Nibelungenweg. Rainer Schöffl

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Название Nibelungenweg
Автор произведения Rainer Schöffl
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783937881287



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Gebäude in Deutschland, als Folge des staatlichen Konjunkturpaketes. Der Hügel, auf dem Liedberg liegt, war schon bei den Römern bekannt, denn sie bauten hier Quarzit ab.

      Bei leichtem Nieselregen mache ich einen Umweg über das Haus Fürth, welches ein sehenswertes Wasserschloss sein soll. Was ich dort aber vorfinde, ist geradezu ein Märchenschloss! Ich darf zwar nicht den Schlosshof betreten, denn hier ist Privatbesitz, aber ein Schild erlaubt ausdrücklich, über die Wiese des gepflegten Parks zu gehen, um so das Schlösschen aus Backsteinen und Fachwerk besser betrachten zu können. Es ist die letzte im Rheinland erhaltene, in Fachwerk errichtete Wasserburg, die auf der Toreinfahrt schlicht als »Wasserumwehrter Gutshof aus dem 15. bis 17. Jahrhundert« bezeichnet wird. Ich bin trotz Nibelungenwanderung kein Mittelalterfan, aber in diesem Wasserschlösschen möchte ich gerne einmal wohnen.

      Das nächste Wasserschloss auf meinem Weg ist Schloss Dyck, eine wuchtige Anlage mit neunhundertjähriger Geschichte. Aus der einst einfachen Befestigungsanlage ist heute ein Zentrum für Gartenkunst und Landschaftskultur geworden – das eigentliche Schloss ist leider teilweise eingerüstet. Dafür bekomme ich im Besucherbistro Kaffee und Kuchen und kann mir Gedanken über meinen geschwollenen, schmerzenden rechten Fuß machen. Vielleicht sind die Wanderschuhe, die ich für diese Tour gewählt hatte doch nicht gut geeignet. Daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern und so gehe ich weiter nach Grevenbroich, das sich »Bundeshauptstadt der Energie« nennt. Hier liegen einige der riesigen Kraftwerke des rheinischen Braunkohlereviers, deren Kühltürme ich schon von weitem sehen konnte. Standesgemäß ziert den Ortseingang ein großes Laufrad einer Dampfturbine. Zum Verweilen lädt der Ort nicht gerade ein und so gehe ich weiter, auf Fuß- und Radwegen und, so will es mir erscheinen, stundenlang an einem Aluminiumwerk entlang. Da sehe ich einen Jungen zu einer Bushaltestelle eilen. Weil ich heute schon 23 Kilometer gegangen bin und keine Übernachtungsmöglichkeit sehe, gehe ich auch schnell zur Haltestelle, und wenige Minuten später sitze ich im Bus nach Rommerskirchen. Ich ärgere mich etwas, als der Bus nach nur etwa einem Kilometer an einem großen Landhotel vorbei fährt – bis dahin hätte ich ja noch locker gehen können! In Rommerskirchen frage ich einen Taxifahrer nach Hotels. Er erwähnt als Erstes dieses Landhotel, meint aber, das sei immer ausgebucht durch die vielen Monteure, die in den Kraftwerken arbeiten. Mein Ärger verfliegt und ich mache mich gemeinsam mit dem Taxifahrer auf Hotelsuche, die bald von Erfolg gekrönt ist. Nach meiner Ankunft in Hotels oder Gasthäusern spule ich inzwischen immer die gleiche Prozedur ab:

      Duschen,

      Hinlegen und die Beine ausstrecken oder vorher noch die Sehenswürdigkeiten des Ortes aufsuchen,

      Abendessen so spät wie möglich, um den Abend zu verkürzen,

      Frühstücken, in der Regel zwischen sechs und sieben Uhr

      Abmarsch deshalb zwischen sieben und acht Uhr

      Meinen Rucksack packe ich schon vor dem Frühstück, sodass ich immer schnell abmarschbereit bin. Tagsüber esse ich nichts, sofern ich nicht zufällig an einem Café vorbeikomme. Mein Trinkvorrat besteht lediglich aus knapp einem halben Liter Leitungswasser. Das erscheint wenig, aber ich bin daran gewöhnt und gehe davon aus, meine Trinkflasche bei Bedarf nachfüllen zu können (was sich schon früh als Irrtum erweisen sollte). Der Vorteil ist, dass ich nicht so viel tragen muss.

      Der Weiterweg nach Köln verläuft zwischen Feldern, mit ständigem Blick auf die Kraftwerke und auf Hügel, die etwa zweihundert Meter hoch sind und hier nicht mehr »Berg« sondern »Höhe« heißen. Zu Siegfrieds und Kriemhilds Zeit gab es diese »Höhen« noch nicht, denn es handelt sich um Abraumhalden des Braunkohletagebaus.

      Bald schon sehe ich in der Ferne die Türme des Kölner Doms und die Windmühle von Stommeln. Und dann taucht der Kirchturm von Brauweiler auf.

