Название | Sepp Kerschbaumer |
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Автор произведения | Josef Fontana |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788872838051 |
Der Polizei war wichtig, dass er keine Schwierigkeiten machte und die vorgeschriebene Ordnung einhielt. Da bestand bei Sepp Kerschbaumer keine Gefahr. Er war verlässlich und pünktlich wie eine Uhr. Vom Staat erhielt er ein Tagegeld, von dem er Kost und Unterkunft bestreiten musste. Er lebte so sparsam und genügsam, dass er sich noch ein paar Lire auf die Seite legen konnte. Doch einmal geht, um mit Kerschbaumer zu reden, „auch die schönste Zeit“ vorbei. Im August 1935 hielt das italienische Militär in Südtirol große Manöver ab. Zu diesem Anlass berief Mussolini eine Sitzung des Ministerrats nach Bozen ein. Um dem Ganzen einen schönen Abschluss zu geben, begnadigte er mit einem Federstrich 50 verbannte Südtiroler. Und so konnte auch Sepp Kerschbaumer im Herbst 1935 nach Südtirol zurückkehren.6
Gründung eines eigenen Hausstandes
Nach seiner Rückkehr aus der Verbannung konnte Sepp Kerschbaumer endlich das Geschäft in Frangart von seinem Vormund übernehmen. Sein Stand als Vollwaise legte ihm nahe, so bald wie möglich eine Familie zu gründen. Bereits in der Bibel heißt es, dass es nicht gut sei, dass der Mensch allein sei. Und die Bibel nahm Kerschbaumer schon als junger Mann ernst. Aber auch politische Überlegungen dürften ihm diesen Entschluss nahegelegt haben. Die Verbannungsgeschichte hatte deutlich genug gezeigt, dass man von einem Tag auf den anderen aus dem Arbeitsleben herausgerissen werden konnte.
Sepp Kerschbaumer als Klarinettist der Musikkapelle Frangart um 1934. Zweite Reihe von oben, fünfter von links
Ob sich dann wieder sofort jemand fand, der einsprang, war erst die Frage. Es sprach also alles dafür, ans Heiraten zu denken. Seine Wahl schien schon seit längerer Zeit festgestanden zu sein: Maria Spitaler aus Frangart wollte er zum Traualtar führen. Der Vater der Braut, Franz Spitaler, hatte gegen das Ehevorhaben an sich nichts einzuwenden, wäre da nur nicht diese Konfinierungsgeschichte gewesen. Franz Spitaler hatte das Ereignis wie einen Schuss vor den Bug aufgefasst. Das Familienschiff seiner Tochter sah er bei den heftigen politischen Leidenschaften seines zukünftigen Schwiegersohnes und den Zeiten voller Ungewissheiten großen Gefahren ausgesetzt. Deshalb verlangte er von ihm, dass er Haus und Geschäft noch vor der Hochzeit auf seine Tochter überschreibe, ansonsten könne er sein Einverständnis zu dieser Ehe nicht geben. Sepp Kerschbaumer ist dieser Verzicht wohl nicht schwergefallen.7 Denn zum Ersten wusste er den Besitz bei seiner Frau in guten Händen, und zum Zweiten lag ihm als franziskanischem Menschen nicht viel an irdischen Gütern. Nur eine kleine Obstwiese, die er Jahre später kaufte, behielt er für sich. Die war sein buen retiro, wenn die Politik oder sonstige Ereignisse ihn um die Ruhe brachten. Wahrscheinlich hing er deshalb so an diesem Grundstück, weil es ihm harte Arbeit abverlangte, bis er dort anpflanzen konnte. Ursprünglich ein Schilffeld (Strebmoos), musste er den Grund erst entwässern und „aufbessern“, damit er etwas abwarf. Mit Pickel und Schaufel zog er Gräben, füllte die Gräben mit Schotter auf und deckte das Ganze mit einer dicken Schicht Erde zu.8
Sepp Kerschbaumer mit Freunden am Tonalepass, um 1930
Sepp Kerschbaumer mit einem Freund vor dem Petersdom in Rom im Zuge einer Radtour Anfang der 1930er-Jahre
Sepp Kerschbaumer als stolzer Familienvater
Zur Heirat kam es am 29. April 1936. In der jungen Ehe stellte sich bald auch schon der Kindersegen ein. 1937 kam Seppl auf die Welt, 1939 Marialuisa, 1940 Mali, 1942 Helga, 1948 Franz und 1956 Christl. Sechs an der Zahl wurden es innerhalb von zwanzig Jahren.
Die Kriegszeit 1939 bis 1945
1939: Gehen oder bleiben?
Die Zeitläufte brachten es mit sich, dass die junge Familie Kerschbaumer schon bald – wie mehr oder weniger alle Familien in Südtirol – schweren Stürmen ausgesetzt wurde. Bekanntlich wollten Mussolini und Hitler das Südtirol-Problem ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Etwas drastisch, aber durchaus angemessen ausgedrückt, sollte das Land an Etsch und Eisack als Schmiere für die Achse Rom–Berlin dienen. Das Abkommen vom 23. Juni 1939 stellte die Südtiroler vor eine grausame Alternative: Verbleib bei Italien und damit Verlust der Nationalität und möglicherweise Umsiedlung nach Süditalien oder gar nach Afrika oder Auswanderung nach Deutschland und damit Erhalt des Volkstums. „Hinaus oder hinunter“, „Germania o Abissinia“ lauteten die Schlagworte, die damals die Menschen um den Schlaf brachten und die Geister entzweiten. Niemand konnte sich einer Entscheidung entziehen. Denn auch eine Nichtoption galt als Option, nämlich als Option für die Beibehaltung der italienischen Staatsbürgerschaft. Leider finden sich keine Briefe, privaten Aufzeichnungen oder amtlichen Dokumente, die es ermöglichten, Kerschbaumers Drama aus der Optionszeit genauer nachzuzeichnen. Man ist hier gänzlich auf mündliche Auskünfte und Überlieferungen angewiesen. Laut Aussage seines Schwiegersohnes Peter Kerschbaumer9 sei Sepp Kerschbaumer in dieser Zeit ein „recht heftiger Hitlerschreier“ gewesen, er habe unbedingt auswandern wollen. Auch seine Frau weiß zu berichten, dass Sepp Kerschbaumer für das Auswandern Propaganda gemacht und viele Familien unterstützt hat, die ausgewandert sind. „Selbst sind wir aber nicht gegangen, da hab ich ihm nicht mitgetan.“ Ihr sei es auch gelungen, seinen Antrag um vordringliche Auswanderung zu blockieren,