Totensteige. Christine Lehmann

Читать онлайн.
Название Totensteige
Автор произведения Christine Lehmann
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783867549264



Скачать книгу

Insti­tut in Holzgerlingen ins südtürkische Hatay zur Untersuchung eines Reinkarnationsfalls bei den dort lebenden Aleviten.«

      »Einer Wiedergeburt? Schräg!«

      »Ja, anders als die Moslems glauben die Aleviten wie die Inder an die Seelenwanderung. Die Rechenschaftsberichte des Stiftungsvorstands an die Stiftungsaufsicht sehen über die Jahre immer ähnlich aus. Fünf Millionen Vermögen, Ausgaben in Höhe von rund anderthalb Millionen, denen Einnahmen aus Aktienfonds und einige kleinere Spenden in ähnlicher Höhe gegenüberstehen, so dass am Jahresende immer wieder eine 5 vorne steht. Alles sehr solide, Lisa. Sehr solide.«

      »Und wer hat die Stiftung gegründet?«

      »Gegründet wurde sie 1989 mit einer Einlage von damals 900 000 D-Mark aus dem Erbe einer Hamburgerin und Anhängerin des Spiritismus, der auch die Villa an der Elbchaussee gehörte. Die Einlage wurde 1997 aus dem Privatvermögen des Stiftungsvorsitzenden auf drei Millionen und 2009 durch eine Spende von Inter-Q-Orporate in Berlin auf die heutigen fünf Millionen erhöht. IQO vertreibt Kommunikationssysteme und ist eine Tochter des Flugzeug- und Rüstungskonzerns QarQ.«

      »Oha!«

      »Ja, Lisa.« Die Krawatte fuhr wie eine Schlange aus seinem Kragen. »Das sind die Bösen.«

      Solche Abkürzungen zur Klassifizierung hochkomplexer wirtschaftlicher Verflechtungen erlaubte Richard sich selten. Aber QarQ war ein Sonderfall. Erst kürzlich hatte der Artikel eines Zeitungsjournalisten Aufsehen erregt, der in Spanien ein Tochterunternehmen von QarQ aufgespürt hatte, das Streubomben fertigte und an Despoten lieferte, die ihre Armeen bevorzugt die eigene Bevölkerung massakrieren ließen. Derzeit gerade in der arabischen Welt.

      »Und warum gibt eine solche Firma Geld für parapsychologische Studien her?«, fragte ich. »Auch wenn zwei Millionen eher wenig sind.«

      »Das hat der US-Flugzeugbauer Boeing schon in den dreißiger Jahren getan. Man wollte herausfinden, ob ein Mensch die In­strumente im Cockpit mental beeinflussen könnte.«

      Ich zupfte ihm das Hemd aus dem Hosenbund. »Und ein Unternehmen wie QarQ, das sich mit Weltherrschaftsinstrumenten wie Internetkommunikation und Kriegstechnik befasst, will nun auch wissen, ob ein Mensch ihre Systeme manipulieren könnte.«

      »Oder die der Konkurrenten.« Er langte zum anderen Handgelenk und fummelte den Manschettenknopf aus der Manschette.

      »Hast du schon mal mit dem Gedanken gespielt«, erkundigte ich mich, »dich sonntags etwas knopfärmer anzuziehen?«

      »Wozu den Anzug für morgen auf dem Kleiderbügel mitbringen, wenn ich ihn am Leib tragen kann.«

      Knopflogisch! Ich fuhr ihm über den muskelgeribbelten Bauch. Er zuckte. Der Nachteil des Sixpacks war seine Härte, aber Richard hatte auch weiche Stellen, beispielsweise oberhalb der Hüfte. Sogar er!

      Er schnurrte. »Im Kuratorium der Stiftung sitzen fünf Leute: ein Physiker, ein Chemiker, ein Psychologe, eine Krankenhausärztin, ein Neurologe und ein Betriebswirtschaftler. Als Vorstand firmiert Oiger Groschenkamp, bekannt als Börsenspekulant und Aufkäufer von Zeitungen und Fernsehsendern. Er ist der Neffe der Dame mit den spiritistischen Neigungen und hat die Villa in Blankenese geerbt. 2001 hat er Burg Kalteneck erworben und ins Stiftungsvermögen eingebracht. Groschenkamp hält Anteile bei QarQ und IQO. Andererseits vergibt er über seine Privatbank Kleinkredite an Existenzgründer und mittelständische Betriebe hauptsächlich im norddeutschen Raum.«

      »Das ist aber jetzt nicht der Gute.«

      Richard deutete ein Achselzucken an. »Schwer zu sagen. Es gab vor ein paar Jahren in Börsenkreisen mal ein bisschen Aufregung, weil man meinte, eine seiner Zeitungen habe das Gerücht gestreut, eine italienische Bank sei pleite, was zur Pleite dieser Bank führte. Aber dass er dahintersteckte, ließ sich nicht beweisen. Groschenkamp hat es bislang geschafft, sich so gut wie ganz aus der öffentlichen Aufmerksamkeit herauszuhalten.«