      Brauweiler liegt gewissermaßen schon vor den Toren Kölns. Die Nikolauskirche, die ich schon von weitem gesehen hatte, gilt als einer der »bedeutendsten Bauten der rheinmaasländischen Romanik«. Die danebengelegene ehemalige Benediktinerabtei muss sich nicht dahinter verstecken, wurde sie doch bereits 1024 gegründet. Mit ihrer Auflösung unter Napoleon begann eine wechselvolle Geschichte als Bettleranstalt, Arbeitsanstalt, KZ und Gestapogefängnis und psychiatrisches Landeskrankenhaus. Heute ist sie Sitz verschiedener Landesbehörden. Unbeeindruckt davon wuchert im Abteipark seit angeblich mehr als tausend Jahren ein Maulbeerbaum. Mir waren Maulbeerbäume bislang nur als Futter für Seidenraupen bekannt, aber dieser Baum ist wohl nur wegen seiner Früchte angebaut worden. Bei dem Wort »Baum« erwartet man eigentlich ein Gewächs mit einem ordentlichen, aufrechten Stamm, aber nicht so der Brauweiler Maulbeerbaum: schlangenartig kriecht sein Stamm nahe am Boden. Es hat für mich fast den Anschein, als wäre der ihn umgebende Metallzaun nur dazu da, ihn daran zu hindern, von Brauweiler fortzukriechen. Zu meinem Leidwesen hindert mich dieser Zaun daran, den Stamm zu berühren. So wie andere Menschen das Bedürfnis haben Tiere zu streicheln, habe ich das Verlangen, besondere Bäume anzufassen. Paolo Coelho beschreibt in seinem Buch Auf dem Jakobsweg, dass ausgewachsene Bäume imstande sind, Harmonie auf den Menschen zu übertragen. Er lehnte sich deshalb erschöpft mit nacktem Oberkörper an einen Baum und fühlte sich schon nach wenigen Minuten besser. Das musste ich natürlich auch einmal ausprobieren. Geeignetes Versuchsobjekt war vor einigen Jahren eine etwa dreitausend Jahre alte Zypresse im tiefsten Süden Algeriens. Das Ergebnis meines Experiments waren verständnisloses Kopfschütteln der Reisegruppe und ein heftiger Juckreiz am Rücken. Mehr war nicht. Aber vielleicht befand ich mich mental nicht auf der richtigen Ebene. Daheim hat ein Versuch mit einer alten Fichte zu einem besseren Ergebnis geführt.

      Ich mache es mir gegenüber der Abtei in einem Eiscafé gemütlich und rufe bei meiner Tochter in Köln an, um mich abholen zu lassen. Ich hätte auch den Vorortbus nehmen können, aber als Vater kann ich auch einmal Ansprüche stellen, und sei es nur eine kurze Fahrt nach Köln.

      Als Siegfried und Kriemhild nach Köln kamen, war die Römerherrschaft am Rhein bereits beendet, lediglich Köln war noch so etwas wie eine römische Enklave. Aber auch nicht so richtig, denn seit Mitte des 4. Jahrhunderts wechselten sich Franken und Römer in der Stadtherrschaft ab. Es war möglicherweise diese wechselhafte Geschichte, die den Kölschen Klüngel hervorbrachte, den Konrad Adenauer sehr präzise definierte: »Mer kennt sisch, mer hilft sisch.« Egal welche Partei gerade das Sagen hat.

      Anfang des 5. Jahrhunderts gab es in Köln bereits Märtyrerkirchen, eine davon die der Heiligen Ursula. Zu Siegfrieds und Kriemhilds Zeit aber waren es erst elf Jungfrauen, die zusammen mit Ursula den Märtyrertod erlitten hatten. Erst später wurde daraus die unvorstellbare Zahl von Elftausend Jungfrauen, als deren Mörder man im Laufe der Jahrhunderte die Hunnen und sogar Attila (Etzel) persönlich verantwortlich machte. Zwar waren weder die Hunnen und schon gar nicht Attila jemals in Köln, aber für ein derartiges Massaker gaben sie die idealen Sündenböcke ab.

      Mit der inflationären Zunahme der Zahl der getöteten Jungfrauen, deren Gedenktag der 21. Oktober ist, stieg auch deren Verehrung in den katholischen Ländern Europas. Als Magellan 1520 in Südamerika die Einfahrt zu der später nach ihm benannten Meeresstraße erreichte, schrieb man gerade den 21. Oktober. Deshalb gab Magellan der dort gelegenen Landzunge den Namen »Cabo Virgenes«, also »Kap der Jungfrauen«. So wurden die elftausend Kölner Jungfrauen zu Namenspatroninnen eines einsamen Kaps im fernen Feuerland.

      Siegfried und Kriemhild haben Köln wegen der hier herrschenden, unklaren Machtverhältnisse vielleicht gar nicht betreten, sondern sind westlich davon vorbei geritten. Dort, wo heute der Ortsteil Weiden ist, in den auch ich komme. Dabei haben die beiden möglicherweise einige Kilometer vor dem Westtor Kölns die Reste eines römischen Gutshofes gesehen, von dem heute noch eines der kuriosesten römischen Bodendenkmäler erhalten ist: die Grabkammer von Weiden. Kurios wegen der Art und Weise, wie man hineinkommt. Ich klingle am Haus Aachener Straße 1328, und gegen den Eintrittspreis von einem Euro wird mir der Zugang zur Grabkammer aufgeschlossen (mein dringender Rat: aktuelle Öffnungszeiten im Internet nachsehen). Ich steige hinab in den düsteren Raum, der Verkehrslärm verebbt und ich bin allein mit den Seelen verstorbener Römer, den Marmorbüsten, den Steinsesseln und dem wuchtigen Sarkophag aus Marmor. Alles noch original! Als Weintrinker gefällt mir besonders die Kelterszene an der Vorderseite des Sarkophags, auf der drei Eroten in einem Trog