Die Badenfahrt. David Hess

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Название Die Badenfahrt
Автор произведения David Hess
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199303



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selbst das, was Merveilleux davon aufgeschnitten hat, unverändert und ganz abdrucken liess, als wenn ich diesen meinen Vorgängern ihre besten Federn weggepflückt, anders zugestutzt und meine Beschreibungen damit verziert hätte. Überhaupt dachte ich bei meiner Arbeit weder an die Gelehrten noch an ein grösseres Publikum. Ursprünglich bloss für meine eigene Belehrung entworfen, war sie auch in der Folge nur für Freunde bestimmt, daher ich durchgehends meiner Laune die Zügel schiessen liess. Weil nun aber gefunden wird, diese Blätter könnten als Zeitvertreib noch vielen andern Leuten dienen, welche sich alle Jahre mehrere Wochen in Baden aufhalten, ohne mit den Eigentümlichkeiten dieses merkwürdigen Thales und mit den vielfältigen wichtigen Ereignissen, welche früher darin stattfanden, näher bekannt zu sein, so gebe ich mein Buch mit allen seinen Weitschweifigkeiten, Absprüngen von der Hauptmaterie, Verbindungsfehlern und Stilnachlässigkeiten ebenso anspruchslos im Druck heraus, wie ich meinen Freunden dasselbe in der Handschrift mitteilte, an der ich umso weniger ändern möchte, als ich mir bewusst bin, überall nur die Wahrheit gesucht zu haben.

      Was hie und da etwas frei gesagt sein mag, kam dennoch immer aus wohlwollendem, arglosem Gemüth und dürfte vielleicht auch längst gewünschte Verbesserungen mit bewirken helfen, welche dem Zeitbedürfnis angemessen wären und wozu sich guter Wille bereits zu regen beginnt. Kleine satirische Ausfälle wird man mir hoffentlich am wenigsten verargen, weil Lustigkeit und Lachen mit zu einer guten Kur gehören. Ein Körnchen Salz würzt jedes Gericht; die Natur selbst bietet uns dasselbe reichlich in Badens sprudelnden Quellen.

      Beckenhof bei Zürich, im Heumonat 1817

      D. H.

DIE BADENFAHRT

      VORBEREITUNGEN

      Es heisst, vor Zeiten habe in Zürich jeder Bräutigam seiner Braut im Ehekontrakt versprechen müssen, sie alle Jahre einmal in die Bäder von Baden zu führen. Es mag etwas an dieser Sage wahr sein. Nach der Reformation waren die Sitten so streng, dass junge Leute beinahe keine andere Gelegenheit fanden, sich recht lustig zu machen als in Baden, wo von jeher die Freude ihren Tempel zu haben schien und wo man sich derselben ungescheut überlassen durfte.

      Die Zeiten haben sich gemildert. Man darf sich auch in Zürich den Genuss geselliger Vergnügungen frei erlauben, Ehekontrakte sind im Allgemeinen nicht mehr üblich; allein man geht doch immer gern und oft nach Baden.

      Der Sommer ist gekommen. Man fühlt das Bedürfnis nach Veränderung, man will von Geschäften ausruhen, man hat sich von einer Winterkrankheit zu erholen. Baden liegt so nahe, man fragt den Arzt, ob die Bäder wohlbekommen könnten? Dieser gibt meistens seine Zustimmung. Er muss oft froh sein, sich hypochondrische Patienten vom Halse schaffen und an die Natur verweisen zu können. Er liest den Wunsch in den Augen der jungen Frau, er will für gern gefällig sein. Ja, ja!, heisst es: Gewiss werden die Bäder wohlbekommen. Die Frau bedarf ihrer ganz besonders. Der Herr wird darin von seinen rheumatischen Schmerzen genesen. Das jüngste Kind hat noch schwache Beine, das Bad wird sie stärken. Der Knabe hat auch schon Anlagen zu Gliederschmerzen, er hat sich jüngst erkältet. Da die Gelegenheit vorhanden ist, muss sie benutzt, er muss auch mitgenommen werden.

      Aber das älteste Mädchen ist so stille. Es ist nicht krank gewesen, es bedarf keiner Stärkung. Was fehlt ihm denn? Es möchte eben auch mit, und sollte das gute Kind allein zu Hause bleiben? Gewiss nicht, es soll auch mitkommen! Und das Mädchen springt hoch auf vor Freude und klopft jubelnd in die Hände.

      Plötzlich erinnert man sich, die Stubenmagd habe seit der letzten Wäsche eine geschwollene Hand. Könnte sie nicht auch baden? Ja, ja, sie soll auch baden. Aber dann kann sie die Herrschaft nicht bedienen? Freilich kann sie’s dann nicht. Man nimmt also auch die Köchin mit, man kann die Köchin nicht entbehren. Und so geschieht es oft, dass am Ende einer solchen Beratung die ganze Haushaltung auf dem Verzeichnis der Reisegesellschaft steht.

      Vor Zeiten pflegte man sich mit Laxieren und Purgieren systematisch auf die Kur vorzubereiten und Manna und Senesblätter mussten notwendig allen Badekandidaten das Bauchgrimmen verursacht haben, bevor sie sich auf die Fahrt zu begeben wagten. Heutzutage nimmt man es damit nicht mehr so genau.