      »Dann sollten wir ihn mal besuchen.«

      »Dafür gibt es nicht den geringsten Grund, Lisa.«

      Ich gab Richard einen Stoß gegen die Schulter. »Dann streng dich halt ein bissle an!«

      Richard fing sich mit einem raschen Schritt und schnappte meine Hand. »Das tue ich ja.« Er zog mich an sich. Ein feines Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Nur Geduld.«

      Richard lächelte selten und nie aus sozialtaktischen Gründen. Er gehörte zu den Männern, die bei Begrüßungen ernst blieben, insbesondere wenn sein Gegenüber mächtig war und die Geste freundlicher Unterwerfung erwartete. Richard hielt es mit Luther, er fürchtete nur Gott, und manchmal hatte ich den Verdacht, nicht einmal den. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen hatte er sich jedoch vor etlichen Jahren entschlossen, sich mir mit Haut und Haaren auszuliefern. Dabei hätte er jede haben können. Er war zwar kein schöner, aber ein attraktiver Mann, eher klein, dafür gut trainiert mit sturer Stirn, bissigem Kinn, heftiger Asymmetrie um die Augen und Zähnen, die niemals von einer Zahnspange in Reih und Glied geschraubt worden waren. Wenn er sie zeigte, war er deckungslos, und ich wusste dann wieder, warum ich den Affen im Anzug in mein Leben, meine Möse und meine Wohnung gelassen hatte. Wobei Letzteres am schwersten wog.

      Sonntagabend kam er besonders gern von seiner Halbhöhe in meine verkorkste Neckarstraße herab, und nicht nur, weil er dann Montag früh nur über die Straße zu gehen brauchte, um ins Amt zu kommen, sondern vermutlich weil sich ihm die teure Jugendstilmöblierung seiner Junggesellenwohnung in der Kauzenhecke am Haigst aufs Gemüt legte.

      »Warst du schon mal in Neuschwanstein?«, fragte ich.

      Richard lachte.

      12

      Ein Gespenst ging um in Stuttgart: die Bauwut. Überall verschwanden Häuser, ganze Blocks wurden zu Schutt und Staub, in den Straßen klafften Löcher, wo man gerade ein Jahr zuvor neuen Asphalt gegossen hatte, Routinegänge zum Bioladen wurden zu Slalomparcours. Auch die Gleisanlage am Stöckach unter meinem Fenster, wo die Stadtbahnen in den Osten abbogen, war eines Morgens wieder aufgerissen worden. Und jedes Mal, wenn eine Stadtbahn kam oder fuhr, stieß ein Bauarbeiter ins Signalhorn, damit die Kollegen aus den Gleisen treten konnten. Das Getröte begann morgens um sieben und wiederholte sich alle fünf bis sieben Minuten. Schon Viertel vor acht war wieder Ruhe, weil Vesperpause, ich aber wach. Eines Tages werde ich aus meinem Küchenfenster auf den Stöckach schauen, und der Hochbahnsteig ist weg, das Zeppelingymnasium von der Abrissbirne zu Staub gekloppt und der Bunker der Staatsanwaltschaft eingeebnet.

      Ich fuhr raus aus dem Krach und Staub über den Riegel der Schwäbischen Alb durch Trochtelfingen nach Sigmaringen und fragte mich in der Altstadt auf dem Hügel rund ums Schloss herum durch Bäckereien, Metzger, Friseurläden bis in die Nachbarschaft des Hauses, in dem die Adoptiveltern von Juri Katzenjacob gelebt hatten. Ein Metzger erzählte mir, der Juri habe eine Lehre bei ihm begonnen, sei aber immer unpünktlich gewesen. Davon, dass er leidenschaftlich gern Viecher ausnahm, habe er nichts bemerkt, er habe aber ordentlich zupacken können und gegen das Töten nichts gehabt. Er habe sich dann aber immer wieder für länger krankgemeldet. Angeblich Allergie. Mit dem Kerle habe was nicht gestimmt. Angeblich habe es Schwierigkeiten daheim gegeben, er habe sich dann verliebt und sei mit 18 ausgezogen. »Bei Adoptivkindern weiß ma halt id, was ma krieget. Wer weiß, was der Kerle in Rumänien schon elles erlebet hätt.«

      In der Nachbarschaft lebte auch ein inzwischen pensionierter Hauptschullehrer. Der hatte den Journalisten gleich nach der Verhaftung erzählt, dass Juri schon als Kind seine Stallhasen gestohlen habe, später habe er sie völlig zerfleddert gefunden. Das sei mehr als nur ein Bubenstreich gewesen. Der Junge sei krank, das habe er immer schon gefunden. »Übrigens ein schlauer Bub, aber jesusmäßig faul, und zwar im Kopf faul. Keine Lust zu denken, wie bei allen jungen Leuten. Die daddeln sich das Hirn weg an den Computern. Wenn der Juri sich nur ein bisschen angestrengt hätte, dann hätte er auch das Abitur geschafft und studieren können.«

      Ins Schwäbische Allgäu hinüber brauchte ich anderthalb Stunden. Die Sonne warf schon sehr lange Schatten, als ich meine Charlotte ein paar Kilometer