Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

Читать онлайн.
Название Der mondhelle Pfad
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783867779579



Скачать книгу

hatten wir gehofft! Wir haben alle zusammen überlegt, wie wir dieser göttlichen Seide am besten gerecht werden. Hanibu hat uns aufgemalt, wie sie die reichen Griechinnen in Massalia und Antibes getragen haben. Peblos sagen sie dazu!“ Sie breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. „Und das ist dabei herausgekommen! Man beachte die Raffung an den Schultern und die filigranen Broschen in Form von Rosen!“

      „Du siehst aus wie eine griechische Göttin. Das müssen wir unbedingt Loranthus nachher zeigen.“

      Noeira wackelte verneinend mit dem Zeigefinger und feixte.

      „Wir haben noch mehr griechische Göttinnen!“ Sie lugte zur Treppe, von der aus es erwartungsvoll kicherte, und klatschte schallend in die Hände. „Wir haben noch Thera in Goldbraun … Hera in Lindgrün … Leto in Violett und … Iris in Rosa …“

      Dabei schritten Großmutter Mara, Flora, Taberia und Hanibu nacheinander die Stufen herab auf Viviane zu. Die rieb sich begeistert die Hände.

      „Ich muss zu Lugnasad ein paar Flaschen Massageöl mitnehmen! Alle Weiber werden sich wegen euch die Köpfe verrenken! Ach, was red ich da! Am besten ein ganzes Fass! Ich habe die Männer vergessen!“

      Noeira wedelte wieder verneinend mit ihrem Zeigefinger und streckte ihn Achtung gebietend in die Höhe. So ging sie die Treppe hinauf und kam mit einem dunkelgrünen Kleid zurück, dass sie mit übertriebener Verbeugung Viviane entgegenstreckte.

      „Am meisten wegen dir, Viviane, oh du Ursache aller verzerrten Gliedmaßen und Behebung der Wirkung! Ach, apropos Ursache – Wirkung! Keine Angst, Viviane! Ob mit oder ohne Gürtel, das Kleid ist so konzipiert, dass es jeder Figur angepasst ist, weil die Griechinnen die Gürtel genau unter dem Busen schnüren. Das zeigen wir dir gleich. Wir können sogar untereinander tauschen und variieren wie wir lustig sind, weil wir die Gürtel und Taschen von den Resten gemacht haben. Es passt alles gut zusammen und je nachdem, wie du die Taschen trägst, wirkt es jedes Mal anders.“

      Viviane hielt sich das Kleid an, strich sachte über den Stoff und sah strahlend an sich herab.

      „Ich ahne Schreckliches, Noeira.“

      Noeira zog die Augenbrauen hoch und wollte schon fragen, doch Viviane grinste sie an.

      „Eine schreckliche Dürre wird über alle Weiber kommen, wenn wir zu Lugnasad damit herumlaufen.“

      „Verrenkte Hälse verstehe ich ja, aber wieso auch noch eine Dürre?“

      „Na, was meinst du, was die für einen Durst bekommen, wenn sie immer mit offenem Mund gucken, jedes Mal, wenn wir vorbeigehen.“

      Taberia klatschte begeistert in die Hände, rannte schnell die Treppe hoch und kam mit kleinen Seidentäschchen und den passenden Gürteln wieder. Viviane raffte alles an sich und hielt es sich der Reihe nach gegen ihr grünes Kleid. Taberia assistierte ihr und schmunzelte zufrieden.

      „Ich sehe schon: Du wirst zu Lugnasad ganz schön was zu tun bekommen, Viviane!“ Sie zählte an ihren Fingern ab: „Verrenkte Hälse, trockene Rachen, vielleicht noch ein paar gebrochene oder verstauchte Glieder, weil manche nicht dahin gucken, wohin sie laufen …“

      Alle Frauen ahmten sogleich mögliche Varianten nach und stachelten sich gegenseitig an, als es um die korrekte Darstellung des Unfallhergangs ging. Viviane warf ihnen mehrmals einen strafenden, aber nachsichtigen Blick zu und drehte sich tänzelnd mit ihrem Kleid hin und her. Bewundernd verfolgte sie die geschmeidigen Bewegungen der Seide und ihr Blick fiel auf Robin, der sie immer noch mit einem abwesenden Blick bedachte. Sie hielt inne, schlug das Kleid zurück und kramte in ihrer Gürteltasche.

      „Robin! Hast du das schon mal gesehen?“

      Sie streckt ihm die Hand entgegen. Robin erwachte aus seiner Starre und betrachtete den seltsamen Gegenstand auf ihrer Hand genau.

      „Hm, das kommt mir irgendwie bekannt vor. Was ist das, Viviane?“

      „Ein Schmetterling. Habe ich vorhin an einem Blatt hängen sehen. Seine Brüder und Schwestern sind wahrscheinlich alle schon ausgeflogen.“

      Robin schüttelte den Kopf.

