Mitternachtsnotar. Bettina Kerwien

Читать онлайн.
Название Mitternachtsnotar
Автор произведения Bettina Kerwien
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783955522346



Скачать книгу

hat ein lila Büro, in dem auch noch phosphoreszierende Sternbilder an der Decke kleben.

      Eine Möglichkeit wäre, auf Zeit zu spielen. Wenn Sanders das Büro zwanzig Jahre nicht renovieren und stattdessen Zigarren rauchen würde, könnte sich der Raum so dunkelbraun verfärben wie bei Liebling Kreuzberg, wo selbst die Nachwuchssekretärinnen schon einen Oberlippenbart tragen. Erfahrung schafft Vertrauen. Aber dieses Intime, Heimelige ist nicht Sanders’ Stil. Im Kopf verwandelt er das Büro bereits in etwas Weißes, Leeres, dem Geist eines japanischen Zenmeisters nicht Unähnliches.

      Ein bisschen Farbe und eine Menge Desinfektionsmittel also, dann werden diese Räume ihren Zweck erfüllen. Sanders sieht in Gedanken schon den neuen Schriftzug an der Glastür kleben, seriös und kraftvoll wie ein Heilsversprechen: Martin Sanders – Private Ermittlungen. Aber dann kommt ihm in den Sinn, dass ein solcher oder ähnlicher Schriftzug mit diesem oder jenem Namen bereits an so vielen Glastüren überall auf der Welt in irgendwelchen dunklen Seitenstraßen klebt. Vielleicht würde er doch lieber etwas Moderneres schreiben: Martin Sanders Consulting. Laden Sie Ihren ganzen Dreck bei mir ab. Ein Hauch von Prätention, dafür ganzheitlich.

      Sanders geht um den Schreibtisch herum und schaut aus dem Fenster. Er hat nicht viel übrig für dieses feuchte Wetter. Sein Nasenrücken schmerzt an den alten Bruchstellen. Seit er sich auf einem dunklen Weddinger Hinterhof für ein paar Euro die Stunde plus Spesen die Nase hat brechen lassen, sieht Sanders nicht mehr allzu gut aus. Eher wie ein melancholischer Auftragskiller in einem alten französischen Film, eine Menschenmaschine unter einer Hülle aus Haut. Beruflich ist das von Vorteil. Ein Detektiv sollte unauffällig und kühl wirken, stets Herr der Lage und stets Herr seiner selbst.

      Er zieht ein Taschentuch aus der Jacke, wischt den Fensterriegel ab und kippt das Fenster an. Der Lärm auf der Beusselstraße schaltet sich ein wie ein vertrautes Radioprogramm. Es ist Frühling, und das Licht ist zurück in der Stadt. Hellgrün fällt es rechts und links der Straße auf die dürren Straßenbäume, die Spielkasinos, die Gründerzeithäuser mit ihrem abgeschlagenen Fassadenstuck, die Universalshops und Telecafés. Die »Europa«-Pizzeria hat bereits ein paar verwitterte Stühle auf den Bürgersteig gestellt, und schon wird dort gesessen, sich im Schritt gekratzt und palavert.

      Die Beusselstraße ist der böse Clown unter Berlins Straßen, sie kichert, während sie dir an die Kehle geht mit ihrem Milieudruck, ihrem Menschengewinsel und ihrem Ozongestank. Sie ist ein Paradies für Perspektivkrüppel wie Sanders, und es gibt jede Menge Kundschaft für ihn. Aber er muss seinen Stundensatz überdenken. Denn der Beusselstraße ist es egal, ob ein Detektiv sein Büro hier oder in El Paso aufmacht. Vielleicht könnte er seine Dienste als Hilfe zum Lebensunterhalt deklarieren. Viele würden ihn als eine Art Grundsicherung ansehen: Hilfe, wenn niemand sonst hilft.

      Sanders wischt den Schreibtischstuhl ab und setzt sich. Es ist mehr als fünf Jahre her, dass er hinter einem Schreibtisch mit einem Besucherstuhl davor gesessen hat. Bevor er deshalb sentimental werden kann, klappert die Jalousie erneut. Pawel Krawczyk schiebt seinen massigen Körper und seinen Gorillaschädel herein. In seinen Melonenhänden hält er zwei verbeulte Pappbecher, die aussehen, als wären sie zu heiß gewaschen worden. Eine Aura aus Kaffeegeruch, mit Alkohol abgetönt, umgibt den Vermieter. Er lässt sich auf den Besucherstuhl fallen und stellt die Becher zwischen Sanders und sich auf den Tisch.

      »Begrüßungskäffchen.« Krawczyk grinst und lässt dabei eine Menge Goldzähne sehen. Vermutlich hat er das Gold dafür selbst geschürft, irgendwo im Permafrost östlich von Warschau. Krawczyk nimmt einen Schluck Kaffee und nickt zufrieden. »Is nich 77 Sunset Strip, aber schönet Büro, wa? Die Tante, die das Büro vor dir hatte, war Sterbebegleiterin.«

      »Hab ich auch schon gemacht.« Sanders riecht am Kaffee.

