Fromme Industrie. Heinz Nauer

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Название Fromme Industrie
Автор произведения Heinz Nauer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199280



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damit ein Einkommen finden zu können. Noch im selben Jahr entstand ein fünfköpfiges Konsortium, dem Franz Sales B.-Fuchs, der ehemalige Klosterfaktor, und sein Bruder Joseph Karl B.-Fuchs, der Devotionalienhändler, sowie ein Buchsetzer und zwei Buchbinder aus der ehemaligen Klosterdruckerei angehörten. Das Konsortium verkaufte die Bücher aus dem ehemaligen Klosterverlag. Zudem erhielt das Geschäft eine Druckerpresse aus der Klosterdruckerei zugesprochen, die zuvor an den Aargauer Buchdrucker Remigius Sauerländer verkauft worden war. Verlag und Druckerei des Klosters wurden sozusagen «privatisiert» und gingen in die Hände von Dorfbewohnern über, die ihre Chance wahrnahmen, selbst unternehmerisch tätig zu werden.

      Ihr Geschäft beschränkte sich zunächst auf den Nachdruck und den Verkauf der Bücher aus dem Klosterverlag. Ein achtseitiger Bücherkatalog aus dem Jahr 1800 zählte 42 verschiedene Titel auf Deutsch, die alle aus dem Klosterverlag stammten. Neben der populären Einsiedler Chronik, der Benediktsregel und einer lateinischen Grammatik enthielt der Katalog vor allem Gebet-, Pilger- und Andachtsbücher. Einige der Titel, etwa der «Grosse Baumgarten», der «Goldene Himmelsschlüssel» oder das «Himmlische Palmgärtlein», waren sehr populär und wurden noch Jahrzehnte, teilweise bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nachgedruckt.108 Hinzu kamen in den ersten Jahren einige Druckaufträge der helvetischen Verwaltungskammer sowie der Gemeinden in Einsiedeln und Schwyz.109

      Die ersten beiden Jahrzehnte prägten wechselnde Geschäftsverbindungen das Unternehmen. 1818 übernahm Franz Sales B.-Fuchs die Buchdruckerei als alleiniger Besitzer. Der ehemalige Partner Johann Baptist Eberle gründete im selben Jahr eine zweite Druckerei in Einsiedeln, die bis 1832 bestand. Joseph Karl B.-Fuchs übernahm 1818 den Buchverlag, den er mit seinem Devotionaliengeschäft zusammenführte, das er bislang unabhängig vom Buchverlag betrieben hatte. Druckaufträge liess Joseph Karl weiterhin von seinem Bruder Sales und später von dessen Sohn Marianus ausführen. 1833 richteten seine Nachfolger, Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger (1808–1864), erstmals eine eigene Druckerei ein. Mit dem Generationenwechsel um 1830 setzte auch der Aufschwung ein. Das Druckereigeschäft von Franz Sales B.-Fuchs bestand daneben weiter, erlebte aber nie eine grössere Ausdehnung.

      Für diese frühe Phase der Entwicklung des Geschäfts erscheint es besonders wichtig, dass die Familie Benziger im ausgehenden 18. Jahrhundert offensichtlich über gute Kontakte ins Kloster verfügte. Aus den revolutionsartigen Aufständen gegen das Kloster, die vor allem in den 1760er-Jahren verschiedentlich vorkamen, wusste man sich herauszuhalten.110 Wie andere Gewerbetreibende litten die Benziger zwar unter der Monopolstellung des Klosters, schafften es aber, sich gewerbliche Freiräume zu schaffen und schliesslich gar eine geschäftliche Verbindung mit dem Kloster einzugehen. Verschiedentlich unterstützte das Kloster die unternehmerischen Tätigkeiten von Mitgliedern der Familie Benziger auch mit grösseren Krediten.111

      Eine blühende Industrie – die Firma Benziger 1833–1897

      Josef Karl B.-Fuchs und seine Söhne und Nachfolger im Verlagsgeschäft, Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger, betrieben, wie schon die Generationen vor ihnen, mehrere Erwerbszweige nebeneinander. Josef Karl B.-Fuchs gründete 1821 in Einsiedeln zusammen mit Heinrich Wyss die mechanische Baumwollspinnerei «Schöngarn», an der vorübergehend auch seine Söhne beteiligt waren. In den 1830er-Jahren zogen sich die Benzigers aus diesem Geschäft zurück. Josef Karl B.-Meyer betrieb bis in die 1850er-Jahre eine Tabakstampfe bei Einsiedeln sowie ein Wirtshaus in seinem Wohnhaus «Hirschen» am Klosterplatz. Den «Hirschen» wandelte Josef Karl 1853 in ein Geschäftshaus für den Verlag um. Sein Bruder Nikolaus unterrichtete in den 1830er-Jahren Zeichnen und Buchhaltung an der Schule im Dorf, bevor er sich ausschliesslich auf die Tätigkeit im Verlag konzentrierte.112

      In der ersten Phase ihrer Geschäftstätigkeit im 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Verlegerfamilie Benziger also zunehmend auf das Kerngeschäft: den Buchverlag und den Devotionalienhandel, zu denen sich ab den 1830er-Jahren die Druckerei und der Bilderverlag gesellten. In einer zweiten, sich mit der ersten überschneidenden Phase diversifizierten sie innerhalb des Kerngeschäfts stark. Zum Gebetbuchhandel kamen Schulbücher, Zeitschriften und Kalender, der Bilderhandel, später die Belletristik sowie der Handel mit Paramenten und Kirchenornamenten.

