Von der Erziehung zur Einfühlung. Naomi Aldort

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Название Von der Erziehung zur Einfühlung
Автор произведения Naomi Aldort
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783867813389



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Aufmerksamkeit von sich selbst und Ihrem inneren Monolog ab und Ihrem Kind zu.

      L – Lauschen Sie auf das, was Ihr Kind sagt oder worauf sein Verhalten hindeuten kann; dann hören Sie noch weiter zu. Halten Sie Augenkontakt mit Ihrem Kind und stellen Sie Fragen, die ihm Gelegenheit geben, noch mehr zu sagen, oder wenn sich das Kind nonverbal ausdrückt, die es wissen lassen, dass Sie es verstehen.

      V – Äußern Sie Verständnis und Wertschätzung für die Gefühle Ihres Kindes und die Bedürfnisse, die es ausdrückt, ohne zu dramatisieren und ohne Ihre eigene Wahrnehmung hinzuzufügen. Lauschen und Verständnis sind die Zutaten von Liebe (lv). Wenn Ihnen dies gelingt, schaffen Sie eine Verbindung zu Ihrem Kind und fühlen sich präsent und sich selbst gegenüber authentisch.

      E – Ermutigen, bestärken Sie Ihr Kind, seinen eigenen Kummer zu bewältigen, indem Sie ihm freie Bahn lassen und ihm vertrauen. Zeigen Sie Zuversicht, dass es sich zu helfen wissen wird, indem Sie sich nicht aufregen und nicht versuchen, alles schnell in Ordnung zu bringen. Kinder bringen selbst ihre Bitten, Lösungen und Ideen vor, wenn sie wissen, dass man ihnen vertraut, und wenn sie sich fähig und frei von elterlichen Erwartungen oder Emotionen fühlen. Emotionen behindern die Fähigkeit, kraftvoll zu handeln. Sobald diese Gefühle ausgedrückt sind, gewinnt das Kind wieder Freiheit und Durchblick und lässt entweder seinen Wunsch fallen oder entwickelt eine Lösung. Auf schnelle, natürliche Weise wird Ihr Kind das tun, was Sie bei Ihrer Selbsterforschung getan haben.

       Der neunjährige Clint weinte, weil seine Schwester Joy das Monopolyspiel mit ihm nicht zu Ende spielen wollte. „Ich will das Spiel zu Ende spielen. Ich war so nah dran zu gewinnen!“, schrie er.

       Ella, die Mutter der beiden, hätte beinahe „Gerechtigkeit“ durchgesetzt, doch dann nahm sie sich Zeit, ihre persönliche Reaktion vom Streit ihrer Kinder abzusondern und ein stummes Selbstgespräch in ihrem Kopf zu führen (S von S.A.L. V.E.). Sie stellte sich vor, wie sie Joy anschreien, sie als rücksichtslos und gemein bezeichnen und ihr befehlen würde, das Spiel zu Ende zu spielen. Dann prüfte sie diese Gedanken und wurde sich darüber klar, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen; ihre Tochter war überhaupt nicht gemein, und ihre Fähigkeit, sich zu behaupten, war etwas Gutes. Daraufhin konnte sie den Gedanken hinter sich lassen und die nächsten Schritte tun: Clint (A) Aufmerksamkeit zu schenken und (L) zu lauschen, ihm zuzuhören.

       „Du warst also schon ganz aufgeregt, weil du die Chance zu gewinnen hattest. Bist du enttäuscht, dass du das Spiel nicht zu Ende spielen konntest?“ „Ich bin stinksauer. Ich will das Spiel zu Ende spielen“, beharrte Clint. „Ich weiß, du willst das Spiel zu Ende spielen, aber Joy will nicht.“

       „Ich war so nah dran zu gewinnen, und deshalb hat sie aufgehört“, sagte Clint.

      Ella bekundete weiterhin Verständnis und Wertschätzung und lauschte ihrem Sohn, änderte jedoch nicht die Realität für Clint. Sie ermutigte, bestärkte ihn, indem sie sich nicht einmischte und seine Realität nicht „in Ordnung brachte“. Damit drückte sie aus: „Ich höre dich, ich sehe kein Problem, und ich weiß, dass du damit umgehen kannst.“

       Nach einer Weile war er fertig und fing über etwas anderes zu sprechen an. Das, was Clint zu sagen hatte, wurde gehört. Er fühlte sich mit seiner Mutter, die Verständnis und Wertschätzung für seine Gefühle bekundete und die Fakten gemäß seiner Wahrnehmung wiederholte, verbunden. Sie fügte keine Dramatik hinzu; sie mischte ihre eigenen Gefühle oder Ansichten nicht dazu. Ihr Vertrauen und ihre verlässliche Gegenwart ermöglichten es Clint, nach vorne zu blicken.

      Wenn man sagt, dass jemand traurig, verärgert oder enttäuscht ist, versteht das ein jüngeres Kind vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Junge Kinder fühlen sich am ehesten bestätigt, wenn Tatsachen wahrgenommen werden. Bei einer Telefonberatung schilderte mir eine Mutter die Erfahrung, die sie mit ihrer Tochter im Schwimmbad gemacht hatte.

