Wassergeld. Harald Schneider

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Название Wassergeld
Автор произведения Harald Schneider
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839234921



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einem Nebenweg festzustecken schien. Eine Person, eingehüllt in einen fledermausartigen Regenumhang, machte sich an einem der Vorderräder zu schaffen.

      Gerhard parkte am Straßenrand, um die Rettungs- und Evakuierungskräfte nicht zu behindern. Bevor wir ausstiegen, schaltete er das Warnblinklicht ein. Unsere Neugier wurde sofort bestraft. Bereits mit dem ersten Schritt auf den nicht befestigten Nebenweg sanken wir knöcheltief ein. Die Situation erinnerte mich an den Schlamm im Rheingönheimer Wildschweingehege, in dem wir im Sommer einen toten Erntehelfer fanden. Die unbekannte Person im Fledermaus­cape war dabei, Fußmatten unter die Vorderräder zu legen, um ein Durchdrehen der Antriebsachse zu vermeiden. Sie bemerkte uns erst, als wir unmittelbar vor ihr standen. Mit der Taschenlampe, die ich aus Gerhards Dienstwagen mitgenommen hatte, leuchtete ich in das wild zuckende Gesicht von Doktor Metzger. Ausgerechnet hier musste uns dieser Notarzt über den Weg laufen.

      »Was soll das?«, maulte er uns an. Seine langen feuerroten Haare fielen seitlich aus dem Regenumhang. »Nehmen Sie die Lampe weg, Sie blenden mich.«

      »Guten Abend, Herr Doktor Metzger. Was machen Sie denn hier?«

      Metzger schaute mich verwirrt von oben bis unten an. »Ach, Sie sind’s, Herr Palzki. Kommen Sie gerade von einem Kostümfest? Ich habe Sie noch nie in einem Anzug gesehen. Denken Sie, dass dies das richtige Outfit bei dieser Witterung ist?« Er stimmte in sein mir hinlänglich bekanntes Frankensteinlachen ein. »Was ist eigentlich da drüben los?« Er zeigte in Richtung Marx’scher Weiher, der allerdings von unserem Standort aus nicht zu sehen war. »Zuerst diese Explosionen, dann jede Menge Feuerwehr und der THW, jetzt sogar Sie. Ist mal wieder jemand über die Wupper gegangen? Ich meine natürlich über den Rhein!« Wieder dieses unmenschliche Lachen.

      »Welche Explosionen?«, riefen Gerhard und ich fast synchron.

      »Woher soll ich das wissen? Das ist schon fast zwei Stunden her. Erst dachte ich an ein Feuerwerk. Aber um diese Jahreszeit in dieser Gegend?«

      »Was ist genau passiert?«

      »Es hat halt gekracht. Mensch, Palzki, irgendetwas hat da fürchterlich geknallt. Zweimal, dreimal, keine Ahnung. Ich konnte nicht nachschauen gehen, ich hatte noch einen Kunden.«

      Einen Kunden? Ich erschrak. Mit Kunden meinte Doktor Metzger üblicherweise Patienten. Ich vermutete eher Selbstmordkandidaten.

      »Wo waren Sie, als Sie diese Explosionen gehört haben?«

      »Na hier, in meiner mobilen Klinik. Bei dem Sauwetter gehe ich doch nicht freiwillig nach draußen.«

      Ich starrte das Reisemobil an. »Wie nannten Sie das? Eine mobile Klinik?«

      »Ja, ja«, nickte Metzger eifrig. »Wussten Sie nicht, dass ich hier wohne und arbeite?«

      »Wie bitte? Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass Sie hier Ihren Hauptwohnsitz haben und Ihre sogenannten kleinen Operationen in diesem Gefährt durchführen.«

      »Doch, Herr Palzki, Sie haben es schon richtig verstanden. Ist selbstverständlich alles legal. Auch ein Gewerbe habe ich angemeldet. ›Mobile Gesundheitsberatung und Prophylaxe – Doktor Metzger‹. Die Geschäfte laufen gut. Selbst im Winter bin ich so gut wie ausgebucht. Auf dem Campingplatz gibt es immer etwas zu tun. Von kleinen Messerstechereien über Blinddarm bis zum Bypass. Das volle Programm eben.«

      Ich musste unbeschreiblich dämlich aus der Wäsche geschaut haben. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Sie in diesem Wohnmobil als Arzt praktizieren? Dafür gibt’s doch mit Sicherheit keine Genehmigung!«

      »Na ja, wie man es nimmt, Herr Palzki. Eine stationäre Arztpraxis würde hier mit Sicherheit nicht genehmigt werden. Meine mobile Gesundheitsberatung ist eine Marktlücke. Und eine Gesetzeslücke zugleich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Sie wohnen doch in Schifferstadt im Neubaugebiet. Versuchen Sie dort einmal, eine Baugenehmigung für eine kleine Holzhütte zu bekommen. Das ist fast aussichtslos. Und wenn Sie es dennoch versuchen wollen, dann müssen Sie mithilfe eines Architekten einen förmlichen Bauantrag stellen, selbstverständlich mit Statik und Pipapo. Wenn Sie auf Ihr Grundstück aber einen Bauwagen stellen und ihn als Gartenhaus nutzen, brauchen Sie nichts dergleichen, solange Sie die Räder dranlassen. Dann ist es keine Immobilie, sondern ein Fahrzeug. Genauso ist es hier. Meine mobile Gesundheitsberatung ist genehmigt. Wenn mein Reisemobil an 360 Tagen im Jahr auf meiner Parzelle des Campingplatzes steht, ist das folglich in Ordnung. Ich kann ja, wenn ich will, jederzeit wegfahren. Somit ist das durchaus gesetzeskonform.«

