Название | Tod eines Clowns |
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Автор произведения | Petra Gabriel |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955520250 |
Otto Kappe nickte. «Eine mögliche Theorie.»
Kriminalmeisterin Lenné schaute plötzlich sehr nachdenklich. «Zirkusdirektor Reiz ist ein ziemlich kräftiger Mann. Und er betätigt sich auch als Messerwerfer. Seine Frau steht dabei an der großen Scheibe. Ein bemerkenswertes Ziel.»
«Wieso bemerkenswert?», erkundigte sich Galgenberg.
Fräulein Lenné kicherte erneut. «Na, sie ist nicht die Schönste, ziemlich dürr dazu. So wie ich das sehe, ist der werte Gatte kein Kostverächter, was Frauen angeht. Der platzt bald vor lauter Eigenliebe und Selbstbewusstsein. Also, mit Messern kennt er sich jedenfalls aus. Ganz von der Hand weisen würde ich die Theorie des Kollegen Galgenberg nicht.»
«Nur, wie sollte einer von denen unbemerkt in die Halle rein- und wieder rausgekommen sein?», hakte der Gelobte selbst nach.
«Tja, das ist eine gute Frage. Das ist überhaupt die Schlüsselfrage. Mal abgesehen von der Frage, wer ein Motiv gehabt haben könnte, den Mann umzubringen. Unter Umständen gibt es noch mehr Leute, die er beklaut hat.»
«Aber wegen ein paar Mark bringste doch niemanden um», wandte Galgenberg ein.
«Wir hatten schon Fälle, da ging es um 50 Pfennige», meinte Kriminaloberkommissar Kappe. «Am besten bestellen wir einen nach dem anderen von diesem Zirkus zu uns. Vielleicht sind die Herrschaften hier auf dem Revier etwas zugänglicher. Haben wir eigentlich schon was von der Spurensicherung gehört? Haben die irgendeinen Anhaltspunkt in der Halle gefunden? Was sagt König? Gab es Besonderheiten an der Leiche, die uns weiterbringen?»
«Gibt noch nüscht wirklich Neues», antwortete Galgenberg. «König hat nur bestätigt – ziemlich widerwillig, soweit ick det beurteilen kann, den Kerl und seinen komischen Dialekt versteht ja keiner –, was wir schon in der Halle besprochen hatten: Der Clown kann erst wenige Minuten tot gewesen sein, als Fechner und Schreiber ihn fanden. Die Tat hat also maximal eine Zigarettenlänge gedauert, fünf Minuten oder so. Wenn man langsam pafft, vielleicht sieben. Mehr haben König und seine Leute noch nich zu bieten. So wat dauert eben.»
Das Gefühl hatte Otto Kappe auch.
Rückblende: Ostermontag, 18. April 1960
AM HAUPTEINGANG DES ZOOLOGISCHEN GARTENS an der Budapester Straße begrüßte das von Fritz Behn in Granit gehauene Denkmal des massigen Gorillas Bobby die Besucher. Während seines Daseins im Zoo von 1928 bis 1935 war Bobby zu einem Riesen von 266 Kilogramm herangewachsen und zum Liebling der Berliner geworden. Nun hütete er massig und unbeweglich seine ehemalige Wirkungsstätte.
Die Vögel zwitscherten, die Bäume begannen zu grünen. Noch gehörte der Zoo den Tieren. Doch bald würden die Berliner kommen, lachende Menschen mit glücklichen Feiertagsausflugsgesichtern. Holger Gericke nahm weder die ersten Anzeichen des Frühlings noch die gefärbten Eier an Forsythienzweigen wahr. Sein Kopf war so voll von Gedanken und Sorgen, dass er zu platzen drohte, sein Herz war schwer. Gericke war froh, dass er trotz des Feiertags Dienst hatte. Das lenkte ab.
Die Zeitungen hatten neulich gemeldet, dass die Kollektivierung der Landwirtschaft im anderen Deutschland inzwischen fast abgeschlossen sei. Holger Gericke hatte nur kurz darüber nachgedacht und sich gefragt, wie es den alten Freunden wohl gehen mochte, bei denen sie in der Nachkriegszeit hamstern gewesen waren. Auch in Westdeutschland bahnte sich bezüglich der Versorgung eine Veränderung an: Die Amerikaner stellten das Verschicken von Carepaketen ein. Doch diese Themen traten in den Hintergrund vor der einzig bangen Frage, die immer wieder in seinem Kopf kreiste: Wie sollte es mit der Familie weitergehen?
Sie waren hinterhältig betrogen worden.