      „Viviane. Ich weiß doch, wie ein Schmetterling aussieht und das ist garantiert keiner.“

      „Noch ist es kein richtiger Schmetterling, aber bald. Wenn du ihn jeden Tag beobachtest, dann wirst du sehen, wie er sich verändert. Und wenn du den Tag nicht verpasst, dann wirst du ein Wunder erleben, das nur unsere große Mutter vollbringen kann.“

      Robin klatschte sich die Hand gegen die Stirn und nickte begeistert.

      „Jetzt weiß ich’s, Viviane! Das war mal eine Raupe! Ihr Lebensfaden ist abgelaufen, Mutter Erde schickt sie in die Anderswelt und die Götter geben ihr ein neues Leben. Es ist wie bei den Fliegeneiern aus Naschus Bein! Erst waren es Eier, dann sind daraus Maden geschlüpft und die haben das faule Fleisch gefressen, bis sie ganz dick waren. Nach einem halben Mond war Naschus Wunde sauber und die Maden wurden plötzlich ganz starr und haben sich verpuppt. Lavinia meinte, sie hätten es sich redlich verdient, als Fliegen wiedergeboren zu werden, weil sie so hilfreich waren. Deshalb hat Naschu sie uns geschenkt und wir haben jeden Tag nachgesehen, wann sie aus der Anderswelt zurückkommen. Und plötzlich … schwupps …“ Robin zog an seinem Hemd, als wolle er es zerreißen. „ … waren sie wiedergeboren! Erst sahen sie klebrig aus und dann haben sie geglänzt wie ein Kupferspiegel, nur in Grün.“ Robin stieß begeistert seinen Finger in die Luft. „Guck mal, Viviane! Das da oben könnte eine von unseren fleißigen Maden sein!“

      Robin verfolgte mit seinem Finger den Flug einer dicken Fliege, die hektisch am Deckenbalken entlang schwirrte, bis sie endlich den Ausgang fand. Enttäuscht nahm er den Arm herunter.

      „Ach, jetzt ist sie raus geflogen. Na, auch gut. Ich zeig Lavinia mal meinen Schmetterling!“ Ausgelassen hopste er zur Treppe, hielt aber mitten im Sprung inne und grinste schelmisch. Dann polterte er ganz langsam die Treppe hoch und rief mit verstellter, tiefer Stimme: „Laviniaaa! Ein eeechtes Geschöpf aus der Anderswelt kommt die Treppe herauf! Uuuuuuh! Es kommt auf dich zuuu und will dich hooolen! Uaahuu!“

      Lavinia kreischte auf und sie hörten, wie oben ihre kleinen Füße eilig herum trippelten, bis es einen Schlag tat. Lavinia war garantiert in ihr Lager gesprungen und hatte sich wohl auch mindestens zwei Wolldecken über den Kopf gezogen, denn ihr Kreischen klang jetzt deutlich dumpfer.

      „Robin!?“, rief Viviane die Treppe hoch. „Die Fliege schwirrt gerade zum Tor hinaus! Sie will bestimmt deinen Vater begrüßen! Ich kann ihn schon hören!“ Sie drehte sich zu den Frauen und flüsterte: „Haben die Männer unsere Kleider schon zu Gesicht bekommen?“

      „Wir wollten sie erst dir zeigen“, flüsterte Flora und scheuchte die anderen hinter den Ofen. „Los, versteckt euch! Die überraschen wir! Mal sehen, ob denen die Augen auch so groß werden wie bei Viviane.“

      Flora lugte noch mal kurz hinter dem Ofen hervor und schnappte sich das grüne Kleid, da kam auch schon Silvanus hereingestürmt und riss Viviane von den Füßen. Sie hängte sich lachend an seinen Hals und gab ihm einen langen Kuss.

      „Na, ihr Pferdehirten! Habt ihr eine geeignete Weide gefunden, damit unsere Tiere auch ja alle satt werden?“

      Silvanus stellte sie wieder auf die Füße.

      „Nicht nur das, Viv. Wir haben sogar das Problem mit dem Transport dorthin gelöst. Das heißt, wenn es dir zusagt.“

      Viviane sah ihn fragend an, doch da kamen auch schon die anderen Männer herein, oder besser gesagt: Jeder von ihnen versuchte, als Erster durch die Tür zu kommen. Da aber keiner nachgeben wollte, steckten sie im Türrahmen fest.

      Silvanus schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. Doch als sich Medan durch die Beine der anderen hindurch quetschte, nickte er anerkennend.

      „Klein kann man sein, man muss sich nur zu helfen wissen und … darf aus dem Krabbelalter noch nicht raus sein.“

      Medan