Erinnerungen an die "68er": Damals in Dahlem. Jürgen Dittberner

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Название Erinnerungen an die "68er": Damals in Dahlem
Автор произведения Jürgen Dittberner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783838276052



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Einstellungen aufwiesen. Diese Einstellungen bezogen sich vor allem auf den Staat („Vater Staat“) und waren wohl auch der Grund dafür, dass eine Persönlichkeit wie Konrad Adenauer als Kanzler eine dominante politische Stellung einnehmen konnte.

      Erstaunlich ist, dass das positive Verhältnis zum Staat den Nationalsozialismus überdauert hatte. Dass es den Nationalsozialismus gegeben hatte, ist auch eine Folge eines in Deutschland tief verwurzelten Vertrauens in den Staat, der seine Rolle selbst dann behielt, wenn er zerstörerisch und verbrecherisch agierte. „Staat bleibt Staat!“ – wenn auch die Inhalte radikal wechseln. So konnte beispielsweise für das Berufsbeamtentum eine Kontinuität geschaffen werden, die sich von der Weimarer Republik über den Hitler-Staat bis in die Bundesrepublik fortsetzte.

      Es ist bekannt, dass im angelsächsischen Denken, besonders in den USA, der Staat diese Rolle niemals hatte, sondern eher als mächtiger, oft lästiger, Akteur im Interessenwettstreit zwischen privaten und öffentlichen Ansprüchen erschien. „Uncle Sam“ sorgte nie für Wohl und Wehe der Seinen; er war kein Protektor, sondern ein Fordernder, ein Interventionist.

      Der Hinweis auf das „staatsgläubige“ Denken der deutschen Demokraten sollte nicht als Abwertung einer reifen demokratischen Kultur verstanden werden, sondern als hinnehmbarer Unterschied. Denn es ist eine Gefahr von Analysen politischer Kultur aus US-amerikanischer Sicht, dass „anders“ oft als „weniger entwickelt“ verstanden wird.

      Dass die Bundesrepublik nach 1945 umschalten konnte auf den Zustand einer bürgerlich-demokratischen politischen Kultur, ist nicht primär eine Folge der „Re-Education“-Bemühungen der alliierten Sieger, sondern ein schlichter Rückgriff auf die – allerdings etatistische – politische Kultur der Weimarer Republik. Wieder gegründet wurden die Weimarer Parteien. Die Union (CDU und CSU) rekurrierte auf dem alten Zentrum, der konservativen DNVP und einigen Liberalen. Die SPD erstand erneut, und die FDP knüpfte an die Parteien DDP und DVP an. Der Föderalismus war das A und O des staatlichen Neubeginns. Für seine Repräsentanz wurde die deutsche Bundesrats- und nicht die amerikanische Senatslösung gewählt.

      Zwar waren die Millionen von Mitgliedern der NSDAP 1945 von einem Tag auf den anderen wie in Luft aufgelöst; die NS-Ideen von Führerstaat, die Eroberungslust, die Rassenüberheblichkeit und der Judenhass jedoch steckten weiterhin in vielen Köpfen. Aber diese Einstellungen waren nun tabuisiert. Wo sie hochkamen wie bei der rechtsextremen SRP, bei Teilen der AfD, ging der Staat mit Parteienverboten oder politischen Gegenstrategien vor. Nazireden verstießen gegen den öffentlichen Konsens. Das begriffen die meisten schnell. Im vorpolitischen Alltag aber – in Familienkreisen etwa – waren sie noch gewärtig:

      „Hitler war gar nicht so schlecht; er hätte nur nicht mit den Juden anfangen sollen. – Um die Autobahnen beneidet uns heute die ganze Welt. – Der ‚Ami‘ hätte 1945 mit uns weiter nach Osten gegen den ‚Iwan‘ gehen sollen. – Die Juden waren selbst schuld: Sie haben sich vor 1933 eben zu sehr nach vorne gedrängt.“:

      Solche Reden waren im „privaten Rahmen“ oft zu hören.

      In der offiziellen Politik war dergleichen jedoch verpönt. Die Legitimität des demokratischen politischen Systems in der „Ära Adenauer“ wurde vor allem durch das „Wirtschaftswunder“ fundamentiert. Die durch Krieg und Niederlage ausgezehrten Menschen stürzten sich in die Arbeitsprozesse, schufen materielle Werte wie Lebensmittel, Kühlschränke, Autos und Fernseher, nach denen sie lechzten und die sie so haben wollten wie im bewunderten vermeintlichen Paradies auf Erden: wie in „Amerika“ – wie in den USA.

      Einer von ihnen war auch Rudolf Augstein, Gründer und Herausgeber des „Spiegels“. Er wuchs mit seinem Magazin zum Symbol der zivilen demokratischen Distanz zum allzu oft nur formalen Rechtsstaat der „Ära Adenauer“ heran. Damit lebte Augstein besonders der studentischen Jugend zu Beginn des 60er Jahre eine an den Menschenrechten orientierte demokratische Kultur vor. In die gleiche Richtung gingen Wirkungen der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichtes wie im Falle des „Fernsehurteils“ vom 28. Februar 1961, das ein von Konrad Adenauer gewolltes kommerzielles Staatsfernsehen („Deutschland Fernsehen GmbH“) stoppte. Stattdessen nahm am 1. April 1963 neben dem von der „ARD“ („Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“) ausgestrahlten Fernsehen eine zweite öffentlich-rechtliche Anstalt, das „ZDF“ („Zweites Deutsches Fernsehen“), Sendebetrieb auf.

      Rudolf Augstein wurde zum Helden der Hörsäle der Bundesrepublik. „Rudi“ war für die studentische Generation das Idol der Zeit. Durch ihn war deutlich geworden, dass die formal-demokratischen Strukturen des Staates in der Ära Adenauer inhaltlich angereichert werden müssten durch ein materielles Verständnis von Demokratie als Verhaltensnorm der Bürger und des gesamten Staatsapparates. So führte ein direkter Weg von der „Spiegel“-Affäre hin zur Regierungserklärung des 1969 gewählten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt, der seine innenpolitischen Ambitionen auf die Formel brachte: „Mehr Demokratie wagen“.