      Krawczyk beugt sich vor. »Bullshit. Ich mein, so Karma-Sterbebegleiterin für Fiffis, Herr Sanders. Wie hat se imma gesagt? Für Kleintiere, mit Heilgesang. Schlimmste Sorte, Mann. Wenn du dit hörst, stirbste freiwillig. Gott sei Dank hat se dann gekündigt und ist mit ihrer Praxis ans Ostkreuz gezogen. Brauchte was Größeres. Lief gut, so karmisches Totsingen von Meerschweinen und Zeugs.«

      Sanders nippt an dem Gebräu, das überwiegend aus Wodka und Zuckerwürfeln besteht. »Familienrezept?«

      Pawel Krawczyk nickt stolz. »Von Oma. Hab ich der Totsängerin nie angeboten, weißte. Die hat immer so gefaselt von Lichtpräsenz, dann abkassiert und die Viecha in die Mülle im Hof geschmissen. Im Sommer sind die dann nach zwei Tagen als Aasfliegen wiederauferstanden. Da warn die Callgirls vom Callcenter im Hinterhaus sauer, is ja klar.«

      »Was ist mit den Büromöbeln?«

      »Die gehören jetzt dir, Herr Sanders. Wenn du willst.«

      Die angejahrten dunkelbraunen Regale und der klebrige Schreibtisch sehen aus, als wären die zarten Tierseelen, die in diesem Raum ins Licht gegangen sind, in ihrer Patina konserviert. Überhaupt fühlt es sich so an, als wäre in diesem Raum noch eine Präsenz, ein Frettchen vielleicht, das nicht sterben wollte und das Sanders von irgendwoher in den Kaffee gepuschert hat.

      Oder vielleicht ist es einfach nur Pawel Krawczyk. Die Flügel seiner Senfgurkennase flattern mit einer gelblich-neugierigen Transparenz. »Ich kenn dich, Mann«, sagt er und kneift die wasserblauen Augen zusammen. »Irgendwo hab ich dein Gesicht schon ma gesehen. Hast ein ehrliches Gesicht. So’n Gesicht vergisst man nicht.«

      Sanders hebt seinen leckgeschlagenen Pappbecher hoch und wischt den Kaffeerand auf dem Tisch mit einem Taschentuch weg. »Gutes Zeugs«, lobt er, »Kompliment an Oma.«

      »Also, Herr Sanders«, fragt Krawczyk, »was ist das noch mal für ein Büro, dass du da aufmachen willst?«

      »Ich bin Privatdetektiv.«

      »Detektiv, hm? Gibt’s den Beruf überhaupt?«

      »Doch. Wir sind die Typen mit den Verbrennungen am Oberschenkel.«

      »Wieso ’n das?«

      »Ist ein Naturgesetz. Wenn man jemanden im Auto observiert, geht die Verfolgungsjagd immer dann los, wenn man sich gerade einen heißen Kaffee besorgt hat.«

      »Witzig. Mag ich. Pass auf, du siehst korrekt aus, mit deinem Anzug und allem. Man sieht heute selten ’n Typ, der seinen Anzug so gut tragen kann wie du. Andere Typen, die sehen im Anzug aus wie die Blues Brothers. Sag ma, warum fällt mir bloß nich ein, woher ich dich kenne?«

      Sanders braucht etwas, das ihm als Untersetzer für die Kaffeebecher dient. Jetzt, wo das sein Schreibtisch ist, kann er darauf keine Kaffeeränder mehr dulden. Er zieht eine der Schreibtischschubladen auf, findet eine alte Berliner Woche, einen vergessenen Hundekeks und den gelblichen Tischkalender eines längst gelebten Jahres.

      »Schmeiß den Scheiß weg«, grunzt Krawczyk und nimmt einen großen Schluck seiner Spezialmischung. »Erzähl doch ma: Wie wird einer wie du Privatdetektiv?«

      Es klingt, als sei ihm etwas Schlimmes zugestoßen. Sanders denkt darüber nach. Er blättert durch den Kalender. Tierfotos und Lyrik – ein Frauenkalender. Aber Sanders ist 38, ledig, mehrfach und gründlich gescheitert – er kann zugeben, dass er manchmal das eine oder andere Gedicht liest.

      Er reißt zwei Blätter ab. Einen Berggorilla, unter dessen Foto etwas über die »sanften Riesen Ugandas« steht, schiebt er unter Krawczyks Becher. Sanders selbst stellt seinen Kaffee auf das Foto einer blauschwarzen Krähe. Krähen sind respektlos und amüsant. Oft beobachtet er sie abends von seinem Wohnungsfenster aus, wie sie die Mülleimer der Strandbars an der Spree plündern, während der Fluss seine schlammbraune Seele gleichgültig in die Spundwände unterhalb der Ministergärten atmet.

      Sanders fühlt sich plötzlich so müde, als hätte er schon Hunderte von Jahren gelebt. Das muss der Wodka sein. Jedenfalls ist er viel zu alt für ein neues Büro. Auf jeden Fall zu alt, um noch weiter nach einem anderen Büro zu suchen, wenn das hier schiefgeht.

      »Sanfter Riese? Das ist Poesie, wa?« Pawel Krawczyk zeigt auf den Affen. »Das heißt immer was in Deutschland. So wie bei Fack ju GöhteIch weiß nicht, was soll et bedeuten und so.«

      »Das