigeren Schriftstellern seiner Zeit hätte aufschliessen können. Nach seinem Abschied aus Deutschland wurde für Zschokke das Erzählen mehr und mehr ein Mittel zum Zweck, Tendenzliteratur, so dass sein Talent immer seltener aufblitzte und schliesslich verkümmerte. Er sah später keinen Sinn mehr darin, dem Eskapismus Vorschub zu leisten. Aber in dieser frühen Periode seines Dichtens lebte Zschokke seine Lust am Fabulieren, Fantasieren und Philosophieren noch ungehemmt aus.
DOKTOR DER PHILOSOPHIE, MAGISTER DER SCHÖNEN KÜNSTE
Es könnte den Anschein haben, dass Zschokkes Studium über dem Dichten nicht vorangekommen sei. Aber er erwog nie, nur noch zu schreiben. Dazu schien ihm die Lage des Schriftstellers zu prekär. Ein Dichter war von der Laune des Publikums und des Literaturmarkts abhängig und seinen Verlegern ausgeliefert. War ein Buch erfolgreich, so konnte man darauf wetten, dass kurz darauf ein Raubdruck erschien. Ein Urheberrecht gab es nicht, auch keine Literaturpreise, die einen Dichter über Wasser halten konnten. In der Öffentlichkeit begegnete man den Schriftstellern mit Misstrauen und Geringschätzung. Sie galten als wenig kreditwürdig. Wie nüchtern Zschokke die Lage des freiberuflichen Schriftstellers einschätzte, zeigt sein Roman «Der Schriftstellerteufel».
Statt sein Studium zurückzustellen oder an den Nagel zu hängen, machte er sich vielmehr daran, es zu beschleunigen. Er besuchte weiterhin theologische Vorlesungen Steinbarts, konzentrierte sich aber stärker auf Philosophie und die schönen Künste, um statt in Theologie in diesen Fächern abzuschliessen. Das ersparte es ihm, sich vertiefte Kenntnisse in Griechisch und Hebräisch erwerben und mit den Religionswächtern des Ministers Woellner herumschlagen zu müssen, die in der lutherischen Fraktion der Viadrina immer noch durch Professor From vertreten waren.
Am 14. Mai 1791 wurde auf Woellners Betreiben und mit Rückgriff auf das Religionsedikt vom 9. Juli 1788 die geistliche Immediat-Examinationskommission geschaffen. Zu ihren Obliegenheiten gehörte die Prüfung der Geistlichen (einschliesslich der Feldprediger) vor ihrer Ordination beziehungsweise Anstellung. Die Pfarrer wurden verpflichtet, im Sinn der Orthodoxie zu predigen. Unter den gegebenen Umständen war es verständlich, dass Zschokke sich einer solchen Kommission nicht stellen wollte. Am 26. Januar 1792, mitten im vierten Studiensemester, wandte sich Zschokke an Dekan Professor Johann Gottlob Schneider (1750–1822) und die anderen Professoren der philosophischen Fakultät mit dem Gesuch, ihn den schriftlichen und mündlichen Prüfungen zur Erteilung eines Doktors der Philosophie und Magisters der freien Künste zu unterziehen. Die beiden Titel waren verschiedene Bezeichnungen für ein und dasselbe,106 wurden an der Viadrina aber selten verliehen, weil nur wenige Studenten ihren Abschluss in Philosophie machten.107 Da zur philosophischen Fakultät die eigentliche Philosophie, aber auch die philologisch-literarischen, historischen, naturwissenschaftlichen und mathematischen Gebiete und als Besonderheit der Viadrina die gut ausgebaute Nationalökonomie gehörten, musste, wer sich in Philosophie prüfen liess, einen Parcours durch alle diese Fächer (mit Ausnahme der Ökonomie) absolvieren.
