Название | König Ludwig II speist |
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Автор произведения | Theodor Hierneis |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783830730552 |
Bald nach der ersten Einweisung begann die Warenkunde. Ein älterer Kollege weihte mich in die Geheimnisse der Schränke und Behälter, auch in Art und Qualität des Inhalts ein. Er erklärte mir die verschiedenen Reissorten, von denen er den Karolinenreis als den feinsten hervorhob. Reis darf beim Kochen nicht zerfallen, er müsse immer körnig bleiben und „rollen“, besonders wenn er als Risotto auf den Tisch komme. Und hierzu sei der Karolinenreis der geeignetste. Die Mandeln wieder müssen genau durchsucht werden, ob nicht einzelne bittere dabei sind. Man erkenne das daran, daß sie kleiner und runzelig seien. Ich lernte den Unterschied zwischen Korinthen, Sultaninen und Weinbeeren, die ebenso wie Bohnen, Linsen und gelbe Erbsen immer genau auf kleine Steinchen geprüft werden müßten. Vor dem Kochen müßten sie sauber gewaschen und das Unreine sorgfältig entfernt werden. Ob ich das verstanden habe, wurde ich gefragt, und als ich sehr sicher „ja“ sagte, wurde ich aufgefordert, meine Kunst gleich zu beweisen. Aber man gab mir keine Linsen oder Weinbeerln, sondern eine Tüte Salz zu waschen, das ich eifrig ins lauwarme Wasser schüttete, wo sich dann nicht nur keine Steinchen, sondern zur allgemeinen Erheiterung auch bald darauf kein Salz mehr vorfand.
Ein andermal sollte ich ein Pfund Mehl, das mir der Mundkoch auf das Nudelbrett geschüttet hatte, mit dem Wiegemesser noch feiner schneiden, was ich vergebens versuchte. Die Verlegenheit über solche Niederlagen, die ich anfangs erlitt, tröstete nur die hübsche Vorstellung, meine Nachfolger auch einmal so hereinzulegen. Im übrigen sah ich mich nach Möglichkeit vor. Trotzdem mußte ich noch einmal böse dran glauben!
Es war im alten romantischen Schloß Hohenschwangau, als mich eines Tages eine Küchenfrau in die Spülküche führte und einen Hasen im Balg auf den Tisch warf, mit der Aufforderung des Chefs, ihn gleich sauber zu rupfen! Freilich hatte ich schon öfters Rebhühner oder Schnepfen gerupft – aber einen Hasen? Das war mir neu! Ich plagte mich ordentlich, gut zu arbeiten und den Balg zum Vorschein zu bringen, bis mir die Finger immer weher taten, und ich einfach nicht mehr konnte. Die Zuschauer, die sich allmählich immer zahlreicher in der Spülküche eingefunden hatten, und die das Lachen schon lange kaum mehr hatten verbeißen können, belohnten meinen nutzlosen Eifer dann mit dem schönen Trost eines Stückes Linzertorte, die eben aus dem Backofen gekommen und für die morgige Partie auf den Tegelberg bestimmt war. Damit endeten meine Feuerproben. Erst später erfuhr ich dann, daß sich meine Vorgänger auch nicht geschickter gestellt hatten, und hielt mich an die Devise: „Als Lehrling verlacht, als Meister geacht’.“
DER KÖNIG
Mit dem König selbst war ich noch nicht näher in Berührung gekommen. Natürlich hatte ich mir unbewußt ein Bild von ihm gemacht, und darin hatte alles seinen Platz, was man gesprächsweise über den König hören konnte, auch wenn ich die Zusammenhänge damals noch nicht so verstand. Und eigentlich glaube ich heute, daß sie zu jener Zeit noch niemand so ganz erfassen konnte, weder die hohen Herren Minister, noch die kleinen Küchenjungen.
Ein Name war es, der in allen Diskussionen um den König Vorrang hatte, Richard Wagner natürlich. Die Freundschaft mit dem großen Komponisten, die längst eine Staatsaffäre geworden war, beherrschte auch noch in den achtziger Jahren alle Gemüter: sie gehörte zum Bild des Königs, auch wenn dieser sich äußerlich und vielleicht auch innerlich vom Menschen Wagner distanziert hatte und keinen Kontakt mehr mit ihm hatte. Seinen Werken, deren Aufführungsrechte er ja besaß, blieb er immer nahe, viele Extrafahrten vom Schloß Berg aus, oder wo sich der König sonst befand, zu den Aufführungen im Hoftheater, zeugten davon.
Auch von der liebenswerten Neigung zu seiner Kusine, Kaiserin Elisabeth von Österreich, um die sich manche Legende gebildet hatte, hörte man, von der Begegnung mit Kainz, der dem König den „Tell“ auf dem Rütli zu deklamieren hatte, und natürlich vom Haupt- und Leibthema – der Bauleidenschaft der Majestät, seinen berühmten Königsschlössern.
