Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

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Название Highcliffe Moon - Seelenflüsterer
Автор произведения Susanne Stelzner
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957446015



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Lage waren, in unserer eher konservativen Region einen Auffahrunfall zu verursachen. Bei einigen mit abstrakten Mustern und Formen bedruckten, schwindelerregenden Teilen zeigte ich jedoch ganz offen meine Ablehnung.

      Denkst du auch gerade an mich?

      »Hey!« Das Fashion Victim war in ein weiteres ein Verkehrschaos verursachendes Kleid geschlüpft und holte mich mit energischem Weckruf abrupt in die Realität zurück. »Was sagst du zu dem hier?«

      »Gleicher Kommentar«, sagte ich schulterzuckend. »Es steht dir super, gar keine Frage. Vielleicht etwas schrill, aber für London passt es vielleicht.« Es war mir so egal in diesem Moment.

      »Ja, ist wahrscheinlich nur was für London«, murmelte sie.

      Die nächsten Teile waren noch furchtbarer. Ich sagte es ihr nun doch nachdrücklich, weil ich es als meine Pflicht ansah, sie vor üblen Geschmacksverirrungen zu retten, denn der Hang zu schrägen Klamotten war das einzige Erbgut ihrer Mutter, das leider hin und wieder mal gnadenlos durchschlug. Trotzdem entstand vor der Kabine ein kleiner Stapel. Wie meistens, würde sie einen Teil der Anschaffungen später bereuen.

      Ich bediente mich am Wasserspender neben mir und blätterte in einem Interieur-Magazin, ohne etwas davon aufzunehmen. Ohne zu zögern, hätte ich mit der nächsten Bahn hinterherfahren sollen. Vielleicht ist er ausgestiegen und hat gewartet, sagte ich mir und fühlte mich dabei noch deprimierter. Ich würde es nie erfahren. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb musste es mir gelingen, sein Bild abzuschütteln.

      »Los, Val, du musst unbedingt auch noch etwas finden«, versuchte Charlie mich zu animieren, was eher den Verdacht in mir schürte, sie wollte mich von den Kabinen weglocken, um einige der grenzwertigen Teile an mir vorbei zur Kasse zu schmuggeln.

      Ich wälzte mich aus dem tiefen Sitz. »Ich kann ja noch mal gucken«, meinte ich und warf den Pappbecher in einen schwarzlackierten keilförmigen Abfalleimer. Aus dem Augenwinkel sah ich Charlie mit einem Arm voller Klamotten zur Kasse hechten.

      Zwei Tüten schwenkend, kam sie mir kurz darauf entgegen. »Jetzt brauche ich einen Kaffee. Aber Lunch fällt aus. Die Kleider saßen ganz schön eng.«

      »Gute Idee«, murmelte ich.

      »Was? Dass ich auf den Lunch verzichte?« Ihre Augen funkelten lauernd.

      »Nein. Ich meine den Kaffee.«

      Das von Charlie ausgewählte Café erinnerte mich ein wenig an die Brasserie, die ich immer mit Dad besucht hatte, wenn ich bei ihm in Paris war. An den mit Stuck verzierten Decken hingen große, antike Lampen aus marmoriertem Glas, die ein warmes Licht auf die mit dunkelrotem Lederimitat bezogenen Sitzbänke abstrahlten. Die Rückenlehnen aller Sitzelemente waren zu den Durchgängen hin mit glänzenden Messingstangen verziert. Riesige Spiegel an der Rückwand des mit Säulen verzierten Tresens und auf den viereckigen Stützpfeilern im Raum ließen das Lokal doppelt so groß erscheinen, als es war. Überall standen große, bauchige Vasen mit langen Gladiolen in allen Farben. Um zu dem letzten freien, winzigen Tisch am Fenster zu gelangen, mussten wir über zahlreiche Füße steigen. Ich bestellte Kaffee und Wasser, während Charlie die Beute in den Einkaufstüten einer kritischen Nachkontrolle unterzog. Von stylish bis gruselig war alles dabei.

      »Val, du musst mich auch mal bremsen«, maulte sie mit einem reuigen Blick auf ein besonders übles Exemplar.

      Aha. Ich schmunzelte gequält. Das ging schneller, als ich dachte. Aber dass ich dafür zur Rechenschaft gezogen wurde, ging zu weit. »Entschuldige mal«, tat ich entrüstet, »das da«, und ich zeigte mit spitzem Finger auf das Ungetüm, »hast du mir ja nicht mal vorgeführt.«

      »Weil ich schon wusste, was du sagen würdest«, schmollte sie.

      »Eben. Und über das hier«, ich zeigte auf eine schwarz-weiße Augenbeleidigung ersten Ranges, »hatte ich dir deutlich meine ehrliche Meinung gesagt.«

      »Ich wollte es unbedingt. Es ist einmalig«, verteidigte sie das Shirt und betrachtete es von allen Seiten, als würde der Fetzen dann schöner werden.

