Название | Geist & Leben 4/2019 |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429064303 |
Erneut versuchte der Ausschuss für Ordensangelegenheiten, einen weiteren Hirtenbrief der deutschen Bischöfe zu erreichen: der „Dekalog-Hirtenbrief“ vom Jahre 1943. Doch die Uneinigkeit in der Bischofskonferenz schwelte weiter. Der Entwurf des Dekalog-Hirtenbriefs wurde mehrfach überarbeitet und „entschärft“.
Die gemeinsame wortlautgetreue Verlesung des „Dekalog-Hirtenbriefs“ am 12. September 1943, wie sie im Protokoll der Bischofskonferenz vereinbart war, erfolgte jedoch nicht. Einzelne Bischöfe änderten eigenmächtig den Text oder ließen ganze Passagen weg. Der Dekalog-Hirtenbrief 1943 ist die erste und letzte gemeinsame Verlautbarung des Episkopats, in der sich die Bischöfe explizit zu Anwälten der Menschenrechte machten. Nach Ansicht des Ordensausschusses hatte der Episkopat aber noch lange nicht das Maß dessen ausgeschöpft, was an Protest und Einsatz für die Opfer hätte erfolgreich sein können.
Augustin Rösch und der „Kreisauer Kreis“9
Etwa gleichzeitig mit seiner Tätigkeit im „Ausschuss für Ordensangelegenheiten“ war Rösch bereits in einem anderen Widerstandskreis involviert, nämlich dem sogenannten „Kreisauer Kreis“ des Helmuth James Graf von Moltke. Er bekam seinen Namen vom Familiengut Kreisau des Grafen Moltke im niederschlesischen Kreisau. Ab August 1940 wurde Kreisau zum bevorzugten Ort der Zusammenkünfte. Gezielt wurde der Kreis um fachlich kompetente Mitverschwörer erweitert. Ab 1942 bemühte sich Moltke verstärkt um die Einbindung von kirchlichen Vertretern in den Kreis. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die Kirchen zum offenen Widerstand gegen den NS-Staat nicht bereit waren. Ziel des Kreisauer Kreises war es, den Nationalsozialismus durch ein ethisch begründetes, auf den Menschenrechten beruhendes Staats- und Regierungskonzept zu überwinden. Prägende Grundlage aller Kultur sollte das Christentum sein.
Eher zufällig waren sich Augustin Rösch und Graf Moltke Anfang Oktober 1941, in Berlin begegnet. Moltke fand Rösch auf Anhieb sympathisch und er bekam zusätzliche Informationen über Rösch aus Rom. Wie er am 9. April 1943 in einem Brief an seine Frau Freya formulierte, hielt man Rösch dort für den „stärksten Mann des Katholizismus in Deutschland“.10 Moltke selbst hielt Rösch für „einen unserer besten Leute“ (Brief vom 11. Januar 1943).11 Moltke lud Rösch für Pfingsten 1942 nach Kreisau ein. Zu den nächsten beiden großen Treffen im Oktober 1942 und im Juni 1943 schickte Rösch seinen Mitbruder P. Alfred Delp, einen ausgesprochenen Kenner der katholischen Soziallehre.12
Nach dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 erfolgte Moltkes Verhaftung. Als einziger von den Jesuiten scheint neben P. Delp sein Mitbruder P. Lothar König über das geplante Stauffenberg-Attentat informiert gewesen zu sein. Nach dem 20. Juli 1944 kam in den Verhören durch die Gestapo an den Tag, dass der Kreisauer Kreis einen „Ableger“ in München hatte. Nachdem P. Delp bereits am 28. Juli 1944 verhaftet worden war, tauchten Rösch und König unter. Eine Familie versteckte Rösch auf ihrem Bauernhof östlich von München. Am 11. Januar 1945 wurde Pater Rösch von einem geistlichen Mitbruder verraten und verhaftet. Man brachte ihn ins berüchtigte Gestapogefängnis Lehrter Straße 3 nach Berlin. Rösch sollte offensichtlich, zusammen mit anderen prominenten religiös motivierten Regimegegnern, in einem großen „Kirchenprozess“ angeklagt werden.
Rösch wurde mehrfach gefoltert, war sechs Wochen lang gefesselt, wurde tagelang verhört und geschlagen. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Zu einer Verhandlung gegen Rösch kam es in den letzten Kriegstagen aber nicht mehr. Es gelang ihm, am 25. April 1945 einen regulären Entlassungsschein zu bekommen. Nach einem vierwöchigen Fußmarsch quer durch Deutschland – Augustin Rösch nennt diese Odyssee später die „große Wanderung“ – kam er schließlich am Herz-Jesu-Fest in München an.
