Название | Totensteige |
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Автор произведения | Christine Lehmann |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867549264 |
»Lisa, bitte. Drei Klassen von Narren gibt es, die Männer aus Hochmut, die Mädchen aus Liebe und die Frauen aus Eifersucht. Goethe.«
»Gibt es einen Grund, Richard?«
Er warf mir einen raschen Blick zu. »Brauchst du einen?«
»Was willst du damit sagen?«
»Lisa, ich habe auf der Institutsseite das Foto von Frau Barzani gesehen. Und ich kenne dich.«
Und jetzt dachte er, dass ich mich in sie verknallt hatte. Wollte er wirklich, dass ich widersprach? Bisher hatte er es mit meinen Same-Gender-Eskapaden nie so genau genommen.
»Okay. Und woher hat sie deine Handynummer?«
Der Tunnel spuckte uns in den nächsten.
»Ich habe sie angerufen. Vorletzte Woche. Gesine hatte mich gebeten, die Finanzen des Instituts unter die Lupe zu nehmen.«
»Warum?«
»Gesine fragt sich, wie sich das Institut trägt. Die staatliche Förderung ist vernachlässigbar. Und die Edmund-Gurney-Stiftung fördert nach der eigenen Satzung nur bestimmte Forschungsprojekte, nicht aber das Institut selbst. In den Büchern geht auf den ersten Blick alles irgendwie auf null aus. Aber von dem Lehrauftrag, den Rosenfeld an der Uni Tübingen hatte, konnte er nicht leben, vor allem nicht reisen. Und die Einnahmen aus Beratungsgesprächen, Gutachten und Untersuchungen bei privaten Kunden haben im vergangenen Jahr gerade so das Jahresgehalt von Desirée Motzer abgedeckt. Aus welcher Quelle das Jahresgehalt von Frau Barzani …«
Er nannte die Höhe nicht.
»… und das von Rosenfeld bezahlt worden sind, ist im Moment noch unklar. Rosenfelds Steuerberater ist Ende März verstorben. Auf mein Anraten hin hat Frau Barzani nun einen Buchhalterservice beauftragt.«
Ich grinste vor mich hin. Das Anraten eines Wirtschaftsstaatsanwalts in Finanzdingen klang in der Regel wie eine Drohung mit unmittelbarer Strafverfolgung im Fall des Nichtbefolgens.
»Ich vermute, dass es versteckte Konten gibt, auf die Rosenfeld Überschüsse ausgelagert hat. Deshalb hat Frau Barzani mich auch eben angerufen. Sie will etwas entdeckt haben.«
Und das hatte nicht bis morgen Zeit. Eins konnte ich jetzt schon sagen: Die Doktorin würde sich nicht freuen, wenn ich in Richards Gefolge aufstampfte.
Ich erzählte von meinem Gespräch mit dem Pressechef von Inter-Q-Orporate. »Ingmar Neuner hat zwar bestritten, dass das Thema Parapsychologie den Konzern interessiert, er selbst halte das für Kokolores. Aber er hatte sofort ein paar Ideen parat, was ein Telekinetiker anrichten könnte. Und er weiß auch, was das wäre, nämlich Terror. Vielleicht spendieren die doch was, gerne auch heimlich.«
»Nun, immerhin hat die Inter-Q offiziell die Genfer Verschwörung finanziert.«
»Was für eine Verschwörung?«
Richard schmunzelte. »Das war 2008 ein spektakuläres Experiment der Quantenphysik.«
Ich lehnte mich im Sitz zurück und ließ die Autobahn in meine Pupillen rasen. »Erzähl.«
Immer gerne. »Der Genfer Physiker Nicolas Gisin wollte zeigen, dass unter Quantenteilchen eine spukhafte Verbindung besteht. Sie verhalten sich simultan, selbst über weite Entfernungen. Man nennt es das Verschwörungsprinzip der Quantenphysik. Rosenfeld war übrigens auch dabei und hat darüber geschrieben. Er schloss, dass sich im gesamten Universum Teilchen ohne zeitliche Verzögerung gegenseitig beeinflussen und dass auch wir Menschen uns in diesem Dialog befinden.«
»Geht es auch ein bisschen weniger universell? Was haben die Genfer denn angestellt?«
»Ich kann voraussetzen, dass du weißt, was ein Photon ist?«, erkundigte sich Richard mit seinem allerarrogantesten Augenaufschlag zu mir herüber.