      Zwei wie Banker aussehende Männer am Nachbartisch, die sich neugierig umgedreht hatten, wandten sich nun mit blinzelnden Augen ab, als wären sie geblendet worden.

      »Schade um das Geld«, grummelte Charlie und ich nickte beipflichtend. Dann mussten wir beide schallend lachen. Es war sehr befreiend. Der Klammergriff um mein Herz lockerte sich etwas. Während sie glucksend die Teile wieder zusammenfaltete und in den Tüten verstaute, empfand ich ein wärmendes Gefühl, den wundervollen Trost ihrer Freundschaft.

      »Wir sollten noch mal im Dezember herkommen, wenn die Weihnachtsbeleuchtung angebracht ist. Das soll unheimlich toll sein«, meinte Charlie nun mit einem spitzbübischen Lächeln.

      Ich zögerte mit der Antwort. Nichts wäre mir lieber gewesen, da mir der Gedanke an unsere Abreise Magenschmerzen verursachte. Aber ich würde das Geld dafür nicht haben. »Ja«, seufzte ich, »ist sicher romantisch. Wolltest du das nicht mit Tobey machen?«

      Gedankenvoll blickte sie aus dem Fenster. »Schon, ja, sicher.« Ihr Brustkorb hob sich, als sie tief einatmete. »Mal sehen, wie sich alles entwickelt.«

      Besorgt schaute ich sie an.

      Sie fing meinen fragenden Blick auf, lächelte augenblicklich und warf ihre Haare nach hinten. »Keine Tobey-Analysen heute. Da tun sich nämlich Abgründe auf«, meinte sie und zog dabei die rechte Braue über ihren blitzenden blaugrauen Augen weit nach oben, um mir zu verdeutlichen, dass es nicht so ernst gemeint war. Sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der es schaffte, die beiden Hälften der Gesichtsmuskulatur unabhängig voneinander zu bewegen.

      Ich blieb skeptisch. »Du weißt, du kannst immer alles bei mir loswerden.«

      »Ja, das weiß ich, und das ist lieb von dir, aber ich hab nur rumgeflachst. Es ist alles okay.« Wie zur Bestätigung setzte sie ein strahlendes Lächeln auf.

      »Na gut«, sagte ich und leerte meine Tasse in einem Zug. »Wollen wir dann gehen? Ich möchte unbedingt noch mal in den Central Park und auf einen Haselnusskaffee ins Boathouse. Keira hat davon geschwärmt. Vielleicht können wir uns auch ein Ruderboot mieten, was meinst du?«

      »Perfekt«, bestätigte Charlie.

      Das Knarren der Holzruder in den eisernen Dollen durchschnitt die Ruhe, als das klobige Boot, durch unsere Muskelkraft bewegt, erstaunlich elegant über das spiegelglatte Wasser des großen Sees glitt. Ich fühlte mich so weit weg von der Stadt, als wären wir aufs Land gefahren. Der Central Park hatte die Eigenschaft, den Verkehrslärm schon nach wenigen zurückgelegten Schritten komplett zu verschlucken, wie ich verwundert bemerkt hatte. Es war ein unglaublich friedlicher Fleck in dieser turbulenten Stadt.

      Einmal glaubte ich unvermittelt, die verschwommene Spiegelung eines Gesichtes auf der Wasseroberfläche zu sehen, doch im nächsten Moment verwischte mein eintauchendes Ruder das Bild. Wir arbeiteten uns zur Mitte des Sees vor und ließen uns dann einfach eine Weile treiben. Charlie legte sich quer über die Bank und schaute in den blauen Himmel, während ich die Umgebung mit den Augen abtastete in der verrückten Hoffnung, das einzige Gesicht zu erspähen, das ich sehnsüchtig herbeiwünschte. Als wir fast mit einem anderen Boot kollidierten, dessen Insassen genauso unaufmerksam und verträumt dahintrieben, setzten wir wieder unsere Ruder ein, um am sicheren Land den von Keira hochgelobten Haselnuss-Cappuccino auf der Terrasse des Boathouses einzunehmen.

      Schließlich wurde es Zeit, an Abschied zu denken. Mein Magen rebellierte dagegen, aber es half nichts. Widerstrebend ging ich neben Charlie in Richtung Parkausgang, als sie plötzlich über eine nervige Begleiterscheinung des Cappuccino- und Wasserkonsums stöhnte. »Mist, wäre ich doch vorhin noch mal zum Klo gegangen«, ärgerte sie sich. »Okay, ich suche kurz die Keramikabteilung auf und du wartest hier auf mich, ja? Rühr dich nicht von der Stelle. Und lass dich nicht anquatschen«, grinste sie breit, eine Augenbraue zweimal hintereinander kurz hochschiebend.

      »Kommt drauf an«, sagte ich wahrheitsgemäß.

      Sie hatte mir schon ihre Einkaufstaschen vor die Füße gestellt und ihr welliges, blondes Haar wippte auf ihren Schultern