Die Wohnung gehörte gar nicht dem vermeintlichen Freund Karl Jarusch. Der hatte sie nur von jenem wütenden älteren Herrn gemietet, der ihnen am ersten Tag begegnet war, und sich mit vier Monatsmieten im Rückstand, aber ohne Hinterlassung einer Adresse vom Acker gemacht. Friedrich Merz, so hieß der zunächst äußerst aufgebrachte Wohnungsinhaber, hatte die Mietrückstände anfangs bei den Gerickes eintreiben wollen. Als diese ihm jedoch ihre Geschichte erzählt und Merz erfahren hatte, dass sie bereits drei Monatsmieten an Jarusch gezahlt hatten und um ihre gesamte Habe geprellt worden waren, hatte sich sein Gesichtsausdruck von ärgerlich zu mitfühlend verändert. «Also gut», hatte er schließlich gesagt, «ich hab noch drei Matratzen, die können Sie haben. Bis auf weiteres. Ich bin Rentner, ich brauche das Geld und muss die Wohnung wieder vermieten. Bis ich einen neuen Mieter gefunden habe, können Sie aber bleiben. Ich sehe ein, dass Sie jetzt nichts zahlen können. Ich würde ihnen die Miete stunden. Haben Sie Arbeit?»
Ja, wenigstens das. Er hatte Arbeit.
Wie immer, wenn er morgens in den Zoologischen Garten kam, machte Holger Gericke einen kleinen Rundgang, vorbei an den Störchen, vorbei am Affenhaus gleich neben dem Affenfelsen, am «Vierwaldstätter See», am Gelände für die Schafe. Er begrüßte den Eisbären Schorsch und den Braunbären Schwips in der Bärenburg, sagte danach Nilpferd Knautschke und dessen Tochter Boulette hallo, ehe er nach einem Besuch bei Shanti, dem Elefanten, den der indische Ministerpräsident Pandit Nehru dem Zoo geschenkt hatte, seinem eigentlichen Ziel zustrebte: dem Raubtiergehege. Shanti schwenkte den mächtigen Schädel, als Gericke vorbeiging. Der Elefant war ein in sich ruhender Berg. Shanti bedeutete Friede. Und Frieden, hoffte Holger Gericke, würden er und seine Familie hoffentlich bald finden.
«Ah, da sind Sie ja! Haben Sie sich gut eingelebt bei uns? Ich höre viel Gutes von Ihnen. Wenn Sie sich weiterhin so geschickt anstellen, könnten wir Ihnen eine feste Stelle anbieten.»
Holger Gericke schrak aus seinen Gedanken hoch und sah sich Direktor Heinz-Georg Klös gegenüber. Hatte der Mann niemals frei?
Klös lächelte ihm zu. «Na, was sagen Sie zu meinem Ostergeschenk? Würde es Ihnen gefallen, von der Aushilfe zum Pfleger aufzusteigen und insbesondere die Verantwortung für unsere Löwen zu übernehmen?»
Gericke war wie vom Donner gerührt. Er konnte sein Glück kaum fassen und rang um die richtigen Worte. «Aber Fred … Ich meine, was ist mit ihm?»
«Fred Trautschke hat gekündigt, er wird zur bekannten Löwenzucht des Leipziger Zoos wechseln. Diese Herausforderung reizt ihn, was ich gut verstehen kann, auch wenn ich ihn ungern ziehen lasse. Er hat Sie uns als seinen Nachfolger empfohlen. Aber Sie sagen ja gar nichts. Wollen Sie nicht?»
Jetzt kam Bewegung in Holger Gericke. Damit wären alle ihre Probleme gelöst! Sie könnten die Wohnung von Merz mieten, er könnte seine Familie ernähren, und der größte Wunsch von Anita, endlich ein gemeinsames Leben mit einem Mann zu führen, der nicht monatelang mit einem Zirkus durch die Lande zog, würde sich erfüllen. «Doch», sagte er und schluckte. «Doch, sehr gerne!»
«Das ist fein. Sie hören in Bälde von uns», meinte Heinz-Georg Klös, nickte Holger Gericke freundlich zu und schlug den Weg in Richtung Karussell ein. Dann wandte er sich noch einmal um. «Übrigens, Sie sollten nachher gut aufpassen, Sultan hat ausgesprochen schlechte Laune: Zahnweh. Also sollten Sie nicht in den Löwenkäfig, wie Sie das sonst so gerne machen. Sie arbeiten hier nicht als Dompteur. Gleich kommt auch der Tierarzt. Sie werden ihm helfen müssen. Fred sagt, wir müssen den kaputten Zahn ziehen. Das bedeutet womöglich Betäubung. Könnten Sie so lange dableiben, bis Sultan wieder aufgewacht ist?»
Holger Gericke nickte, mit den Gedanken gar nicht richtig bei der Sache. Das waren wunderbare Zukunftsaussichten! Anita würde staunen, wenn sie das heute Abend erfuhr. Vorher würde er alles mit der Wohnung regeln. Ein schöneres Ostergeschenk gab es gar nicht. Vielleicht wurde es dann auch mit dem Jungen wieder einfacher. Thomas hatte sich völlig zurückgezogen. Er redete nicht über das, was ihn bedrückte, und kam immer wieder sehr spät nach Hause, ohne seinen Eltern zu sagen, wo er gewesen war. Das lag nicht nur an der Pubertät, den Jungen belastete etwas. Holger Gericke hatte Angst, dass er in schlechte Gesellschaft geraten war.