      Es werden Briefe mit den Badwirten gewechselt. Nach vielem Hin- und Herschreiben findet sich endlich das gewünschte Gemach, es ist bestellt. Bis zur Abreise gibt es noch vieles zu ordnen und zu bereiten, und die Kinder sprechen und träumen von nichts als von Baden und von den Herrlichkeiten, die dort auf sie warten.

      Allein je näher der zur Abreise bestimmte Tag heranrückt, desto auffallender zeigt sich die Unmöglichkeit, alles, was mit soll an Menschen und Gerätschaft, in einen einzigen Wagen zusammenzupferchen. Entweder muss man also zwei Wagen mieten, und das kostet viel Geld, oder man benutzt die wohlfeilere Gelegenheit, die sich im Sommer wöchentlich mehrere Male bietet, im Schiff nach Baden zu fahren.

      Ich bin oft dahin gereist, im Wagen, zu Pferd und zu Fuss, aber nie so angenehm, nie so schnell wie im Schiff. Ich rate demnach jeder zahlreichen Gesellschaft, mit allem Gepäck bei günstigem Wetter auf der Limmat1 nach Baden zu fahren, und zwar nicht in einem eigens gemieteten Nachen, wie vornehme Leute etwa hinabzureisen pflegen, die an keine bestimmte Stunde gebunden sein und sich nicht unter allerlei Volk mischen mögen, sondern im öffentlichen Schiff, wo für 16 Schillinge und ein kleines Trinkgeld einsitzen kann, wer will.

      Diese Schiffe sind freilich keine Coches d’eau, keine Treckschuiten, keine Jachten. Es sind lange, schmale, gebrechliche Dinger, auf denen man sich dem reissenden Strome preisgibt. Man heisst sie Weidlinge wegen der Schnelligkeit, mit der sie fortschwimmen.2 Englische Seeoffiziere, welche die Welt umsegelt hatten, weigerten sich oft, ihr Leben an solche drei Bretter zu wagen. Lange Gewohnheit macht den Zürcher kühn; sorglos setzt er sich mit seinen Geliebten ein und vertraut seinen Göttern.

      An verschiedenen Tagen fahren diese Schiffe im Sommer nach Baden. Am meisten aber sind die besetzt, welche am Sonnabend in der Mittagsstunde abgehn. Von der Hitze hat man nichts zu fürchten, auf dem Wasser ist ein ewiges Spiel von kühlen Lüften. Um die Zeit der Zurzachermesse, welche mit der Kurzeit zusammentrifft, ist der Andrang der Reiselustigen beträchtlich. Viele junge Leute wollen über den Sonntag ihre Bekannten im Bad besuchen und dem Staadhofball beiwohnen; sie reisen auch mit dem Schiff. Nebst den vielen Kisten und Ballen und Reisesäcken, die vorn und hinten aufgetürmt werden, finden zwei bis 36 Personen Platz in einem solchen Nachen. An schönen Sonnabenden werden zwei bis drei derselben erfordert, die Leute alle aufzunehmen, welche vor der Wohnung des Schiffmeisters oder an der Landveste unten an der Rosengasse auf die Abfahrt harren.

      Der Schiffsmeister hat Lebensart, er weiss zu unterscheiden. Zuerst schiebt er den Pöbel von Krämern und Juden, die nach Zurzach wollen, dann Bauern, Knechte und Mägde der Badgesellschaften und die simplen Passagiere3 vor, weist ihnen ihre Plätze an, und nur zuletzt fördert er die vornehmen Herren und Damen auf die hintersten Sitze, hinter welchen er gewöhnlich selbst das Steuer führt, von wo aus man die ganze Schiffsgesellschaft übersehen kann und wo man auch bei der Fahrt durch den Kessel weniger von den plätschernden Wellen bespritzt wird.

      Eine Menge Zuschauer steht auf der Landveste. Verwandte und Bekannte der Abfahrenden, Neugierige, die das Gewühl herbeilockt, Vorübergehende, die verweilen, bis das Schiff vom Land stösst. Das Ganze ist bei heiterem Wetter ein buntes, fröhliches, malerisches Schauspiel.

      DIE WASSERFAHRT

      Sowie ein Nachen vollgepfropft ist, wird er umgewendet und gegen den Wollenhof gelenkt. Da ergreift ihn die Gewalt des reissenden Stromes. Die Schiffsleute brauchen nicht zu rudern, sie haben genug zu tun, nur immer genau die Richtung zu beobachten, welche das Fahrzeug nehmen soll, um nicht gegen Pfähle und Mauern zu stossen. Sie sind sehr vorsichtig, und dass sie sich nicht etwa vor der Abfahrt berauschen, dafür hat der Schiffsmeister bei Eid und Pflicht und schwerer Verantwortung zu sorgen.

      Eine reizendere Wasserreise als diese ist kaum denkbar; sie lässt sich im Kleinen mit der Rheinfahrt von Mainz bis Köln vergleichen. Wie ein Pfeil vom Bogen geschnellt, fliegt der leichte Nachen auf blaulichen Wellen dahin. Die Gegenstände wechseln jede Minute; kaum hat man