Gegen viele seiner Handlungen und Entschlüsse wurde ja immer Sturm gelaufen. Nur wenn die Rede auf seine Persönlichkeit kam, war man sich meist einig. Die vielgerühmte Schönheit der Gestalt, die Gewandtheit des Verstandes und der Rede bei einem geradezu phänomenalen Gedächtnis, der erhabene Blick, sein Wesen, schön in der Begeisterung, gemessen in Ernst und Melancholie – seine unnahbare Hoheit, mit einem Wort – all das gehörte zu jenem Bilde vom Herrscher Bayerns, einem Monarchenbild, wie es vollendeter nicht zu träumen war, das Märchenbild vom herrlichen König, das auch mir vertraut war und sich immer tiefer einprägte.
Ich wüßte keinen Vergleich aus unseren Tagen, der das Gefühl veranschaulicht, das mich trug, als ich hörte, ich solle in der Nähe dieser hohen Persönlichkeit arbeiten, für sie mitsorgen dürfen. Küchenangestellter bei einem Staatspräsidenten heute? Man würde sagen: eine gute Stellung. Was für ein mageres Gegenstück zu meinem jugendlichen Empfinden vom Glanz und Schimmer dieser Krone. In ihrem Umkreis sich bewegen zu dürfen, war das Glück!
Dies Glücksgefühl hinderte mich aber nicht daran, mit gesunder Neugier meine Umgebung zu betrachten, und natürlich war auch der König in diese Neugier einbezogen. Das erste, was mir – vom reinen Küchendienst abgesehen – beigebracht wurde, war mein Verhalten der Majestät gegenüber bei einer etwaigen Begegnung. Oberstes Gebot war dabei, den König nicht anzublicken, ja, man durfte gar nicht zu ihm aufsehen, gebückt, den Kopf nach unten, die Arme lang, hatte man zu warten, ob man gewürdigt oder angesprochen wurde. Das kam selten genug vor, und selbstverständlich war es ganz undenkbar, den König von sich aus anzusprechen oder auf etwas hinzuweisen. Ich wußte damals noch nicht, daß die Scheu des Königs vor Menschen und prüfenden Augen diese ehrerbietige Haltung verlangte und nahm dies anfänglich als das Normale hin. Aber das regungslose Verharren in tiefster Verbeugung machte Mühe, und es schien mir überhaupt besser, Begegnungen zunächst zu vermeiden. Ein einziges Mißfallen konnte ja eine Ausstellung zur Folge haben, und als später die Menschenfurcht des Königs sich noch steigerte, war es geraten, daß sich niemand mehr an der Tür, im Vorplatz und sogar von seinem Fenster aus sehen ließ. Wenn dann bei einem plötzlichen Erscheinen des Königs gar kein Entrinnen mehr möglich war, mußte eine Verbeugung, mit den Fingerspitzen bis zu den Schuhen, vor Ungnade retten.
Eine andere Sache beschäftigte mich fast noch nachdrücklicher. Ich wußte natürlich bald, daß der König allein zu speisen pflegte. Trotzdem mußte jeder Gang für vier Personen angerichtet sein. Zuerst nahm ich das als eine der vielen Unverständlichkeiten des Hoflebens hin, dann aber hörte ich, daß den König eine eingebildete Gesellschaft umgibt, daß er sich im Kreise seiner französischen Vorbilder fühlt, der Madame Pompadour, der Maintenon, der Dubarry zutrank und Gespräche mit ihnen führte.
Natürlich dachte ich nicht daran, meinen König im entferntesten für krank oder gar verrückt zu halten – keiner von uns hätte das gewagt, dafür verehrten wir ihn alle viel zu sehr. Wir nahmen eben diese Dinge als eine Art Luxus, und auf der Folie seiner majestätischen Erscheinung, seiner zur Schau getragenen Selbstsicherheit, seiner Prachtliebe und des ihn umgebenden Nimbus’ traten sie nicht mehr als andere herrscherliche Extravaganzen in Erscheinung. Aber immerhin blieb es mir bedenkens- und beachtenswert, und vielleicht spürte ich eben doch den Anhauch aus einer anderen, unverständlichen Welt, die sich nicht allein aus der herrscherlichen Abgerücktheit erklären ließ.
Bildnis des Königs zu der Zeit, in der dieses Buch spielt. Nach der Photographie von Joseph Albert, 1884
Da war es dann beruhigend festzustellen, daß der König auch mit allen realen Nöten des Menschendaseins zu kämpfen hatte, daß er auch Schmerzen leiden mußte. Seinen Zahnarzt z. B. fürchtete er besonders, er schreckte vor der Berührung seines Mundes zurück, und wenn er doch einmal kommen mußte, hatte die ganze Umgebung unter der königlichen