Zschokke entschuldigte sich bei Schneider, dass seine Kenntnisse in Mathematik nicht ausreichten, um ein examen rigorosum zu bestehen, und bat «um gütige Nachsicht, besonders da ich von dem Werth derselben für die Philosophie zu sehr überzeugt bin, als daß ich auch künftig versäumen sollte, weitere und glüklichere Fortschritte in denselben zu machen».108 Hier waren die Professoren bereit, ein Auge zuzudrücken. Gravierender war Zschokkes Schwäche in den alten Sprachen, die auch hundert Jahre nach Christian Thomasius’ erster Vorlesung auf Deutsch (an der Universität Leipzig) missbilligt wurde. Zschokke gab Schneider unter vier Augen zu (teilte dieser seinen Kollegen mit), dass er in der Latinität ungeübt sei. Damit stellte Zschokke sein Licht unter den Scheffel, denn er konnte sich sehr wohl in Latein ausdrücken. Er kannte Schneiders strenge Massstäbe und wollte sich wohl einer scharfen Beurteilung entziehen, handelte sich aber erst recht Kritik ein. Schneider beanstandete zudem, dass Zschokkes Gesuch nicht auf Latein abgefasst sei. An Zschokkes Stelle würde er sich schämen, rügte auch Professor Huth, in einer solchen Angelegenheit deutsch zu schreiben. Überhaupt habe Zschokke sich noch zu wenig mit ernsthaften Wissenschaften abgegeben, um bereits als Gelehrter gelten zu können. Steinbart bedauerte ebenfalls, dass Zschokke sich für sein Studium nicht mehr Zeit genommen und sein Latein gefestigt habe. Diese Bemerkungen wurden auf Zschokkes Gesuch geschrieben, das unter den Professoren zirkulierte.
Was die Professoren also vor allem störte, war der frühe Anmeldetermin. Sich im vierten Semester reif für ein Magisterexamen zu halten, war stark; es setzte aussergewöhnliches Talent oder besondere Gründe voraus, und beides hatte Zschokke nicht vorzuweisen. Andererseits mussten sich die Professoren bei aller Eitelkeit im Klaren sein, dass sie einem jungen Mann nicht wesentlich mehr bieten konnten, als in vier Semestern zu lernen war. Daran trug die philosophische Fakultät selbst Schuld. Das Studium war nicht richtig strukturiert, und Steinbart fing seine für Anfänger gedachten Veranstaltungen alle zwei Jahre von vorne an. Was aber die sprachlichen Fähigkeiten betraf, so war ihr Erwerb Sache der Studenten und wurde nicht in besonderen Kursen gefördert. Man konnte einen Examinanden nicht gut abweisen, nur weil man vermutete, er sei fachlich ungenügend vorbereitet. Es sollte ja gerade das Ziel der Prüfungen sein, Zschokkes Sattelfestigkeit zu erfahren, namentlich in Latein. In diesem Sinn äusserte sich Professor Hausen, der sich beredt für Zschokke ins Zeug legte. Er gab es als seinen Fehler aus, dass die Eingabe auf Deutsch verfasst war, da er ihm gesagt habe, es komme nicht darauf an. Zschokke habe natürliche Fähigkeiten, sei in Geschichte nicht ungeschickt und habe dank privatem Fleiss seine Zeit an der Universität gut genutzt. Er musste es wissen, war doch Zschokkes Studierstube in seinem Haus an der Forststrasse stets mit Büchern übersät. Nachdem sie ihrer Verärgerung Luft gemacht hatten, lenkten auch die anderen Professoren ein. Professor Wünsch109 war bereit, sein naturwissenschaftliches Prüfungsthema wieder zu streichen, und auch Professor Huth willigte ein, Zschokke wegen seines «bekannten Fleißes und stillen guten Lebenswandels» zu prüfen, und zwar, wie die Kollegen, angesichts der schlechten Vermögenslage des Prüflings, auf dessen Bitte zu einer Gebühr von 24 statt der üblichen 40 Taler.110
Jeder Professor gab ein Thema vor – Steinbart aus der Logik und Huth ein mathematisch-philosophisches –, das Zschokke bis zum 10. März schriftlich zu bearbeiten hatte. Eine Woche darauf fand im Haus von Professor Schneider die mündliche Prüfung statt. Mehr erfahren wir von Carl Günther nicht, was darauf schliessen lässt, dass er in den Archiven von Breslau und Berlin auch nicht mehr fand als die Beurteilung, die er so zusammenfasst: Die Professoren seien nach der Prüfung «noch nicht sonderlich von den Fähigkeiten des Kandidaten entzückt» gewesen.111 Zschokke selber meinte sich nur noch zu erinnern, zwei seiner Examinatoren seien sich in die Haare geraten, «ich glaube der Gnostiker wegen».112