»Ich schon, aber du?«
»Alle elektromagnetischen Wellen sind in Photonen quantisiert. Das heißt, die kleinste Menge an elektromagnetischer Strahlung ist ein Photon. Es hat die Eigenschaften einer Welle und zugleich die eines Teilchens. Wie alle Materie überhaupt zugleich Welle und Teilchen ist. Eine Grunderkenntnis der Quantenphysik.«
Ich erinnerte mich.
»In einem Fernsprechamt von Genf haben nun der Professor und seine Mitarbeiter rotes Laserlicht auf einen Kaliumniobat-Kristall geschossen. Der hat jeweils ein rotes Lichtquant in zwei infrarote Quanten gespalten, man kann auch sagen, in zwei Wellen mit halbierter Frequenz. Beide wurden dann durch zwei verschiedene Glasfaserkabel der Telefongesellschaft Swisscom in gegensätzliche Richtungen geschickt – das eine vier Kilometer nach Bellevue, das andere sieben Kilometer nach Bernex. Dort gabelte sich jedes der beiden Glasfaserkabel. Da sich ein Photon in einem Kabel nicht teilen kann, musste es entweder den linken oder den rechten Weg nehmen. Sein Zwillingsbruder entschied sich verblüffenderweise jedes Mal genauso. Beide Photonen verhielten sich, elf Kilometer voneinander entfernt, synchron. Die Physiker fanden in dem Photonenpaar nichts, was darauf hindeutet, dass die Abbiegerichtung in ihm programmiert ist. Auch ein Signal hat man nicht gemessen, das der eine Zwilling dem andern im Moment des Abbiegens zugesandt hätte, zumal es irre schnell gewesen sein müsste, schneller als Lichtgeschwindigkeit.«
»Hier!«, rief ich.
Richard riss den Wagen auf die Abfahrt Böblingen Hulb, Richtung Holzgerlingen. Die Reifen quietschen. Es war sehr knapp, die Abfahrt hatte nur eine Spur.
»Himmel!«
»Also kann man sagen«, fuhr er ungerührt fort, »die gemeinsame Herkunft der beiden Photonen macht sie zu einem verschworenen Paar. In der Quantenphysik ist das bekannt, es ist ein völlig normaler Zustand.«
»Und wenn wir es auf unsere Welt beziehen, wird Spuk daraus«, vollendete ich. »Telekinese, Telepathie …«
»Oder Spuk ist genau das. Eine Quantenverschwörung. Das ist jedenfalls die These, die Rosenfeld vertreten hat.«
Darum also war sich Richard seit neuestem nicht mehr sicher, ob nicht doch was dran war an diesen Geschichten.
»Und er lässt sich deshalb kaum beobachten.«
»Jaja, die Elusivität des Spuks!«
Richard warf mir einen Seitenblick zu. »Genau. Rosenfeld bezieht sich da auf das Doppelspaltexperiment.«
»Ich habe auf Fremdsprachensekretöse gelernt, nicht auf Physikerin.«
»Man schießt ein einziges Photon auf zwei eng beieinanderliegende Ritzen in einer Platte. Dahinter zeigen sich Interferenzstreifen, so als ob das eine Photon sich in zwei Lichtwellen aufgeteilt hätte. Will man aber messen, durch welchen Spalt dieses einzige Photon geflogen ist, so verschwinden die Interferenzstreifen. Man sieht nichts mehr.«
Es war dunkel auf dem Land. Die Landstraße zog sich.
»Und daraus hat Rosenfeld geschlossen, dass man einen Spuk nicht mit der Kamera beobachten kann?«, fragte ich.
»So ist es. Der Beobachter verhindert das Ereignis, das er beobachten will.«
Ein bisschen billig kam es mir schon vor. Aber die übliche Stadtrandindustrie strahlte uns da schon entgegen, und ich hielt die Klappe. Richards Daimler rollte in den Ortskern, eine von allen Leuten verlassene Mischung aus Zehntscheuer und Lidl. Er fuhr am Abzweig Schlossstraße vorbei. Man vermutete eine Wasserburg eben nicht in einer Wohnstraße mit alten Bauernhöfen.
In Kalteneck war der erste Stock erleuchtet, auch die Fenster von Rosenfelds ehemaligem Büro. Richard schnaufte, als wir den Steg überschritten. Ich spürte die Aversion unter seinem Dreiteiler. Richards Abscheu vor sterblichen Überresten und Orten eines Mordes war womöglich nichts anderes als Geisterfurcht. Als ob er den Geist sähe, der sich nicht mehr im Körper eines Toten befand, als ob er ihm schilderte, was er im Moment der gewissen Nimmerwiederkehr gefühlt hatte: Angst, Verwunderung, Bedauern, Freude. Und dann der Augenblick, wo die Welt