      Die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude, der technischen Innovationen sowie der Zahl und Herkunft der Angestellten verschafft uns im Folgenden einen Überblick über das Verlagsgeschäft zwischen dem Generationenwechsel von 1833 und dem Jahr 1897, als der Verlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Die drei Indikatoren sollen uns verschiedene Blickwinkel auf die Unternehmensgeschichte ermöglichen und verschiedene Phasen und Konjunkturen sichtbar machen.

      Geschäftsgebäude sind das «Gesicht eines Unternehmens» und haben repräsentative Zwecke. Als erster Indikator dient uns deshalb die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude. Der Benziger Verlag zeigte in den eigenen Verlagsprodukten regelmässig Ansichten seiner Industrie- und Geschäftsanlagen. Ab 1821 (Ankauf Haus Hirschen) hatte das Unternehmen seinen Sitz in einem repräsentativen Wohnhaus direkt am Klosterplatz. 1834 (Adler) und 1846 (Ochsen) wurden weitere Häuser am Klosterplatz hinzugekauft. Bis in die Jahrhundertmitte war die Firma, inklusive der Druckerei, in diesen Wohnhäusern untergebracht und verfügte nur über bescheidene Platzverhältnisse. 1853/54 bezogen die Buchbinderei, die Setzerei und die Druckerei ein barockes Wohnhaus (Wildmann) in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes, das zu einem Fabrikgebäude umfunktioniert worden war. Im Nekrolog von Nikolaus B.-Benziger I (1808–1864) heisst es zu diesem Fabrikgebäude: «Mit Staunen sieht das Auge an der Stelle des frühern Hauses zum ‹wilden Mann›, einer alten zerfallenen Barake, ein stattliches weitläufiges Fabrikgebäude, das allabendlich wie ein Feenpalast illuminirt ist und aus dessen Innern das schnurrende Geräusch von kunstvollen Werken tönt, die täglich, getrieben von der allmächtigen Kraft des Dampfes, tausend und tausend Druckbogen produziren.»113

      In den folgenden Jahrzehnten wurden weitere Gebäude hinzugekauft (St. Anton, Einsiedlerhof) oder erstellt (Wildfrau, Arche Noah, Phönix, Delphin). Der Verlag errichtete einen kompakten Industriekomplex inmitten des Dorfs und in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes und der dortigen Verkaufs- und Geschäftshäuser. Den Ausbau der Fabrikanlagen übernahmen teilweise renommierte Architekten wie etwa der Zürcher Johann Kaspar Wolff (1818–1891). Konfessionelle Gräben spielten dabei keine Rolle.114

      Die Rückseite eines Verlagskatalogs von 1879 zeigt die Geschäfts- und Fabrikgebäude in einer repräsentativen Ansicht. Zu sehen sind die Buch-, Devotionalien- und Kunsthandlung direkt am Klosterplatz, ein eigenes Gebäude für die Lithographie und für die Kupferdruckerei, Buchbindereien in Einsiedeln, Euthal und Gross sowie im Zentrum die auf mehrere Gebäude verteilte Buchdruckerei mit vorgelagertem Springbrunnen. Geschmückt ist die Ansicht mit vier Medaillen, zwei sind Papst Pius IX. (1846–1878) und dem österreichischen Kaiser Franz Josef gewidmet, die zwei anderen zeigen die allegorischen Darstellungen «Fortschritt» und «Verdienst» (Abb. I.8, S. 193).115 Bis 1892 kamen ein Bilderlager, einige kleinere Ökonomiegebäude an der damaligen Peripherie des Orts sowie ein etwas ausserhalb des Dorfs gelegenes «Kosthaus für junge Angestellte» hinzu.116

      Eine lithographische Postkarte, die der Benziger Verlag um 1900 herstellte, veranschaulicht das Zusammenspiel von industrieller Tätigkeit und Wallfahrt in Einsiedeln (Abb. I.4, S. 189). Der Betrachter der Postkarte blickt von Süden auf den weitläufigen Klosterplatz, auf dem einige Pilger zu sehen sind. Rechts begrenzt die barocke Klosterfassade den Platz, links eine städtisch anmutende Häuserzeile. Zahlreiche Souvenir- und Devotionalienstände flankieren den Platz: Manchmal sind es kaum mehr als einfache Bretterbuden, in denen Händler Bücher, Andachtsbilder, Postkarten, Kerzen, Rosenkränze und weitere Gegenstände anbieten.

      Hinter der Häuserzeile ragt ein Fabrikkamin in den Himmel, der in seiner Höhe beinahe mit den Klostertürmen zu konkurrieren scheint. Hier befanden sich die Produktionsstätten des Benziger Verlags. Der Kamin, den die Firma Benziger 1894 von der Winterthurer Firma Sulzer errichten liess, war, wie sich anhand zeitgenössischer Fotografien feststellen lässt, in Wahrheit weit weniger hoch und dominierte das Dorfbild weniger stark als auf der Postkarte. Der Kamin, aus dem sich auf der Postkarte Rauch emporschlängelt, ist auf der Karte überhöht dargestellt und sollte