Röschs Rückblick auf die NS-Zeit13
In Röschs Erinnerungen an sein Engagement in der NS-Zeit schwingt eine gewisse Enttäuschung über die Reaktion maßgeblicher Persönlichkeiten zu seinem Einsatz mit. Rösch sah sich in der Öffentlichkeit dem weit verbreiteten Vorwurf ausgesetzt, Widerstandskämpfer seien „Landesverräter“ gewesen. Rösch verwahrte zwar die Neuordnungspläne des Kreisauer Kreises, brachte sie aber nicht an die Öffentlichkeit und machte auch nicht öffentlich, welche Rolle er in der ganzen Angelegenheit gespielt hatte. Ebenso wurde seine Rolle, die er im Ausschuss für Ordensangelegenheiten gespielt hatte, nicht öffentlich. Er war sich aber durchaus bewusst, dass diese Dokumente einmal eine große Bedeutung in der Schilderung des geistigen Widerstands gegen das Nazi-System haben könnten. Aber es schien ihm verfrüht, bereits zu seinen Lebzeiten diese Informationen preiszugeben. Wichtig war ihm nur, dass seine Mitarbeit im Widerstand und die Mitarbeit seiner Mitbrüder P. Delp und P. König von kirchlicher Seite abgesegnet war. Nie sei es ihm darum gegangen, sich in „politische Machinationen“ zu verstricken oder sich an Attentatsversuchen gegen Hitler zu beteiligen. Es sei ihm nur um den Kampf mit geistigen Waffen gegangen, so Röschs späteres Resümee. Nach einer kurzen Zeit in der Seelsorge übernahm Pater Augustin Rösch im Jahre 1947 die verantwortungsvolle Tätigkeit des Landes-Caritasdirektors in Bayern.
Am 7. November 1961 starb Augustin Rösch. Die Anwesenheit mehrerer bayerischer Minister und zahlreicher Vertreter des kirchlichen und weltlichen Lebens am Grab bezeugen am Ende seines Lebens seine großen Leistungen nach 1945. Seine Mitbrüder erwähnen in ihren Nachrufen vor allem seine einfache, schlichte Frömmigkeit, die sein ganzes Leben erfüllt hatte. Die Kraft für seinen Widerstand gegen das NS-Regime und für seinen Orden bezog er aus seinem unerschütterlichen Glauben. Sein Kindheitswunsch, einmal Märtyrer zu werden, erfüllte sich nicht. Kurz vor seinem Tod blickte er nochmals auf sein bewegtes Leben zurück und formulierte: „Es gibt viele Arten von Martyrium. Gott gab mir das unblutige.“
1 In: Deutsches Kriminalpolizeiblatt, Jg. 17 (1944), Nr. 4996a vom 30. September 1944
2 Roman Bleistein SJ (1928–2000) hat sich mehrfach mit dem Wirken von P. Augustin Rösch befasst und dessen autobiographische Texte herausgegeben: A. Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus. Hrsg. v. R. Bleistein. Frankfurt/M. 1985; Augustinus Rösch – Leben im Widerstand. Biographie und Dokumente. Hrsg. v. R. Bleistein. Frankfurt/M. 1998; s. jüngst A. Wolfsteiner, „Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“ – Pater Augustin Rösch und sein Kampf gegen den Nationalsozialismus. Regensburg 2018.
3 A. Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus, 18 [s. Anm. 2]
4 Ebd., 21.
5 S. dazu C. Kösters / M. Edward Ruf (Hrsg.), Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung. Freiburg i. Br. 2011; G. v. Norden, Widersetzlichkeit von Christen, in: Lexikon des deutschen Widerstandes. Hrsg. v. W. Benz u. W. H. Pehle. Frankfurt/M. 1994, 68–82; A. Leugers, Forschen und Forschen lassen: Katholische Kontroversen und Debatten zum Verhältnis Kirche und Nationalsozialismus, in: Theologie.Geschichte. Beiheft 2/2010, 89-109; M. Riebling, Die Spione des Papstes. Der Vatikan im Kampf gegen Hitler. München 2015.
6 Zit. n. A. Rösch, Leben im Widerstand, 60 [s. Anm. 2].
7 Siehe R. Mayer, Leben im Widerspruch. Autobiographische Texte. Prozeß vor dem Sondergericht. Reden und Briefe. Hrsg. v. R. Bleistein. Frankfurt/M. 1991; O. Gritschneder, Ich predige weiter. Pater Rupert Mayer und das Dritte Reich. Rosenheim 1987.
8 S. dazu A. Leugers, Gegen eine Mauer bischöflichen Schweigens: Der Ausschuß für Ordensangelegenheiten und seine Widerstandskonzeption 1941 bis 1945. Frankfurt/M. 1996, sowie A. Leugers, Georg Angermaier: 1913–1945. Mainz 1994.
9 Zum Kreisauer Kreis: Dossier Kreisauer Kreis: Dokumente aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus dem Nachlaß von Lothar König SJ. Hrsg. u. kommentiert v. R. Bleistein. Frankfurt/M. 1987; F. v. Moltke, Erinnerungen an Kreisau 1930–1945. München 1997; S. Tempe, Freya von Moltke. Berlin 2011; R. Bleistein, Die Jesuiten im Kreisauer Kreis: Ihre Bedeutung für den Gesamtwiderstand gegen den Nationalsozialismus. Passau 1990.
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