Название | Fremde und Fremdsein in der Antike |
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Автор произведения | Holger Sonnabend |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843806756 |
»Italien ist nicht so heruntergekommen, dass es seiner Hauptstadt nicht selbst einen Senat zur Verfügung stellen könne.«
»Früher sind die verwandten Völker mit geborenen Römern zufrieden gewesen, und man braucht sich der alten Republik doch nicht zu schämen.«
»Sogar jetzt noch wird an die Vorbilder erinnert, die entsprechend der alten Sitte römisches Wesen, um Tapferkeit und Ruhm bemüht, geschaffen haben.«
»Erfreuen sollen sich die Gallier an der Bezeichnung ›Bürger‹. Die Insignien der Senatoren und die Ehrenzeichen der hohen Beamten dürfen sie nicht zum Gemeingut machen.«
Was sagt der Kaiser zu diesen Argumenten? Der Kaiser merkt: Es gibt kein wirkliches sachliches Argument. Wir brauchen sie nicht, heißt es von den Kritikern, und: Das haben wir noch nie so gemacht. Die Senatoren aus Italien fürchten offenbar die Konkurrenz und ihre politischen Privilegien. Sie berufen sich auf eine abstrakte, aber zentrale römische Institution, den mos maiorum, die »Sitte der Vorfahren«. Was früher richtig war, kann heute nicht falsch sein.
Der Kaiser, dem die Gegner diese Argumente vortragen, heißt Claudius. Seit sieben Jahren im Amt, ist er als Nachfolger des berüchtigten Caligula bemüht, einen soliden, sachlichen Regierungsstil zu pflegen. Was er den versammelten Senatoren sagt, wissen wir ganz genau – dank einer Inschrift mit dem Text der Rede, die sich in Lyon, dem antiken Lugdunum, befindet und die von den glücklichen Galliern aufgestellt wurde, um die Ausführungen des Kaisers für alle Zeiten zu dokumentieren (Corpus Inscriptionum Latinarum 13,1668). Der Kaiser ergreift das Wort. Auch er spricht von der Vergangenheit, deutet sie aber ganz anders. Verschnörkelt und holprig im Stil, wie es seine Art ist, aber in der Sache unmissverständlich führt er aus:
»Ich bitte euch, daran zu denken, wie viele Neuerungen in dieser Stadt eingeführt wurden.
Einstmals hatten Könige diese Stadt in ihrem Besitz. Es gelang ihnen jedoch nicht, die Herrschaft über sie Nachfolgern aus ihrem Haus zu übertragen. Fremde traten an ihre Stelle und sogar Ausländer, sodass Numa, der aus dem Sabinerland kam, auf Romulus folgte. Er war uns zwar benachbart, aber war damals ein Mann von auswärts. […]
Sicher führte man einen neuen Brauch ein, als der vergöttlichte Augustus, mein Großonkel, und mein Onkel Tiberius Caesar den Willen äußerten, die gesamte Blüte der Kolonien und Landstädte von überall her, das heißt die besten und wohlhabendsten Männer, sollte in diesem Senat einen Sitz erhalten. […]
Wie? Ist uns nicht ein Senator aus Italien lieber als einer aus den Provinzen? … Meiner Ansicht nach darf man nicht einmal Menschen aus den Provinzen zurückweisen, sofern sie nur das Ansehen der Kurie erhöhen können. […]
Wenn jemand bei den Galliern auf den Umstand schaut, dass sie dem vergöttlichten Iulius Caesar in einem zehnjährigen Krieg zu schaffen machten, dann möge er zugleich ihre 100-jährige unerschütterliche Treue dem entgegenstellen und ihren Gehorsam, der in vielen Krisen von uns mehr erprobt worden ist.«
Die Lehre, die wir aus der Vergangenheit ziehen müssen, lautet nach Ansicht des Kaisers: Fremde haben für Rom zu allen Zeiten Gutes bewirkt. Er führt große Namen ins Feld, als Zeugen dafür, dass Rom schon immer offen für fremde Menschen war: Romulus, den mythischen Stadtgründer und ersten König von Rom; Numa (Pompilius), den zweiten König von Rom; Augustus, den ersten römischen Kaiser; Tiberius Caesar, den zweiten Kaiser.
Die Worte des Kaisers geben den Ausschlag. Die Mehrheit der Senatoren beschließt, dass die fremden Gallier Spitzenämter bekleiden und in den Senat von Rom aufgenommen werden dürfen. Zwar sind nicht alle, die zustimmen, wirklich überzeugt. Aber es kann der eigenen Karriere nichts schaden, dem Kaiser einen Gefallen zu erweisen.