      Das war unglaublich harter Tobak für mich. »Sie haben tatsächlich eine Erlaubnis, in Ihrem Fahrzeug Operationen durchzuführen?«

      Ich bemerkte, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte. Metzger wandte sich und war verlegen. Schließlich antwortete er: »Ich muss zugeben, manches lege ich durchaus individuell aus. Prophylaxe bedeutet für mich auch so etwas wie Vorbeugung gegen den Tod. Daher sehe ich Operationen als legitime Prophylaxe an. Als ehemals zugelassener Arzt darf ich selbstverständlich in Notfällen operieren. Alles andere wäre ja unterlassene Hilfeleistung. Bisher ging es in den meisten Fällen übrigens gut aus.« Und wieder das eklige Lachen.

      Ich konnte es nicht fassen. Während mir das eben Gehörte durch den Kopf ging, erkundigte sich mein Kollege Gerhard: »Herr Doktor Metzger, wohin sind Sie eigentlich unterwegs? Die Evakuierung betrifft nur die sich hier aufhaltenden Menschen, Wohnwagen dürfen nicht mitgenommen werden.«

      »Welche Evakuierung?«, fragte der Notarzt erstaunt. »Davon ist mir nichts bekannt. Ich habe einen Termin in Speyer bei einem Stammkunden, der von einer Leiter gefallen ist. Soll nichts Dramatisches sein, aber dummerweise bin ich in das Schlammloch reingefahren. Bei jedem Hochwasser die gleiche Scheiße. Das Grundwasser drückt nach oben und alles wird matschig. Ich überlege schon länger, meine Parzelle zurückzugeben und mich woanders niederzulassen. Und da bin ich nicht der Einzige auf diesem Platz, über 700 Stellplätze sind bereits unbesetzt. Sogar ein paar Bauern aus der Umgebung wollen ihr Gelände verkaufen, Angebote haben sie schon vorliegen. Wenn Sie mich fragen, würde ich das genauso machen, jetzt, nachdem der Polder gebaut wird. Irgendwann ist das alles ein riesengroßer See.« Metzger schimpfte noch ein Weilchen weiter, bevor ihm ein anderer Gedanke kam. »Äh, Sie haben von einer Evakuierung gesprochen. Klären Sie mich mal auf. Was ist denn passiert? Hat es mit den Explosionen zu tun?«

      »Das könnte gut sein«, antwortete ich. »Der Deich ist an mehreren Stellen gerissen. Im Moment läuft der Marx’sche Weiher voll und wir rechnen damit, dass danach dieser Campingplatz dran ist.«

      »Scheiße!«, schrie Metzger. »Mensch, gehen Sie mal zur Seite, ich muss mit meinem Reisemobil auf die Straße.«

      Das hätten wir besser sein lassen. Der Arzt setzte sich hinter das Lenkrad und gab vorsichtig Gas. Gerhard und ich betrachteten die Befreiungsversuche von einer Seite des Wohnmobils aus. Es kam, wie es kommen musste. Die Vorderräder ruckelten über die Fußmatten, um danach erneut in den schlammigen Untergrund zu rutschen. Dreckfontänen spritzten uns entgegen und sauten uns, und was noch schlimmer war, unsere Anzüge ein. Auweia, das würde Ärger mit Stefanie geben. Doktor Metzger drückte gefühllos das Gaspedal nieder, was normalerweise ein tieferes Einsinken zur Folge gehabt hätte. Er hatte Glück. Unter dem Schlamm, der zum Großteil auf uns niedergegangen war, befand sich fester Untergrund. Metzgers Wohnmobil machte einen erneuten Satz und befand sich wieder auf dem Weg. Hupend und durch das Seitenfenster winkend fuhr er davon. Zwei Päckchen Taschentücher für unsere Säuberung waren alles, was Gerhard in seinem Dienstwagen fand.

      Inzwischen war der Graupel wieder in Regen übergegangen. Im Schritttempo fuhren wir weiter in Richtung Altrip. Wir waren nicht mehr allein. Einige Streifen- und Krankenwagen waren während unseres Gesprächs mit Doktor Metzger auf der Kreisstraße vorbeigefahren und kurvten jetzt wahrscheinlich auf dem weiträumigen Campingplatz herum. Ich konnte mir gut vorstellen, dass bei diesem Morast nicht alle Fahrzeuge problemlos zur Straße zurückfinden würden.

      Da der lang gezogene Marx’sche Weiher nur wenige Baumreihen vom rechten Straßenrand aus entfernt lag, konnte ich sein Ende gut erkennen. Etwa 200 Meter weiter knickte rechts die Rheinauen­straße ab. Sie führte um die kurze Seite des Weihers und mündete als Rampe für kleine Boote direkt im Wasser