       Orna (5) kam aus dem Schwimmbecken und weinte verzweifelt, weil sie länger dableiben wollte. Das Schwimmbad würde gleich schließen. Ihre Mutter Donna zog sie an, um das Gebäude zu verlassen. Während sie Orna anzog, spiegelte Donna die Erfahrung ihres Kindes, indem sie die Tatsachen beschrieb:

       „Du spielst so gern im Wasser. Wolltest du noch viel länger spielen?“ Orna antwortete: „Ja, ich wollte noch mehr hüpfen.“

       Donna fuhr fort: „Ich weiß. Du wolltest noch nicht aus dem Wasser raus, und man hat uns gesagt, wir müssten raus.“

       Orna hörte auf zu weinen und sagte: „Ich bin so gern im Schwimmbad.“ „Ja“, sagte Donna, „und du magst es nicht, wenn du aus dem Wasser raus musst.“

       „Mama“, erwiderte eine ruhige Orna, „es macht mir jetzt nichts mehr aus. Ich will nach Hause gehen.“

      Donna beschrieb nur die Tatsachen, und Orna konnte problemlos einen Bezug dazu herstellen und fühlte sich bei ihrer Mutter zufrieden. Von sich aus klammern sich Kinder nicht an schmerzlichen Gefühlen fest. Sie blicken kraftvoll nach vorne, weil sie keinen Berg von Geschichten um jedes Gefühl herum haben. Vermeiden Sie es, ihnen beizubringen, sich in Selbstmitleid zu ergehen, wie Erwachsene es oft tun. Erwachsene hören manchmal gar nicht damit auf und versuchen, ein Schuldgefühl beim anderen zu erzeugen, oder sie geben sogar der Kultur oder der Regierung die Schuld. Derartige Gewohnheiten wollen Sie Ihrem Kind sicher nicht beibringen. Bekunden Sie Wertschätzung, erwarten Sie jedoch von Ihrem Kind, den Blick nach vorne zu wenden und seine Gefühle nicht allzu ernst zu nehmen; und lernen Sie von Ihrem Kind. Emotionen sind etwas, was man herauslassen kann, wie Schweiß oder Stuhlgang. Emotionen müssen wahrgenommen werden, damit sie einem nicht im Weg stehen, genau wie Schweiß abgewaschen werden muss. Sobald das Bedürfnis des Kindes, verstanden zu werden, befriedigt ist, wird es den Blick nach vorne wenden. Seine Fähigkeit, nach vorne zu blicken, wird auch verhindern, dass es sich an der Episode festklammert und eine Geschichte daraus macht, die seine Einstellung für den Rest seines Lebens negativ beeinflusst.

      Manchmal kann das Bekunden von Wertschätzung in den Augen des Kindes seine Privatsphäre und Autonomie verletzen. Ein Kind kann Ihre anteilnehmenden Worte als Beleidigung auffassen, wenn es wegen etwas, das Sie getan oder gesagt haben, verärgert oder unglücklich ist; auch kann es sein, dass ein Kind das Bekunden von Wertschätzung unabhängig vom Grund seines Ärgers ablehnt. Ihr Kind braucht die Freiheit zu entscheiden, ob es seine Gefühle offen legen will oder nicht.

      Vielleicht will es gar nicht, dass man erwähnt, dass es wütend oder traurig ist. Im Wesentlichen sagt das Kind: „Wenn ich unglücklich bin, lass mich, aber sag mir nicht, dass du mich siehst.“ Wenn ein Kind ein solches Bedürfnis nach stummem Zuhören hat, ist ihm wahrscheinlich jedes Wort, das wir sagen, unangenehm:

       Die fünfjährige Amber baut einen Turm. Der Turm fällt um, und sie ärgert sich. Da kommt ihre Großmutter ins Zimmer und spiegelt: „Oh, ärgerst du dich? Wünschst du, der Turm wäre nicht umgefallen?“

       Amber wirft die noch stehenden Bauklötze um und schreit: „Sag nichts!!!“ Die Großmutter sitzt still da und erkennt ihren Fehler.

       Amber wirft sich auf den Boden und schiebt die Bauklötze wütend hin und her. Sie brüllt: „Blöde Bauklötze, blöder Fußboden, blöde Amber!“ Sie wirft noch mehr Bauklötze durch das ganze Zimmer. Die Großmutter schweigt, ist aber präsent, und Amber reagiert auf ihre Aufmerksamkeit, indem sie sich ganz ausdrückt. Als sie fertig ist, steht sie auf, sammelt die Bauklötze ein und baut ruhig einen Turm.

      Schweigen heißt nicht Gleichgültigkeit. Schenken Sie dem Kind Ihre volle Aufmerksamkeit, aber erwähnen Sie es nicht. Es ist dem Kind auch unangenehm, wenn seine Gefühle erwähnt werden, wenn es verlegen ist oder Angst hat. In solchen Fällen können Sie entweder nichts sagen und aufmerksam bleiben oder das Kind