Die Argumente der Skeptiker hat der römische Historiker Tacitus in einem Standardwerk zur Geschichte der frühen römischen Kaiserzeit überliefert (Annalen 11,23). An gleicher Stelle (24–25) präsentiert er die inschriftlich erhaltene Rede des Kaisers Claudius in einer etwas freieren Bearbeitung und legt ihm dabei eine noch fremdenfreundlichere Haltung in den Mund, als sie der Kaiser ohnehin schon hatte:
»Meine Vorfahren, deren ältester, Clausus, ein geborener Sabiner, zugleich in die Bürgerschaft Roms und unter die Familien der Patrizier aufgenommen worden ist, mahnen mich, nach den gleichen Grundsätzen bei der Staatsführung zu verfahren, indem ich hierherhole, was sich irgendwo hervorgetan hat.
Was anderes wurde den Spartanern und Athenern trotz ihrer militärischen Übermacht zum Verhängnis, dass sie Besiegte, weil sie fremdstämmig waren, ausgrenzten? […]
Da besaß doch der Gründer unseres Staates, Romulus, so viel Weisheit, dass er die Mehrzahl der Volksstämme am selben Tag als Feinde und dann als Bürger behandelte. […]
Fremde haben über uns geherrscht. Den Söhnen Freigelassener Staatsämter zu übertragen, ist nicht, wie sehr viele meinen, etwas Neues, sondern war schon früher beim Volk üblich. […]
Da die Gallier schon durch Sitten, Bildung und Verschwägerung mit uns vermischt sind, mögen sie ihr Gold und ihre Schätze lieber hierher zu uns bringen als für sich allein zu behalten. […]
Alles, Senatoren, was man heute für uralt hält, ist einmal neu gewesen. […] Einbürgern wird sich auch die jetzige Regelung, und was wir heute durch Vorbilder verteidigen, wird einst zu den Vorbildern gehören.«
Die Aufnahme der Gallier in den römischen Senat ist ein markantes Beispiel für eine positive Einstellung gegenüber Fremden in der Antike. Die Gegner der Aufnahme waren Vertreter der einheimischen Eliten, die durch den Eintritt von Fremden in die politischen Führungszirkel um ihre Macht und ihre Privilegien fürchteten. Sie hatten aber keine Chance, ihre Wünsche durchzusetzen. Kaiser Claudius als oberste Autorität entschied anders. Er hatte keine humanitären Motive. Ihm ging es um den Nutzenaspekt. Er schätzte das wirtschaftliche und politische Potenzial der Fremden. Und er hoffte, in den Fremden Verbündete zu finden, weil sie ihm zu Dank verpflichtet waren. Sie konnten ihm das mitunter schwierige Geschäft des Regierens erleichtern, wenn sie sich im Senat für ihn einsetzten. Der historische Berichterstatter Tacitus, sonst nicht unbedingt ein Freund von Fremden, argumentierte nicht staatspolitisch, sondern in eigener Sache. Seine Familie stammte wahrscheinlich aus Gallien, und er war zu einer späteren Zeit selbst Mitglied des römischen Senats. Die Haltung des Kaisers Claudius bedeutete für ihn eine Unterstützung und Legitimierung der eigenen politischen Position.
Seine positive Haltung gegenüber Fremden brachte Claudius viel Kritik ein, auch später noch, nach seinem Tod, wie eine eigenartige Quelle aus der Regierungszeit seines Nachfolgers Nero dokumentiert. Sie stammt aus der Feder Senecas, Neros einflussreichem Berater, der dank dieser Tätigkeit im direkten Umfeld der Macht Millionär wurde und in der Attitüde des stoischen Philosophen seine nicht ganz so begüterten Zeitgenossen für die Idee zu begeistern versuchte, das höchste Glück in Genügsamkeit und Askese zu sehen. Ein paar Monate nach Neros Herrschaftsantritt 54 n. Chr. veröffentlichte Seneca eine Satire mit dem Titel Apocolocyntosis. In dieser genialen Verballhornung der Praxis, römische Kaiser nach ihrem Tod durch die Apotheose, die Entrückung zu den Göttern, zu ehren (der Titel bedeutet »Verkürbissung«), hat sich der verstorbene Kaiser Claudius vor den himmlischen Göttern zu verantworten. Doch zunächst muss die Seele den Körper verlassen, sie findet aber keinen Ausgang. Schuld daran ist die Schicksalsgöttin Clotho. Sie möchte dem Kaiser noch etwas Zeit geben, »bis er auch noch die paar Leutchen, die übrig geblieben sind, mit dem Bürgerrecht beschenkt hätte«. Erklärend sagt der Erzähler an dieser Stelle: »Claudius hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, alle Griechen, Gallier, Spanier, Britannier in der Toga zu sehen.« Clotho fährt fort: »Aber da nun laut Beschluss noch